Der Schaukasten beim Kircheneingang ist der Nachfolger des Verkündbuchs. Heute übernimmt das Internet hier wichtige Funktionen. Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Lektüre im Verkündbuch bringt interessante Details zum "praktischen Christsein" vergangener Jahrzehnte

Im Verkündbuch der St. Gallusgemeinde fand Pfarrer i.R. Norbert Dilger nicht nur den entscheidenden Hinweis zum Aufenthalt der "katholischen Spielschar" aus Karlsruhe in Rangendingen, sondern auch so großes Gefallen an dessen Lektüre, dass er sogar in durchwachten Nächten darin blättert.

Rangendingen. Denn, so erklärt der Ruheständler, so ein Verkündbuch sei nicht nur eine "unerschöpfliche Fundgrube, wenn es jemanden interessiert, wie es früher war", sondern durchaus auch ein Dokument der Zeit-Geschichte und gebe in manchen Bereichen sogar Einblick in die Theologiegeschichte. Es sei interessant zu lesen, wie sich viele Dinge, auch in der Kirche, geändert hat.

Dabei sei ein klassisches Verkündbuch natürlich kein theologisches Buch, sondern viel mehr eine Chronologie der Geschehnisse, die in einer Pfarrei passiert seien. Doch gäben die Aufschriebe durchaus auch Einblicke in die Auffassung zu theologischen Belangen und vor allem ins "praktische Christsein" der jeweiligen Zeitepoche.

"Da liegen Welten dazwischen", setzt Dilger das Gelesene ins Verhältnis zum Jetzt. Das Buch, das er für seine Recherchen durchblätterte, umfasst den Zeitraum vom 1. Juni 1952 bis zum 31. Dezember 1958 und wurde von Pfarrer Stephan Gauggel geführt. Dieser war Pfarrer in Rangendingen von 1947 bis 1978.

Die Verkündbücher seien bis in die jüngere Vergangenheit das wichtigste Kommunikationsmittel der Kirchen mit ihren Gemeinden gewesen, erklärt Dilger. Das älteste noch vorhandene Buch in Rangendingen stammt aus dem Jahr 1855, was allerdings nicht bedeute, dass nicht auch schon davor Verkündbücher geführt worden seien. In der St. ÄgidiusGemeinde Höfendorf beispielsweise ist das älteste Buch auf das Jahr 1819 datiert, in der St. Agatha-Gemeinde in Bietenhausen existiert sogar eines aus dem Jahr 1807.

Pfarrer benutzten die Sonntagsmesse für ihre Verkündungen

In früheren Jahren sei die sonntägliche Messe von den Pfarrern für Bekanntmachungen über die Belange und Termine in der Kirchengemeinde genutzt worden – "zu verkünden, was war, was aktuell passiert, aber auch, um einen Blick in die Zukunft zu werfen." Dies hat Spuren bis in die heutige Zeit hinterlassen, zumindest im Sprachgebrauch der älteren Rangendinger. Dort heißt es heute noch, dass ein Verstorbener "verkennt" werde, was nichts anderes bedeutet, als dass dessen Tod und Beerdigung von der Kirchengemeinde "verkündet" wurde.

Heute übernehme das Internet in dieser Beziehung vor allem für jüngere Gläubige diese wichtige Aufgabe, sagt Dilger. Bereits davor war das Verkündbuch durch die Veröffentlichung der kirchlichen Nachrichten im Amtsblatt und der Tageszeitung sowie dem Aushang im Schaukasten an der Kirchenpforte ersetzt worden.

"Weil nach Pfarrer Gauggel kein klassisches Verkündbuch mehr geführt wurde, war das Aufstellen des Schaukastens meine erste Anschaffung als neuer Pfarrer in Rangendingen", erzählt er. "Ich brauchte ja schließlich ein Kommunikationsmittel, um Informationen, Termine, Gottesdienste oder sonstige Anlässe der Kirche bekanntzugeben."

Und da sei früher noch ziemlich viel los gewesen in den Kirchen, viel mehr als heute. Ab morgens um halb sieben gab es Messen, Andachten, Rosenkränze, Vesper, Taufen, Maiandachten, Beichtgelegenheiten und Monatskommunionen, zählt er auf. Das Leben der Menschen war stark geprägt von der Kirche und die Verkündigungen ein Schlüssel dafür. Wer nicht in der Sonntagsmesse war, konnte nicht mitreden.

Die Bücher waren für die Pfarrer aber auch wichtige Nachschlagewerke, denn so manches im Jahreskreis wiederholte sich – und so konnte manches aus den vergangenen Jahren wiederverwendet werden. "Copy and paste" nennt sich das heute. Als Bub habe er manche Verlautbarungen des Pfarrers aus seiner Heimatgemeinde zu bestimmten kirchlichen Anlässen schon auswendig gekannt. "Bei der Fronleichnamsprozession rechts gehen, damit der Autoverkehr vorbei kann", erinnert sich Dilger lachend.

Da in der Regel nur der Pfarrer selbst in dem Buch las, sei die Handschrift an manchen Stellen etwas unleserlich und die Texte voller Abkürzungen. Als Anhang hatte Pfarrer Gauggel sämtliche Kollekten im Jahreslauf sauber aufgelistet. Außerdem sei es üblich gewesen, dass auf der ersten Seite des Buches ein Theologiespruch geschrieben stand: "Spiritus Domini replevit orbem terrarum, allelujah – Der Geist des Herrn erfüllt nun den Erdkreis, allelujah." Diesen Satz hatte Pfarrer Gauggel für sein Verkündbuch 1952 bis 1958 gewählt.

Manches in den Büchern lese sich wie ein Zeit-Dokument. Noch Anfang der 1950er Jahre haben es immer wieder Messen und Rosenkränze für "unsere Gefallenen und Vermissten" gegeben.

Die "Casualien" wurden am Ende eines jeden Jahres verkündet

Am Ende eines jeden Jahres findet sich stets eine Statistik, die "Casualien". So gab es 1952 in Rangendingen 34 Taufen und 15 Trauungen. Die "Heilige Kommunion" wurde 24 035 Mal ausgegeben, die "Heilige Osterkommunion" allein 1423 Mal. "Früher ging ein Katholik nur dann zur Kommunion, wenn er auch bei der Beichte war", kommentiert Dilger diese Zahlen. An Ostern waren das halt eben sehr viele.

Als Ergebnisse einer Kirchenzählung an einem normalen Sonntag im März notierte Gauggel 1278 Kirchgänger, im September waren es 1232. Die St. Gallus-Kirche musste proppenvoll gewesen sein. "Wer da nicht rechtzeitig kam, musste unweigerlich stehen, auch an einem normalen Sonntag."

An einer anderen Stelle im Jahr 1954 hatte Gauggel die Kirchgänger in der Frühmesse und im "Amt" sogar nach Männlein und Weiblein aufgeschlüsselt – 567 Männer und 717 Frauen. Angesichts dieser Zahlen kommt der langjährige Leiter der Seelsorgeeinheit Rangendingen ins Schwärmen: "Das sind bei 1848 Einwohnern fast alle Rangendinger – außer den Kindern und Schwerkranken, die nicht mehr gehen konnten."

War auswärts die Hochzeit eines Rangendingers, fehlten diese Kirchgänger natürlich am Sonntag in der St. Gallus-Kirche, was Pfarrer Gauggel nicht unbemerkt blieb und ihm auch nicht gefiel, was er als Notiz festhielt.

Pfarrer Gauggel war nicht immer zufrieden mit seinen Schäfchen. An die penibel gefalzten Seiten des Verkündbuchs packte er manchmal Notizen – die er zwar vermutlich nie vorlas – und manchmal auch seinen Unmut zeigen.

So schimpfte er zu Fronleichnam 1953: "Das Verhalten der Jungmänner (ist) wieder miserabel. Semper idem! – Immer das Gleiche!" Zuvor allerdings hatte er allerdings auch die geschmückten Straßen, die schönen Altäre, die gute Beteiligung und sogar das sommerliche Wetter an diesem Feiertag gelobt. Gauggel war also nicht nur ein Bruddler, sondern sah und anerkannte durchaus auch das Gute in seiner Gemeinde.