Musste sich noch keine Sprüche anhören: Flüchtling Farid Jafari Foto: Lichtgut

Der FC Esslingen ist ein Beispiel für gelungene Integration im Land. Im Januar setzte er ein Zeichen gegen Rassismus. Auch Integrationsministerin Bilkay Öney wurde daher auf das Team aufmerksam, in dessen Reihen ein afghanischer Flüchtling spielt.

Esslingen - Das Training der U-19-Mannschaft vom FC Esslingen im Stadtteil Weil ist vorbei. Die Spieler sind in die Kabine verschwunden oder schon auf dem Weg nach Hause. Nur einer ist mit dem Co-Trainer Jochen Köstle noch da: Farid Jafari. „Ihn muss ich nicht fragen, ob er nach dem Training noch die Hütchen aufräumen könnte – er macht es einfach“, sagt Köstle.

Farid kommt aus Kandahar in Afghanistan, seit drei Jahren lebt der 17-Jährige nun in Deutschland. Seine Geschichte teilt er mit vielen anderen Flüchtlingen, die in Deutschland Asyl suchen. Kandahar liegt im Süden Afghanistans und ist mit fast 400 000 Einwohnern eine der größten Städte des Landes. Die gleichnamige Provinz gilt als Hochburg der Taliban.

Im Jahr 2001, dem Jahr der amerikanischen Intervention in Afghanistan, floh die achtköpfige Familie Jafari in den benachbarten Iran. Farid war drei Jahre alt. Zehn Jahre blieb die Familie dort, ehe sie nach Afghanistan zurückkehrte. „Ich wollte schon damals im Iran Fußball spielen. Aber weil ich keine Papiere hatte, durfte ich nicht“, erzählt er. Eine Schule hat er dort nie besucht.

Heute lebt er über 6500 Kilometer entfernt von seiner Heimat. Mit seinen Eltern, zwei Schwestern und drei Brüdern wohnt er in Oberboihingen im Landkreis Esslingen. Für den Weg zum Training braucht er hin und zurück jeweils etwa 90 Minuten. „Wenn die Bahn pünktlich kommt“, sagt er und lacht. Häufig sei er schon weite Teile der Strecke zu Fuß gelaufen, weil die Regionalbahn nur stündlich fährt. Dreimal pro Woche trainiert das Team, dazu kommt ein Spiel am Wochenende. „Das kostet schon viel Zeit“, aber ihn stört das nicht: „Hier habe ich gute Trainer und viele Freunde.“ Er fühlt sich wohl in Esslingen und lacht viel, während er erzählt. „Er ist ein sehr positiver Mensch“, sagt sein Co-Trainer.

Nachdem die Familie aus dem Iran nach Afghanistan zurückkehrte, blieb sie dort weitere drei Jahre. Dann floh sie vor den Taliban nach Europa, zunächst in die griechische Hauptstadt Athen. Dort habe Farid zum ersten Mal erlebt, was Rassismus bedeutet. Er sei geschlagen worden, und es kam sogar vor, dass manche Griechen ihn und seine Freunde von öffentlichen Plätzen vertrieben. Nach einem Monat Aufenthalt in Athen dann das einschneidende Erlebnis: Seine Eltern beschließen, mit den sechs Kindern per Flugzeug nach Deutschland zu fliehen. Mit gefälschten Pässen versuchen sie, an den Kontrollen im Flughafen vorbeizukommen, was auch funktioniert. Außer bei Farid. Bei ihm fliegt die Fälschung auf, und er muss allein in Griechenland bleiben – im Alter von 15 Jahren. „Die nächsten fünf Monate kamen mir vor wie fünf Jahre“, beschreibt er seine Zeit dort. Immer wieder habe er versucht, die Flughafenkontrollen zu passieren. „Bestimmt 60-mal.“ Dann klappte es.

Wieder vereint mit seiner Familie, kam er vor drei Jahren in ein Asylbewerberheim in Oberesslingen. „Am Anfang war es schwer. Wir lebten zu acht in einem viel zu kleinen Zimmer, und ich konnte die Sprache nicht. Deshalb wurde ich an der Schule ausgelacht“, so Farid. Er besuchte eine Vorbereitungsschule und eine Kooperationsklasse.

Deutschunterricht nahm er keinen, er lernte das meiste in der Schule oder im Alltag. Seit eineinhalb Jahren wohnt er in Oberboihingen. Noch vor dem Umzug fing er mit dem Fußballspielen an, bevor er zum FC Esslingen wechselte.

Farid ist ein Offensivspieler. „Klar merkt man einem Spieler, der im Gegensatz zu ihm alle Jugendmannschaften durchlaufen hat, die größeren technischen Fertigkeiten an. Dafür sind seine Schnelligkeit und Zweikampfstärke überragend“, sagt Köstle.

Deshalb fürchten ihn die Gegner. Mit Rassismus im Sport hat Farid aber noch keine Erfahrungen gemacht. „Das gibt es bei uns in der Bezirksstaffel auch sehr selten“, sagt sein Co-Trainer. „Eher in den unteren Klassen.“ Für Rassismus sieht Farid im Fußball aber ohnehin keinen Platz: „Da gibt es keine Rollen“, wie er es ausdrückt. Was er meint: Im Fußball ist jeder gleich. Das hat auch sein Verein, der FC Esslingen, erkannt. Er bildet eine Spielgemeinschaft mit dem TSV RSK Esslingen und bezog Stellung gegen Rassismus und Diskriminierung von Ausländern.

Im Januar ließen sich die Spieler für ein Hallenturnier T-Shirts mit dem Slogan „Respekt – Gemeinsam gegen Rassismus und Ausgrenzung“ bedrucken. „Die Idee dazu kam uns im Dezember wegen der Pegida-Demonstrationen. Wir wollten einfach ein Zeichen setzen. Dafür haben wir aber eine Aufmerksamkeit bekommen, mit der wir nicht gerechnet hatten“, sagt Köstle. Über die Aktion wurde in der Zeitung berichtet, und die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) lud das Team im Februar zur Eröffnung der Wanderausstellung „Vorbilder – Sport und Politik gemeinsam gegen Rechtsextremismus“ nach Stuttgart ein. Die Aktion des Teams sei laut Köstle vorerst eine einmalige Sache gewesen, „mal sehen, wie es weitergeht“.

Dass Rassismus im Sport kein Randphänomen ist, hat auch Joseph Blatter, Chef des Fußballweltverbandes Fifa, kürzlich festgestellt: „Wir haben ein ernstes Rassismus- und Diskriminierungsproblem. Wir haben die Regeln, aber nicht den Mut, Rassismus auf der ganzen Welt zu stoppen.“

Der FC Esslingen wird den Rassismus auf der Welt nicht stoppen können. Farid Jafari fühlt sich bei dem Verein aber gut aufgehoben und sagt, der Fußball habe ihm geholfen, akzeptiert zu werden. Im September hat er eine Schreiner-Ausbildung begonnen.