Verlässt die AfD-Fraktion und tritt als deren Fraktionsvorsitzender zurück: Jörg Meuthen Foto: Weißbrod

Fall Gedeon eskaliert: 13 Abgeordnete um Fraktionschef Jörg Meuthen verlassen AfD-Landtagsfraktion.

Stuttgart - Im Streit um die Antisemitismus-Vorwürfe gegen den AfD-Politiker Wolfgang Gedeon ist die Fraktion der Partei im baden-württembergischen Landtag zerbrochen. Der Fraktionschef und AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen sowie zwölf weitere Abgeordnete verließen am Dienstag die Fraktion im Stuttgarter Landtag. Grund sei der Konflikt um Gedeon. Bei einer neuen Abstimmung über den Rauswurf des Abgeordneten aus der Fraktion sei die nötige Zweidrittelmehrheit nicht zusammengekommen.

Am Dienstagabend verkündete der umstrittene Abgeordnete Gedeon den Austritt aus der AfD-Fraktion. "Der Fraktionsbruch ist rechtskräftig", sagte Meuthen nach der Erklärung Gedeons. Am Mittwoch sollen die Abgeordneten zusammenkommen, um über eine mögliche Neugründung der AfD-Fraktion zu tagen, kündigte Meuthen an. "Wenn nun mindestens fünf Abgeordnete überlaufen zu uns, dann kann die andere Gruppe nicht als Fraktion existieren. Dann gibt es eine neue AfD-Fraktion frei von Antisemitismus", betonte Meuthen.

Er kritisierte die Einmischung seiner Co-Vorsitzenden auf Bundesebene, Frauke Petry, in die Angelegenheiten der baden-württembergischen Landespartei. "Ich frage mich, wie Frau Petry reagieren würde, wenn ich in Sachsen so agieren würde wie sie hier", sagte Meuthen. Petry hatte nach Gesprächen in Stuttgart verkündet, mit dem Austritt Gedeons sei die Spaltung der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg abgewendet.

Was die Meuthen-Erklärung vom Dienstagnachmittag für die AfD bedeutet, erklärt Stefan Herre. Der 24-jährige Abgeordnete aus dem Wahlkreis Balingen gehört zu Meuthens Mitstreitern. Momentan seien sie "fraktionslos". "Jetzt werden wir neu sondieren. Wir streben einen neuen Fraktionsstatus an", erklärt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Das gehe nicht von heute auf morgen, man müsse vermutlich den juristischen Weg beschreiten. "Aber es ist nur eine Frage der Zeit." Denn der Bundesvorstand erkenne nur die Gruppe um Meuthen als AfD-Fraktion im Landtag an. "Sind wir erst wieder die AfD-Fraktion, müssen sich die anderen entscheiden, wie es für sie weitergeht." Im baden-württembergischen Landtag verkündet auch Meuthen, er habe für den Schritt zum Verlassen der Fraktion die Rückendeckung des Bundesvorstands gehabt.

In einer Telefonschaltkonferenz hätten zehn von 13 Mitgliedern der Parteiführung dafür votiert, dass er und seine Anhänger der Fraktion den Rücken kehren. Die Fassungslosigkeit bei den anderen Landtagsparteien ist groß. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagt: "Meuthen ist der Zauberlehrling der AfD." Erst habe er Radikale und Antisemiten angezogen. Und nun hätten diese ihn verschlungen. CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart ist überzeugt, dass die AfD keine Alternative ist. "Wir sind im Parlamentarismus jetzt gefordert. Wir müssen genau aufzeigen, wie sich die neuen Verhältnisse im Landtag durch die Spaltung bei der AfD darstellen."  SPD-Fraktionschef Andreas Stoch erklärt, die AfD sei an ihrer Unfähigkeit gescheitert, sich klar von Antisemitismus und Rechtsextremismus abzugrenzen. "Zurück bleibt nun eine gespaltene rechte Chaostruppe." Die beiden Grünen-Landeschefs Thekla Walker und Oliver Hildenbrand sehen es ähnlich: »Es ist schon atemberaubend, wie schnell sich die rechtspopulistische Zündler-Truppe zerlegt."

Der frühere AfD-Landeschef Bernd Kölmel fühlt sich in seinen Einschätzungen aus vergangenen Tagen bestätigt: "In dieser AfD ist eine vernünftige, nachhaltige Politik unmöglich." Überrascht reagiert am Dienstagnachmittag Roland Tischbein auf die Spaltung. "Wir haben uns als Kreisverband bereits von den Äußerungen von Herrn Gedeon distanziert. Es gibt bei uns einen Vorstandsbeschluss, in dem er aufgefordert wird, sein Mandat zurückzugeben«, sagt der Spitzenkandidat der AfD im Landkreis Freudenstadt  unserer Zeitung. Tischbein, der es trotz sehr gutem Ergebnis im Kreis (17,6 Prozent) nicht in den Landtag schaffte, positioniert sich auch bezüglich der gestrigen Entwicklung klar: "Ich halte es so ähnlich wie Herr Professor Meuthen. Wenn ich im Landtag wäre, würde ich auch zu der Gruppe gehören, die die Fraktion verlassen würde."

Heinrich Kuhn aus Altensteig (Kreis Calw), der als Alterspräsident die erste Sitzung des neuen Landtags leitete, gehört zu den Abgeordneten der AfD, welche die Fraktion verlassen haben. Kuhn sieht sich in dieser Sache auf einer Linie mit Meuthen, dessen Erklärungen zum Fraktionsaustritt er als "sehr stimmig" bezeichnet. Die Grundsatzentscheidung, Antisemitismus in der Partei nicht zu akzeptieren, sei für ihn schon lange klar gewesen.  Trotz allem sei ihm die Entscheidung, die Fraktion zu verlassen, letztlich schwer gefallen, sagte Kuhn gestern unserer Zeitung. Er hoffe zwar, dass sich die Gedeon-Unterstützer den jetzt Ausgetretenen wieder annähern ("Die Tür für sie ist offen"), doch momentan sei die Trennung einfach Fakt.

Das "Stigma Antiseminismus" ist auch für Lars Patrick Berg, der den Wahlkreis Tuttlingen-Donaueschingen vertritt, der Grund für den Austritt. Mit diesem Stigma habe man weder als Fraktion noch als einzelner Abgeordneter Erfolg. Berg, ehemals Pressesprecher der AfD-Fraktion im Europa-Parlament, rechnet damit, dass noch mehr Abgeordnete der ursprünglichen AfD-Fraktion den Rücken kehren  werden. Er bestätigte, dass das Abstimmungsverhalten im Landtag sich nun verändern könne.

Info: Meuthen und seine Getreuen

Anton Baron (28), Wirtschaftsingenieur, Wahlkreis (WK) 21 Hohenlohen

Lars Patrick Berg (50), Pressesprecher, WK 55 Tuttlingen-Donaueschingenn

Heinrich Fiechtner (56), Onkologe, WK 10 Göppingenn

Stefan Herre (24), Handwerksmeister, Unternehmer. WK 63 Balingen

Heinrich Kuhn (76), Arzt im Ruhestand, WK 43 Calw

Claudia Martin (46), Erzieherin, WK 37 Wiesloch

Jörg Meuthen (55), bisheriger Fraktionschef AfD-Fraktion, WK 17 Backnang

Thomas Axel Palka, (62), Feinmechaniker, WK 19 Eppingen

Rainer Podeswa(59), Physiker, WK 18 Heilbronnn

Daniel Rottmann (47), Buchhändler, WK 65 Ehingen

Udo Stein(33), Kaufmann, WK 22 Schwäbisch Hall

Klaus-Günther Voigtmann (71), Ingenieur im Ruhestand,  WK 40 Schwetzingen

Carola Wolle (53), Kauffrau WK 20 Neckarsulm