Kanzler Olaf Scholz hat vor den Vereinten Nationen eine Durchhalte-Rede gehalten. Ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht in Sicht. Daraus müssen Europa und die USA zwei Schlüsse ziehen, kommentiert unser Redakteur Tobias Peter.
Genau 50 Jahre ist es her, dass Willy Brandt im Weltsaal der Vereinten Nationen in New York am Rednerpult stand. Die Bundesrepublik und die DDR waren gerade in die Organisation aufgenommen worden. „Wenn es der Welt nicht gelingt, die Gewalt zurückzudrängen und schließlich wirksam zu ächten, wie will sie dann die Friedensprobleme lösen, die – frei und fern von Gewalt – alle unsere Energien verlangen?“, fragte der sozialdemokratische Kanzler mit seiner knarzenden Stimme.
Es ist ein Satz, mit dem sich auch Kanzler Olaf Scholz mit Sicherheit voll identifizieren kann. Der Kampf gegen den Klimawandel und auch der gegen Hunger in der Welt werde durch Kriege massiv erschwert. Gleichzeitig hat Scholz mit Blick auf den russischen Krieg gegen die Ukraine nun in seiner eigenen Rede vor der UN-Vollversammlung vor „Schein-Lösungen“ gewarnt, die das Wort Frieden lediglich im Namen trügen. Frieden ohne Gerechtigkeit sei ein Diktat, so Scholz.
Die Welt darf Putin nicht nachgeben
Die Worte des Kanzlers sind schlüssig. Zugleich haben es in sich. Unterm Strich bedeuten sie: Dieser Krieg kann noch Jahre dauern. Solange Wladimir Putin nicht bereit ist, den Befehl zum Rückzug zu geben, ist keine Lösung in Sicht. Der Kanzler hat eine Durchhalte-Rede gehalten. Und er hat Recht damit. Die Welt darf der russischen Aggression nicht nachgeben – auch wenn es aus der Sicht vieler Staaten ab einem bestimmten Punkt vielleicht für einen Moment lang einfacher erscheint. Sonst werden diejenigen ermuntert, die auch Kriegsgedanken haben.
Ein echter Frieden kann nur einer zu Bedingungen sein, denen die Ukraine zustimmen kann. Erst militärische Erfolge der Ukraine machen erfolgversprechende Gespräche denkbar. Deshalb müssen Deutschland und andere Staaten die Ukraine mit voller Kraft durch Waffenlieferungen unterstützen. In einer Situation, für die es keine Blaupause gab, ist der Kanzler im ersten Jahr des Krieges zu Recht Schritt für Schritt vorangegangen. Die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern war ein tiefer Einschnitt. Das gilt für die Entscheidung über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern so nicht mehr. Scholz sollte den Weg dafür nun so schnell wie möglich freimachen.
Das ist umso wichtiger, weil das Zeitfenster der Ukraine, um militärisch entscheidend voranzukommen, möglicherweise nur noch begrenzt ist. Denn der wichtigste Unterstützer der Ukraine sind die USA. Was wird es für die Ukraine, Europa und auch die ganze Welt bedeuten, falls Präsident Joe Biden die Wahl verliert? Das kann momentan niemand genau beantworten. Deshalb ist es gut, dass Außenministerin Annalena Baerbock in den USA auch bei den Republikanern Lobby-Arbeit betrieben hat.
Eine gemeinsame Vision mit Willy Brandt
Die Stärke von Scholz‘ Außenpolitik ist, dass der Kanzler nach Putins Überfall auf die Ukraine eines sofort erkannt hat: Der Westen muss in Zeiten einer neuen multilateralen Weltordnung um die Unterstützung der Länder des globalen Südens werben. Daher ist es wichtig, dass Scholz sich in New York für eine Reform des UN-Sicherheitsrats stark gemacht hat. Afrika, Asien und Lateinamerika brauchen dort mehr Gewicht, wenn Europa und die Vereinigten Staaten gemeinsam mit ihnen Probleme lösen wollen.
Der nüchterne Hanseat Scholz verbreitet nichts vom Pathos eines Willy Brandt. Scholz hat aber schon mehr als einmal betont, dass er nicht der – einmal von Helmut Schmidt formulierten – Meinung sei, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen. Die Vision einer Welt, in der es mehr Gerechtigkeit für den globalen Süden gibt, vereint Scholz und Brandt. Der Weg ist weit. Aber ein Erfolg könnte mehr Frieden in der Welt bedeuten.