Stuttgart - Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will den Netzausbau im ländlichen Raum vorantreiben – und: Er sagt den Funklöchern in Deutschland den Kampf an. Die Abkürzung 5G steht für das Mobilfunknetz der 5. Generation. Das Netz gilt als Kommunikationsstandard der Zukunft. Das mobile Internet (für das Smartphone) soll über den künftigen Standard ein deutlich höheres Tempo erreichen als bisher. Einer der größten Katalysatoren beim Ausbau des 5G-Netzes ist die Automobilbranche.

Doch dieser Teil der Geschichte interessiert einen Ärztekreis aus Baden-Württemberg eher am Rande. Das Credo der Mediziner, die sich hinter Barbara Dohmen, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Umweltmedizin, Wolf Bergmann, Arzt für Allgemeinmedizin und Homöopathie, sowie Jörg Schmid, Facharzt für Psychatrie, vom Ärztearbeitskreis digitale Medien stellen: Der Preis für die Gesundheit durch die aufgrund des Ausbaus hervorgerufene zusätzliche Strahlenbelastung sei zu hoch. Scheuers Kampfansage "veranlasst uns umweltmedizinisch tätigen Ärzte und Ärztinnen die Auswirkungen auf das Leben elektrosensibler Patienten darzulegen".

Besorgter Brief

Zur Begründung ihres von 30  Ärzten unterschriebenen offenen Briefs heißt es: Zu den bereits installierten zahlreichen Dauer-Funkemittenten, genauer gesagt die ersten Mobilfunktechnologien GSM, UMTS, der Ausbau öffentlicher Wlan-Netze oder auch der vierte Mobilfunkstandard LTE, sollen nun der Bevölkerung weitere ununterbrochene Hochfrequenz-Expositionen "zugemutet" werden. Im Klartext: das geplante 5G-Netz mit einer "unübersehbaren Flut von neu zu installierenden Sendern" (etwa alle 150 Meter eine weitere Sendeanlage) und der Pflichteinbau von Smart-Meter-Installationen in allen Haushalten. Und "dies ungeachtet der erdrückend hohen Anzahl an Forschungsergebnissen, welche die Mobilfunkstrahlung neben vielen anderen physischen und psychischen Gesundheitsgefahren nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen für gentoxisch und möglicherweise krebserregend einstufen". Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), stuft elektromagnetische Felder, die beispielsweise bei der Nutzung von Mobiltelefonen entstehen, als "potenziell krebserregend" ein, was das Deutsche Ärzteblatt im November 2011 verbreitetete.

Das BfS ist an einem offenen wissenschaftlichen Diskurs sehr interessiert. Grundlage unserer Arbeit sind ein hohes Maß an Fachkompetenz und die wissenschaftliche Urteilsfähigkeit unserer Fachleute. Ziel ist der Schutz des Menschen und der Umwelt vor Schäden durch Strahlung.  Entscheidender Maßstab sind dabei ausschließlich wissenschaftliche Grundsätze. n Die Fragen stellte Eva-Maria Huber. 

Die kritischen Ärzte bekommen vorsichtige Rückendeckung von einer Bundesbehörde. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hält weitere Forschungen über die gesundheitlichen Folgen elektromagnetischer Strahlung für nötig (siehe Interview). "Erst untersuchen, dann einführen", bringt es ein Mediziner auf den Punkt. "5G ist ein Experiment am Menschen, mit unbekanntem Ausgang." Wie reagiert Bundesverkehrsminister Scheuer auf den offenen Brief, der schon vor einiger Zeit nach Berlin geschickt wurde? Bislang noch gar nicht, berichtet Schmid, einer der unterzeichnenden Ärzte. Eine Presseanfrage zu Brief und Reaktion an das Ministerium bleibt zumindest thematisch unbeantwortet: Zuständig sei das Bundesumweltministerium. Doch auch das reagiert nicht.

Indes sind sich die Experten in der Beurteilung der Mobilfunkstrahlung keineswegs einig; die Bewertungen von internationalen Studien könnten nicht unterschiedlicher sein. So hat sich die US-Food and Drug Administration (FDA) vom Abschlussbericht einer von ihr in Auftrag gegebenen Untersuchung zum Krebsrisiko durch "Handystrahlung" distanziert. Die von den Autoren des National Toxicology Program (NTP) vorgelegten "eindeutigen Beweise" für eine karzinogene Wirkung der von 2G- und 3G-Netzen ausgestrahlten elektromagnetischen Wellen sind für die US-Behörde nicht nachvollziehbar. Dagegen fällt die Interpretation der NTP-Studie im Norden Europas anders aus: Wissenschaftler aus Schweden sehen einen eindeutigen Nachweis dafür, dass "hochfrequente Strahlung beim Menschen Gliome (Hirntumore) hervorruft".

Forderung nach Seriosität

Auch Lebrecht von Klitzing sieht die Wlan-Vernetzung mehr als kritisch: Es gebe eindeutige Erkenntnisse dafür, so der langjährige Leiter der Abteilung Klinische Forschung an der Uniklinik Lübeck, dass eine längere Wlan-Exposition zu Störungen im Nervensystem führe. Zudem sieht der Physikmediziner einen Zusammenhang mit dem Auftreten von Vorhofflimmern beim EKG und der Strahlung. Die Ängste im Bezug auf 5G kann von Klitzing deshalb auch gut nachvollziehen: "Ich teile die Angst, aber wir haben keine Beweise." Die Spekulationen, fordert er, müssen ein Ende haben: "Wir brauchen in Bezug auf den 5G-Ausbau eine seriöse und unabhängige Grundlagenforschung."

Krebsraten steigen

Fakt ist: Die Zahl der Krebserkrankungen steigt. Nach Schätzungen des Zentrums für Krebsregister Daten (ZfKD) werden für das Jahr 2018 etwa 494 000 Krebsneuerkrankungen erwartet. "Aufgrund der demografischen Alterung, vermehrter Diagnostik und ungünstigen Veränderungen bei bestimmten Lebensstilfaktoren sind die Erkrankungszahlen insgesamt in den letzten Jahren angestiegen", heißt es auf Anfrage. Die Zahl der Krebsneuerkrankungen und -sterbefälle habe in der vergangenen Dekade weiter zugenommen, jedoch hänge dieses stark mit der alternden Bevölkerungsstruktur in Deutschland zusammen, meldet die Pressestelle.

Was sagt die Landesärztekammer zu dem brisanten und kontrovers diskutierten Thema? Bisher noch nicht viel. Es werde noch eine Weile dauern, so hieß es aus der Pressestelle, bis eine "belastbare Stellungnahme" ausgearbeitet worden sei. Diese werde dann die bisherige aus dem Jahr 2014 ersetzen: Darin hatte die Landesärztekammer unter anderem Folgendes formuliert: "Belastbare und somit verwertbare Forschungsergebnisse konnten bisher keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen verschiedenen Erkrankungen und elektromagnetischen Feldern nachweisen, doch konnten auch Gefahren für die menschliche Gesundheit dort noch nicht ausgeschlossen werden, wo bisher kein eindeutiger Wirkmechanismus festgestellt werden kann."

Auch zur Langzeitwirkung und der Auswirkung auf Schwangere, Föten und Kinder gebe es noch immer viele Forschungsdefizite. Fazit: Die Auswirkungen von Mobilfunk auf die menschliche Gesundheit seien unklar.

Nachbarn bremsen aus

Doch nicht nur Ärzte melden Bedenken an: Der Anbieter Orange Belgium plante, ein kommerzielles 5G-Netzwerk in Brüssel zu errichten. Es sollte 2019 schrittweise aufgebaut und ab 2020 kommerziell genutzt werden. Diese Pläne wurden nach einem Beschluss des Umweltministeriums jetzt vorerst eingestellt. Die belgische Regierung hat das 5G-Projekt in Brüssel gestoppt. Sie befürchtet, dass die Strahlenschutzwerte nicht eingehalten werden. Die Europäische Kommission hatte jeden Mitgliedsstaat dazu aufgefordert, eine Stadt mit 5G auszurüsten. Auch in der Schweiz gibt es einen Stopp für ein 5G-Projekt in Genf.

Hohe Frequenzen und ihre Folgen

Salzgitter - Im Streit um mögliche Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit dem 5G-Netzausbau fordert das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter laut Pressesprecherin Nicole Meßmer Untersuchungen.

Der bisher genutzte Frequenzbereich ist sehr gut erforscht. Innerhalb gültiger Grenzwerte für Mobilfunksendeanlagen gibt es keinen Nachweis von gesundheitsschädigender Wirkung. Da 5G zunächst in Frequenzbereichen eingesetzt wird, in denen Mobilfunk betrieben wird, die für vergleichbare Nutzungen vergeben oder solchen Frequenzbändern benachbart sind, lässt sich dies weitgehend auf 5G übertragen. 5G soll perspektivisch auch in höheren Frequenzbereichen genutzt werden, für die weniger Forschungsergebnisse vorliegen.

Genauer untersucht werden muss aus unserer Sicht, ob die geplante Nutzung höherer Frequenzbereiche im Milli- oder Zentimeterwellenbereich gesundheitliche Auswirkungen haben kann. Dies betrifft vor allem Haut und Augen. Abhängig von verschiedenen – vor allem technischen – Faktoren ist zudem, wie sich die Installation neuer Sendeanlagen darauf auswirkt, in welcher Form die Bevölkerung Mobilfunkstrahlung ausgesetzt ist. Es muss aber gewährleistet sein, dass die Grenzwerte sicher eingehalten werden. Dennoch ergeben sich dadurch, dass die Anlagen näher an die Passanten heranrücken, neue Situationen, in denen Menschen Strahlung ausgesetzt sind, die wir untersuchen wollen. Das  BfS sieht für den Bereich der hohen Frequenzen noch Forschungsbedarf und plant für 2019 mehrere Vorhaben.

Die hohen Datenübertragungsraten, die man mit 5G erreichen möchte, erfordern in einem nächsten Schritt hohe Funkfrequenzen. Bei hohen Frequenzen nimmt die Reichweite ab. Millimeterwellen werden deshalb vor allem dort eingesetzt werden, wo große Datenmengen über kurze Entfernungen zu übertragen sind. Wenn die Reichweite sinkt, benötigt man mehr Sender. Welche Auswirkungen dies haben wird, ist aus Sicht des BfS derzeit nur begrenzt abzuschätzen und wird von uns weiter erforscht.

Das BfS ist an einem offenen wissenschaftlichen Diskurs sehr interessiert. Grundlage unserer Arbeit sind ein hohes Maß an Fachkompetenz und die wissenschaftliche Urteilsfähigkeit unserer Fachleute. Ziel ist der Schutz des Menschen und der Umwelt vor Schäden durch Strahlung.  Entscheidender Maßstab sind dabei ausschließlich wissenschaftliche Grundsätze. n Die Fragen stellte Eva-Maria Huber. 

Hält das BfS  weitere Forschungen über mögliche gesundheitliche  Folgen elektromagnetischer Strahlung für nötig? 

Was plant das BfS?

Bleibt das BfS bei der Darstellung, dass mehr Sendeanlagen, höhere Datenübertragungsmengen und Frequenzen die Strahlungsintensität verändern? 

Wie geht die  BfS-Spitze  mit  Kritik  auf  ihre Forderung nach weiteren  Untersuchungen um?