Erinnerungen aus 100 Jahren Wirtshaus-Geschichte: in einer Pappschachtel hat Lena Klaffschenkel ihre Fotos aus dem Löwen aufgehoben. "Die Fotos schaue ich mir immer wieder an", sagt sie. Das Gasthaus Löwen im Wandel der Zeit: Bis zum Ende hielt die Madonna am Giebel des Hauses ihre Hand über die Gäste. Manchmall gab es Streit, was auch sie nicht verhindern konnte. Fotos: Beiter Foto: Schwarzwälder-Bote

Ortsgeschichte: Lena Klaffschenke erinnert sich an ihr Leben mit dem "Löwen", der nun abgerissen wurde

Die Erinnerungen füllen einen kleinen Schuber aus Karton. Es sind hunderte alte und ganz alte, zum Teil schon vergilbte Fotos, die das Leben "Löwen" zeigen. Seit dieser Woche ist das mächtige Gebäude aus dem Ortsbild in Rangendingen verschwunden. Doch seine Geschichte lebt weiter.

R angendingen. Wenn Lena Klaffschenkel anfängt, über den Löwen zu erzählen, gehen ihr die Geschichten nicht aus. Das älteste Foto in ihrer Kiste zeigt ein Porträt ihrer Großmutter Apollonia Heck, geborene Birkle. "Von ihr kommt der Löwen", erzählt sie. Doch eigentlich reicht die Familiengeschichte der einst bäuerlichen Schankwirtschaft noch viel weiter zurück. Von der letzten Besitzerin Lena Klaffschenkel gerechnet sechs Generationen bis ins Jahr 1832.

Von den Großeltern übernahm deren Sohn Gallus Heck mit seiner Frau Barbara die Wirtschaft im Jahr 1946. Deren Tochter Lena war damals gerade vier Jahre alt. "Ich sehe heute noch, wie ich beim Umzug in den Löwen hinter dem Leiterwagen hergelaufen bin", erzählt sie. Ihr Leben im und mit der Wirtschaft hatte begonnen.

1951 bauten die Eltern den Löwen grundlegend um und gaben ihm sein heutiges Äußeres. Aus der kleinen Wirtsstube entstand eine richtige Wirtschaft mit Küche und einer modernen Theke, später wurden die beiden Nebenzimmer ausgebaut. Der Eingang wurde über eine Außentreppe in einem Anbau in den ersten Stock verlegt. Die Fenster erhielten kunstvolle Bleiverglasungen. Weil damals noch eine ganze Großfamilie in dem Haus wohnte, musste der Innenausbau etappenweise geschehen, erzählt die Wirtstochter. Immer wieder hätten die Eltern "dra rom g’modlet". Was all die Jahrzehnte überdauerte, war die Präsenz der Madonna am großen Giebel zur Straße. Als sie bei der Renovierung weichen musste, malte Kunstmaler August Schetter wieder eine neue, noch größere auf den Putz.

Lena Klaffschenkel und ihre beiden Geschwister wuchsen mit und in der Wirtschaft auf. Der Stubenwagen des Bruders habe in der Schankstube gestanden, erinnert sie sich. "Vorne in der Wirtschaft probte die Musikkapelle, hinten schliefen wir Kinder." Denn Vater Gallus Heck war damals Dirigent beim Musikverein, später auch bei anderen Kapellen und viel unterwegs.

Die Wirtin sorgte für die Bekochung der Gesellschaften

So hing die meiste Arbeit an ihrer Mutter, wie die Tochter erzählt. Denn’s Bärbele, wie die Wirtin gerufen wurde, stand auch in der Küche ihren Mann, wenn es galt, die Gesellschaften im Nebenzimmer zu bekochen. Und so war die Zeit nicht immer einfach im Löwen, beispielsweise, wenn der nahe Dorfbach und die Starzel Hochwasser führten. "Einmal haben wir die Gaißen aus dem Stall in die Wirtschaft hoch geholt", erinnert sich die Wirtstochter.

Es müsse um das Jahr 1955 herum gewesen sein, als der Löwen plötzlich bekannt geworden sei wie "ein bunter Hund", erzählt Lena Klaffschenkel.

Ihr Vater hatte eine Musikbox in der Schankstube aufgestellt. Der Löwen wurde über Nacht zum Treffpunkt junger Menschen. Von überall her seien vor allem junge Männer gekommen, "auch aus Hirrlingen", was natürlich auch öfters mal zu handfesten Streitereien geführt hätte, weil die Nebenbuhler nicht gerne gelitten wurden, lacht Lena Klaffschenkel. Trotzdem hätten nicht wenige der Gäste von auswärts im Löwen ihre große Liebe gefunden und seien dann auch in Rangendingen geblieben.

Als die Mutter 1974 starb, wurde die Wirtschaft ein paar Jahre verpachtet. Dann übernahmen Lena Klaffschenkel und ihr Mann Anton 1977 die Verantwortung. Er war Metzger und ebenfalls Wirtssohn, stammte aus dem Adler in Rangendingen. Der Löwen stand in seiner vollen Blüte.

Neben Hochzeiten und Familienfesten wurde vor allem Fasnet gefeiert

Die DLRG war Stammgast, Schachabende wurden im Löwen abgehalten, und die Gymnastikdamen kamen nach ihrer Turnstunde in den Löwen. Es wurden Hochzeiten gefeiert, Familienfeste aller Art und natürlich die fünfte Jahreszeit. "Damals war Fasnet noch Fasnet", erinnert sich die ehemalige Wirtin an rauschende Handwerkerbälle. "Hol Häs ra und Hüt", hätten die Männer gerufen und seien vom Stammtisch weg zum Maschgera oder zum Umzug gezogen. Überhaupt der Stammtisch: der sei damals "hoch" gewesen, vor allem am Montag, wenn es galt, das Wochenende und "den Fußball zu verkata".

"Damals war es richtig schee. Es war immer etwas los, die Leute geselliger, die Zeit einfach noch eine andere", erinnert sich die 75-Jährige. Und trotzdem fand sie ein rasches Ende. Als ihr Anton Klaffschenkel krank wurde, sah sich die Familie gezwungen, den Löwen aufzugeben. Weil sie dort keine Zukunft mehr für sich selber sah, wurde kaum noch etwas investiert. Die Wirtschaft wurde mehrmals verpachtet, doch der Erfolg blieb aus, und der Löwen fiel irgendwie aus der Zeit. Letztlich blieb nur noch der Verkauf an die Gemeinde. In dieser Woche wurde der Löwen nun abgerissen, um Platz für ein großes Bauprojekt zu machen.

Doch den eigentlichen Abschied vom Löwen hat Lena Klaffschenkel schon viel länger hinter sich. "Als wir die Wirtschaft aufgaben, war das für mich viel schwerer als jetzt", erzählt sie. "Meine Zeit als Wirtin, die misse ich bis heute sehr."