Seit zwölf Jahren führt Rainer Lorz die Stuttgarter Kickers als Präsident. Vor der Mitgliederversammlung spricht er über das große Ziel Aufstieg, das Verhältnis zwischen Trainer und Sportdirektor sowie die Namensrechte am Stadion.
An diesem Samstag (14.30 Uhr) spielen die Stuttgarter Kickers beim FC Nöttingen, am kommenden Montag (19 Uhr) findet die Mitgliederversammlung des Fußball-Oberligisten im SSB-Waldaupark statt. Präsident Rainer Lorz spricht über die sportliche und finanzielle Lage.
Herr Lorz, wie haben Sie das Ende der Siegesserie der Kickers verarbeitet?
Jede Serie endet einmal, und das ist auch gut so, damit nicht das Gerede über die Serie im Vordergrund steht, sondern unser Ziel. Dieses 2:2 gegen den FC Holzhausen sollte dazu dienen, die Sinne zu schärfen. Jedem Einzelnen muss klar sein, dass der Aufstieg für uns weiterhin kein Selbstläufer ist.
Wie schwer wird es, Platz eins zu verteidigen?
Mit der SG Sonnenhof Großaspach haben wir einen sehr guten und ernst zu nehmenden Konkurrenten. Sie gewinnen ihre Spiele zwar meistens knapp, bleiben aber immer am Ball. Wahrscheinlich brauchst du 80 Punkte, um direkt aufzusteigen.
Auf Platz drei beträgt der Vorsprung bereits 13 Punkte. Beruhigt Sie das?
Wir wollen unbedingt direkt hoch, mein Bedarf an Aufstiegsspielen ist gedeckt.
Was hat Sie an der Kickers-Elf im bisherigen Saisonverlauf am meisten beeindruckt?
Auch nach Highlights wie gegen Eintracht Frankfurt blieb die Mannschaft im Ligaalltag voll fokussiert. Die Spieler haben erkannt, dass jedes einzelne Spiel elementar wichtig ist. Sie wissen, dass es auf das Torverhältnis ankommen kann, sie sind gierig, von ihren eigenen Stärken überzeugter als in der vergangenen Saison, und die Mannschaft ist insgesamt reifer geworden. Das spüren auch unsere Fans.
Die daheim und auswärts voll mitziehen.
Unsere Zuschauerzahlen steigen weiter, wir erleben da derzeit schon eine große Nachfrage. Auswärts bringen wir mehr Fans mit als mancher Zweit- oder Drittligist. Deshalb tun die anderen Oberligisten ja auch alles dafür, dass wir in der Liga bleiben. Wir haben in dieser Liga praktisch 34 Pokalspiele.
„Die Kickers wird es immer geben“
Was passiert, wenn’s auch im fünften Anlauf nicht klappt?
Es heißt ja jedes Jahr, es ist die letzte Chance für uns. Es wird aber in jedem Fall weitergehen, die Kickers wird es immer geben. Aber die Konzentration im Verein liegt eindeutig auf den Spielen.
Wie enttäuscht wären Sie, wenn es zu keiner Vertragsverlängerung mit Trainer Mustafa Ünal kommen würde?
Also wir wissen genau, was wir an ihm haben. Wir wollen das Angefangene mit ihm fortführen – und er ja auch mit uns. Ich bin auch guter Dinge, dass wir das hinbekommen.
Sie wollten schon früher mit ihm verhandeln, er lehnte es aber ab und ist nun erst mit Beginn der Winterpause zu Gesprächen bereit. Was leiten Sie daraus ab?
Dass er sehr fokussiert ist auf das Sportliche. Er hat ja auch recht, dass die Winterpause lange genug ist, um in aller Ruhe die Gespräche zu führen. Das war ja auch ursprünglich der Plan.
Dann sprach sich herum, dass seine gute Arbeit auch woanders Begehrlichkeiten weckt.
Das war ja keine große Überraschung. Wir sprechen ja nicht nur miteinander, wenn Vertragsverlängerungen anstehen.
Befürchten Sie, dass der Coach ein anderes Angebot attraktiver finden könnte?
Das weiß ich nicht, ich denke nur über Dinge nach, die wir beeinflussen können. Er weiß ja auch, was er an uns hat. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass wir über die Saison weiter zusammenarbeiten werden.
Was schätzen Sie an Mustafa Ünal?
Er kennt das Umfeld bei uns sehr gut und ist sehr ehrgeizig, er hat einen klaren Fokus, eine klare Linie – und zieht diese voller Hingabe auch durch. Das ist elementar wichtig, wenn du nach oben kommen willst, und das war auch der Grund, warum wir ihn zum Cheftrainer befördert haben, was damals auch nicht jeder verstanden hat.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Chemie zwischen Ünal und Sportdirektor Marc Stein besser sein könnte. Könnte dies die Vertragsverlängerung gefährden?
Ich bin mit beiden im Austausch und weiß, dass sie professionell zusammenarbeiten und sich austauschen. Klar sind sie unterschiedliche Typen, das kann aber auch befruchtend sein. Entscheidend ist, dass jeder bereit ist, sich mit der Sichtweise des jeweils anderen auseinanderzusetzen und konstruktiv auszutauschen. Dieser Bereitschaft, die wir übrigens von jedem erwarten, der bei uns im Verein in der Verantwortung steht, sehe ich bei beiden.
„Längerfristig mit Stein arbeiten“
Sie sind also sicher, dass es mit beiden gemeinsam über die Saison hinaus weitergeht?
Ja, auf jeden Fall hoffe ich das.
Wie lange läuft der Vertrag von Marc Stein?
Als er vergangenen Januar vom VfB Stuttgart zu uns kam, haben wir uns auf eine längerfristige Zusammenarbeit verständigt.
Haben Sie jemals daran gedacht, Steins Vorgänger Lutz Siebrecht zu den Kickers zurückzuholen?
Es war seine Entscheidung, im September 2021 nach Moskau zu wechseln. Das war mitten in der Saison keine ganz einfache Situation für uns, aber wir konnten seine Beweggründe nachvollziehen und haben ihm die Möglichkeit nicht verbaut. Wir haben jetzt einen neuen Sportdirektor, von daher war das keine Überlegung für uns.
Was schätzen Sie an Marc Stein?
Dass er seine Profi-Erfahrung einbringt, die Dinge sehr analytisch angeht und gut vermitteln kann. Er hat klare Vorstellungen, wie wir als Verein weiterkommen, uns Schritt für Schritt professionalisieren.
Wird Neuzugang David Nieland nach der Winterpause noch für die Kickers auflaufen, und sind Verstärkungen geplant?
David Nieland ist aktuell leider verletzt. Den Markt beobachten wir natürlich aufmerksam. Grundsätzlich machen unsere Spieler einen super Job, andererseits muss man auch schon im Winter schauen, wie man sich für die kommende Saison aufstellt.
Kommen wir zur Mitgliederversammlung. Können Sie erneut ein positives Jahresergebnis verkünden?
Wenn man wie wir in der vergangenen Saison 91 Punkte holt, musst du auch ab und zu mal Prämien zahlen (lacht). Aber ja, wir haben erneut ein positives Jahresergebnis – auch wenn das Plus nicht wie im Vorjahr 251 000 Euro beträgt. Klar ist: Wir schwimmen nicht im Geld, befinden uns finanziell aber weiter auf einem guten Weg.
Neuwahlen stehen nicht an. Wie wichtig ist es, dass in den Gremien Kontinuität herrscht?
Das ist sehr, sehr wichtig. Wir können vernünftig und vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Seit einem Jahr ist Christian Steinle für Christian Dinkelacker als Aufsichtsratschef im Amt. Wie hat sich für Sie die Zusammenarbeit dadurch verändert?
Die Zusammenarbeit mit Herrn Steinle gestaltet sich – wie nicht anders erwartet – gut, zumal bei allen Gremienmitgliedern wie schon in der Vergangenheit das gemeinsame Ziel im Vordergrund steht, die Kickers wieder nach oben zu bringen. Für mich persönlich ist es aber eine andere Zusammenarbeit als in der Vergangenheit, da durch das jahrelange persönliche Miteinander mit Herrn Dinkelacker und das gewachsene Vertrauen vieles stärker auf Zuruf funktionierte.
„Aufstieg steht über allem“
Christian Steinle steht mit der Schwenkfahne im B-Block. Bei Herrn Dinkelacker war das eher weniger vorstellbar.
Ja, stimmt schon (lacht). Andererseits konnte und kann Herr Dinkelacker auch sehr emotional sein. Den Spagat zwischen Fan und Chef des Kontrollgremiums bewältigt Herr Steinle jedenfalls.
Sie hatten vor einem Jahr gesagt, sie wollten Ihren Nachfolger aufbauen und einarbeiten. Ist das angelaufen?
Ich habe mir die Option offengelassen, während meiner bis 2024 laufenden Amtsperiode aufzuhören. Nur will ich schon gerne das Thema Aufstieg erfolgreich erledigen, das ist für mich das über allem stehende Ziel.
Die Gegengerade im Gazi-Stadion wird ab 2024 ausgebaut. Was versprechen Sie sich davon?
Das Stadion wird dadurch noch tauglicher für höhere Ligen, aber auch für die Stadt bringt es Vorteile. Denken Sie nur an die Bewerbungen um Spiele bei internationalen Turnieren im Nachwuchs- oder Frauenbereich.
Stadionvermarktung Sache der Stadt
Die Namensrechte am Gazi-Stadion laufen am Ende der Saison 2023/24 aus. Stimmt es, dass Kickers-Hauptsponsor MHP Interesse angemeldet hat?
Das weiß ich nicht. Wir haben ja lediglich einen Nutzungsvertrag für das Stadion mit der Stadt. Die Frage der Vermarktung ist Angelegenheit der Stadt.
Was wünschen Sie sich zum Jahresausklang?
Dass wir alle fokussiert auf unser Ziel bleiben, aber bei möglichen Rückschlägen nicht die Ruhe verlieren. Im neuen Jahr wollen wir dann den Aufstieg feiern und wieder ins WFV-Pokal-Finale einziehen.
Führungsmannschaft der Kickers
Präsidium
Präsident Rainer Lorz (59, Rechtsanwalt), Schatzmeister Christian Hutter (37, Unternehmensberater), Ingo Kochsmeier (53, Betriebswirt), Holger Schäfer (65, Geschäftsführer CCP Condor Computer GmbH), Jürgen Kindler (50, Geschäftsführer Kratzer & Rieber Hoch- und Stahlbetonbau GmbH & Co).
Aufsichtsrat
Vorsitzender Christian Steinle (51, Rechtsanwalt), Alexander Lehmann (53, Geschäftsführer Minol Gruppe), Lutz Meschke (55, Vorstand Finanzen und IT der Porsche AG), Ralf Hofmann (59, geschäftsführender Gesellschafter von Porsche-Tochterunternehmen MHP), Philip Pfeiffer (43, selbstständiger Berater und Trainer im Bereich Gesundheitsmanagement und Stressprävention), Günter Daiss (83, Unternehmer), Daniela Koch (46, Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin), Stefan Hencke (60, Kommunikationsberater, Inhaber und Geschäftsführer Convensis Group), Steffen Müller (45, Projektleiter Einkauf bei der Mercedes-Benz AG). Kooptiertes Mitglied: Olaf Gerber (54, Rechtsanwalt und Notar).
Zur Person
Rainer Lorz wurde am 14. Dezember 1962 in Darmstadt geboren. Er ist in Berlin aufgewachsen und lebt seit 1995 in Stuttgart. Lorz spielte Fußball beim FV Wannsee Berlin und für die DJK Konstanz. 2005 kam er in den Aufsichtsrat der Kickers, seit 2010 ist er Präsident. Er ist Anwalt in Degerloch und Honorarprofessor an der Universität Stuttgart. Lorz ist verheiratet mit Mirjam. Hobbys: Golf und Literatur. (jüf)