Das Handelsvolumen zwischen Baden-Württemberg und der Türkei betrug 2016 rund 5,6 Milliarden Euro – ein Rückgang um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Foto: dpa

Die Türkei ist ein wichtiger Handelspartner für die Wirtschaft im Südwesten. Nach dem Verfassungsreferendum steht für die Unternehmen in beiden Ländern viel auf dem Spiel. Einige schrecken bereits vor Investitionen zurück.

Stuttgart - Der erste Versuch ist erfolglos. Der Befragte, ein türkischer Unternehmer aus Stuttgart, will sich nicht zum Ausgang des Referendums äußern. Wieso nicht? „Kein Kommentar.“ Versuch Nummer zwei: Ein Stuttgarter Gastronom gibt zwar bereitwillig Auskunft, will aber anonym bleiben. Er spricht von einer „gefährlichen Situation“, vor der die Türkei jetzt stehe. Er selbst habe gegen die Verfassungsreform gestimmt. Nun, so befürchtet er, müsse die Bevölkerung in seiner Heimat noch stärker unter Repressionen leiden als bisher. Die Festnahme von politischen Gegnern des Präsidenten Erdogan und kritischen Journalisten seien Belege dafür.

In Baden Württemberg sind etwa 15 000 Unternehmer mit türkischen Wurzeln tätig. Viele von ihnen dürften beim Referendum mit „Nein“ gestimmt haben, ist Tarkan Söhret überzeugt. Der Unternehmensberater aus Sindelfingen ist Vorsitzender des deutsch-türkischen Wirtschaftsdialogs (DTW), einem Netzwerk für mittelständische Unternehmer aus beiden Ländern. „Die meisten türkischen Unternehmer hier sind sehr zufrieden – sie hätten sich eher ein ‚Nein‘ gewünscht“, sagt Söhret. Das Ergebnis der Abstimmung könnte das Verhältnis beider Länder und damit auch die Geschäfte der Mittelständler belasten.

Mängel bei der Integration beklagt

Die Firmen seien bereits zurückhaltend bei Neuinvestitionen und wollten erst einmal abwarten, was nun passiere. „Es ist momentan schwer zu ersehen, ob und wann es wieder eine Annäherung der Türkei in Richtung Europa geben könnte“, sagt Söhret. Ausschließen will er das aber nicht, schließlich habe Erdogan sein Ziel erreicht.

Dazu haben auch viele in Deutschland lebende Türken beigetragen, die für die Einführung eines Präsidialsystems gestimmt haben. Söhret macht dafür auch Fehler auf deutscher Seite verantwortlich: Man habe es in den vergangenen Jahren versäumt, die Menschen besser einzubinden. Das hätte beispielsweise dadurch geschehen können, dass in Deutschland lebende Türken ohne deutschen Pass ein kommunales Wahlrecht erhalten, wenn sie eine gewisse Zeit lang hier gelebt haben.

Auch der DTW-Vorstand Jürgen Märkle spricht von Integrationsmängeln: Weil sie in deutschen Unternehmen immer noch benachteiligt würden, seien viele türkischstämmige Beschäftigte enttäuscht, wütend oder frustriert. Erdogan habe dies geschickt genutzt. Märkle berät deutsche und türkische Mittelständler bei Investitionsentscheidungen. Er hat vor und nach dem Referendum mit vielen türkischen Geschäftsleuten gesprochen, ein Unternehmer, der mit „Ja“ gestimmt habe, ist ihm dabei allerdings nicht begegnet.

Referendum verhärtet die Fronten

Kerim Arpad vom deutsch-türkischen Forum Stuttgart warnt davor, ausgehend vom Ergebnis des Referendums eine neue Integrationsdebatte aufzurollen. Absolut gesehen hätten nur rund ein Fünftel aller in Deutschland lebenden wahlberechtigten Türken für die Verfassungsänderung gestimmt. Traditionell habe es nicht „die eine türkische Community“ in Deutschland gegeben, sondern verschiedene, an den politischen Lagern orientierte Gruppen. Im Südwesten der Republik sei die AKP-Anhängerschaft schon immer größer gewesen als beispielsweise in Berlin. Das Referendum habe das „Schwarz-Weiß-Denken“ allerdings noch verstärkt und die Fronten verhärtet, erklärt Arpad.

Im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium befürchtet man, dass sich die politische Situation negativ auf die türkische Wirtschaft und damit auch auf die Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands zur Türkei auswirken könnte. Die Handelszahlen würden belegen, dass vor allem für die türkische Wirtschaft, aber auch für Unternehmen in Deutschland viel auf dem Spiel stehe, heißt es aus Ministeriumskreisen. 2016 exportierten baden-württembergische Unternehmen Waren im Wert von 2,9 Milliarden Euro in die Türkei (minus vier Prozent). Im Gegenzug importierten baden-württembergische Unternehmen Waren im Wert von 2,7 Milliarden Euro aus der Türkei (plus zwei Prozent).