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Antisemitismusbeauftragter kritisiert Gewalt gegen Minderheiten. Nachholbedarf bei Aufklärung.

Rottweil - Terminabsagen und Platzprobleme: Die Corona-Pandemie erschwert Aufklärungsprojekte gegen Rassismus an Schulen und in Gotteshäusern, wie sie die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Rottweil leistet. Digitale Konzepte sind gefragt.

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"In unserer Synagoge in Rottweil gab es vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie regelmäßig Führungen für Schulklassen. Uns war es immer sehr wichtig, das Lebensgefühl in der jüdischen Gemeinde lebensnah zu vermitteln. Doch das ist nun so ohne weiteres nicht mehr möglich", bedauert Tatjana Malafy, Geschäftsführerin der Israelitischen Kultusgemeinde in Rottweil. Zwar habe man regelmäßig Schulklassen aus Rottweil, Freudenstadt und Villingen-Schwenningen die Gepflogenheiten des jüdischen Lebens zeigen können, jedoch seien die Anfragen der Schulen aus der Region seit dem Ausbruch der Pandemie gänzlich ausgeblieben. Auch vor Ort in der Synagoge seien Führungen aufgrund der nur schwer umzusetzenden Hygiene-Vorschriften nicht mehr möglich. Umso wichtiger sei daher der digitale Kontakt - insbesondere mit den Kindern. Derzeit sei man bei der Entwicklung eines Konzepts, um während der Pandemie ein digitales Bildungsangebot zur Verfügung zu stellen. "Gerade vor dem im Dezember anstehenden Hanukkah-Fest möchten wir Informationen über das Brauchtum zu Verfügung stellen, wie etwa durch das Bereitstellen festlicher Liedtexte."

Aufklärungsbedarf wächst weiter

Antisemitismus und Rassismus stellen auch in Baden-Württemberg ein Problem dar, wie die Zahlen auf der Seite des Verbandes der Beratungsstellen für Opfer rechter und antisemitischer Gewalt nahelegen. So verzeichnete die Stiftung "Leuchtlinie" in Baden-Württemberg für das Jahr 2019 insgesamt 431 Vorfälle rechter – oder vermutlich rechter –  Straf- und Gewalttaten. Im Jahr 2018 lag diese Zahl mit 464 auf einem vergleichbaren Niveau. Zugenommen habe jedoch die Zahl der Betroffenen, die sich direkt an die Beratungsstellen wendeten. Der Verband sieht darin einen Erfolg seiner mehrsprachigen Öffentlichkeitsarbeit.

"Ja, es gibt eine Zunahme von Rassismus", bestätigt der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung Michael Blume. Rassismus habe viele Gesichter und spiegele sich in allen Lebensbereichen wieder, so Blume. "Dies kann zum Beispiel der Vermieter sein, welcher eine bestimmte Gruppe von Menschen aus rassistischen Gründen als potentielle Mieter im Voraus ausschließt. Aber auch der Türsteher, welcher einer farbigen oder vermeintlich muslimischen Person den Eintritt in den Club verwehrt. Bis hin zu abwertenden Kommentaren oder der Anwendung von Gewalt." Laut dem Antisemitismus-Beauftragten habe eine Studie des Bundes eine Zunahme rassistisch motivierter Vorfälle seit 2006 von rund 19 Prozent verzeichnet. Die Antidiskriminierungsstelle gehe allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer wohl deutlich höher läge.

Internet als Hass-Brutstätte

Als Ursache für die Verbreitung von diskriminierendem Gedankengut sieht Blume den ungefilterten Austausch im Netz. "Im Internet finden wir nun ein Medium, welches abgeschottete digitale Räume für antisemitische und rassistische Meinungen und Gefühle bietet." Vor allem für Kinder bietet dieser Raum eine große Gefahr.

Dass das soziale Klima online rauer geworden ist, bestätigt auch der Sprecher des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, Markus Mertens. Den Grund dafür glaubt er zu kennen."Durch eine erstarkende neue nationalistische Bewegung und die Neue Rechte ist das soziale Klima insbesondere im Netz deutlich kälter geworden.", so Mertens. Fälle von Hassrede hätten deutlich zugenommen. Leider bleibe es nicht immer bei verbalen Attacken. So habe sein Verband zahlreiche Fälle zu betreuen, bei denen Einzelne Opfer rassistisch motivierter Angriffe geworden seien. 

Auch Blume sieht das Aufkommen von Fake-News und Verschwörungs-Gruppen als Anlass, verstärkt gegen rechte Ideologien vorzugehen. "Aufrufe zu Hass, Gewalt und Diskriminierung stehen gleichberechtigt und unkommentiert neben seriösen Nachrichten und Bildungsangeboten. So steigt auch der Bedarf an Angeboten wie Seminaren und Schulungen, die helfen, Hass im Netz zu erkennen und zeigen, wie man dagegen vorgehen kann."

Präventionsarbeit braucht digitale Lösungen

Laut dem Verband Deutscher Sinti und Roma sei ein konsequenter Umgang mit dem Thema wichtiger denn je. Derzeit mangele es trotz allem immer noch an sinnvoller Bildungsarbeit, die eine Minderheit als normalen Bestandteil der deutschen Gesellschaft beschreibt. Beispielsweise käme das Thema "Sinti und Roma" im Lehrplan vieler Schulen kaum bis gar nicht vor.

Die Lösung könnte im Bereitstellen digitaler Bildungsangebote liegen, vermutet Malafy. Als wegweisendes Präventions-Projekt sieht sie die Aktion des Zentralrats der Juden mit dem Titel meetajew. Dabei handelt es sich um eine Plattform, die dazu dient, Treffen mit jüdischen Mitmenschen zu ermöglichen, um so den Austausch anzuregen und Vorurteile über ein persönliches Kennenlernen abzubauen. Doch nicht nur die Qualität des Angebots spiele eine Rolle, sondern auch der Zeitpunkt der Nutzung, ist sich Malafy sicher. "Ich finde es sehr wichtig, dass die Aufklärungsarbeit so früh wie möglich beginnt."