Nachdem der Dieb der Rentnerin die Beute entrissen hatte, trat er die Flucht an. (Symbolfoto) Foto: ©  DedMityay – stock.adobe.com

Eigentlich wartete sie nur vor einer Metzgerei darauf, eintreten zu können, als es geschah: Ein Mann entriss ihr den Geldbeutel gewaltsam und floh. Die Rentnerin setzte ihm nach, stürzte und verletzte sich. Nun musste sich der Täter vor dem Amtsgericht verantworten.

Rottweil - "Ich hatte an dem Tag nur die Drogen im Kopf", sagte der 32-Jährige. Er wisse nicht einmal mehr, wie er in die Rottweiler Innenstadt gekommen sei. Auch an die Tat erinnere er sich nur noch bruchstückhaft, erklärte er. "Ich sehe nur noch den roten Geldbeutel vor mir."

Ohne Geld und ohne Möglichkeit, das Heroin, von dem der 32-Jährige abhängig war, auf Kommission von seinem Dealer zu bekommen hatte der Mann aus dem Kreis Rottweil im August 2020 offenbar spontan den Entschluss gefasst, der älteren Dame in der Hochbrücktorstraße ihren Geldbeutel zu entreißen.

Rasante Verfolgungsjagd

Die heute 73-Jährige hatte diesen mit beiden Händen vor der Brust gehalten. "Plötzlich gab es einen Ruck", schilderte sie. Dann sei der Täter auch schon mit ihrer Geldbörse getürmt – quer über die Hochbrücktorstraße. Und die Rentnerin rannte hinterher. Als sie noch etwa einen Meter vom Täter entfernt war, stolperte sie über den Bordstein und stürzte auf der Fahrbahn.

Zwei junge Männer, die den Vorgang beobachtet hatten, setzten dem Dieb nach und konnten ihm den Geldbeutel abnehmen. Bei ihrem Sturz hatte sich die Rentnerin den Oberarm gebrochen. Monatelang habe sie unter Einschränkungen gelitten, verspüre hin und wieder noch Schmerzen.

Einen Groll gegen den Angeklagten hegte sie jedoch nicht. Zwar habe sie auch psychisch noch eine Weile mit dem Vorfall zu tun gehabt. Das sei jedoch vorbei, seitdem sie kurze Zeit nach der Tat einen Entschuldigungsbrief des Angeklagten erhalten habe. "Ich will nur, dass der junge Mann wieder auf den Weg kommt", meinte sie.

Zuvor nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten

Der Angeklagte war vor diesem Überfall strafrechtlich noch nie in Erscheinung getreten. Den Drogenkonsum habe er anfangs auch noch im Griff gehabt, sagte er. Nur hin und wieder auf Partys kam es dazu. Nach Speed und Kokain blieb er bei Heroin hängen. "Meine Scheidung trieb mich in den Drogensumpf", erklärte der 32-Jährige.

Seit 2015 habe er immer mehr konsumiert – zuletzt gut zwei Gramm Heroin täglich. Seine Arbeitsstelle hatte er aufgrund des Konsums bereits verloren. Somit blieb ihm kein Geld, um seine Sucht zu finanzieren.

In seiner Notlage habe er dann die Tat begangen. "Ich wollte das alles nicht. Es tut mir wirklich leid", versicherte er glaubhaft. Nach der Tat habe er erst realisiert, was er getan hatte. "Ich war fertig mit der Welt."

Bereits vor der Tat hatte sich der Angeklagte um eine Therapie bemüht. Im Herbst 2020, nach dem Vorfall, klappte es. Nach sechs Monaten ohne Drogen habe er nun kein Konsumbedürfnis mehr, sagte er. "Mit Drogen will ich nichts mehr zu tun haben."

In der Therapie hatte sich herausgestellt, dass der 32-Jährige es unter dem Druck, dem hohen Leistungsanspruch des Elternhauses zu genügen, unbedingt auf eigene Faust schaffen wollte und seine Überforderung mit Drogen behandelt hatte.

Vermindert schuldfähig

Der psychologische Sachverständige sprach von einer subdepressiven Stimmung, einer emotionalen Instabilität und einer eingeschränkten Frustration- und Stresstoleranz. Bei der Tat habe es sich um reine Drogenbeschaffungskriminalität gehandelt.

Aufgrund seines Rausches bei der Tat sei der Angeklagte vermindert schuldfähig gewesen. Seine Prognose sei eher günstig, da er die Motivation zeige, ein drogenfreies Leben zu führen, freiwillig eine Therapie angetreten habe und nun auf der Suche nach Arbeit sei. Die nächsten zwölf bis 24 Monate, die Zeit nach der "therapeutischen Käseglocke", seien aber entscheidend, so der Sachverständige. Sollte der Angeklagte rückfällig werden, so wären auch wieder Straftaten zu erwarten.

Richter Oliver Niefer verurteilte den Angeklagten wegen Raubes und Körperverletzung zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe und zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, sollte er wieder rück- und straffällig werden. Damit wolle man ihm kein Misstrauen entgegenbringen, sondern den besten Anreiz bieten, ein drogenfreies Leben zu führen, so Niefer. Denn so viel sei klar: "Sie haben noch einen schwierigen Weg vor sich."