Stefan Schumacher: Jetzt kämpft er gegen die Staatsanwaltschaft. Foto: dpa

Präzedenzfall: Der gedopte Radprofi Stefan Schumacher muss wegen Betrugs vor Gericht.

Stuttgart - Nächster Akt im Dopingfall Stefan Schumacher: Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied, dass ein Hauptverfahren eröffnet wird. Damit steht erstmals in Deutschland ein Dopingsünder wegen Betrugs vor Gericht - mit ungewissem Ausgang für den Radprofi.

Stefan Schumacher (30) hat schmerzhafte Wochen hinter sich. Im August brach er sich bei einem üblen Sturz in Italien die Schulter, weitergefahren ist er trotzdem. Wochenlang. Der Radprofi biss auf die Zähne, schließlich will er weg vom drittklassigen italienischen Team Miche-Guerciotti - und zurück ins Rampenlicht. Da konnte sich der Nürtinger keine Auszeit nehmen. Doch nun, da er auf dem Weg der Besserung ist, erhält er einen Dämpfer, der einem Sportler auf Arbeitsplatzsuche richtig wehtut: Schumacher, der seine Sperre längst abgesessen hat, wird erneut von seiner Dopingvergangenheit eingeholt.

Das liegt an der Staatsanwaltschaft Stuttgart, die ihm Betrug vorwirft. Schumacher war 2008 bei der Tour de France und den Olympischen Spielen in Peking mit dem Blutdopingmittel Cera erwischt worden. Bekannt wurde dies im Oktober 2008. Der Staatsanwaltschaft geht es um 150.000 Euro - das ist die Summe, die der Nürtinger in den drei Monaten dazwischen von seinem Arbeitgeber, dem Herrenberger Team Gerolsteiner, kassiert hat: "Seine Bezahlung basierte auf Täuschung, deshalb ist ein Vermögensschaden entstanden."

Die Fünfte Kammer des Landgerichts Stuttgart beurteilte den Fall anders und lehnte es ab, ein Hauptverfahren zu eröffnen. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft umgehend Beschwerde ein, über die jetzt das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden hat. Der Zweite Strafsenat schlug sich auf die Seite der Staatsanwaltschaft. "Aus unserer Sicht liegt ein hinreichender Tatverdacht vor", sagte Sprecher Matthias Merz. Eine Verurteilung wegen Betrugs sei wahrscheinlicher als ein Freispruch.

Diesen Weg hat bisher noch keine andere Staatsanwaltschaft eingeschlagen

Das Oberlandesgericht (OLG) begründet seinen Beschluss auf 14 Seiten - was zeigt, dass sich die Richter der Brisanz des Falls durchaus bewusst sind. "Die Sache wurde besonders sorgfältig und mit viel Aufwand geprüft", erklärte Merz. Ergebnis: Schumacher habe bewusst die Unwahrheit gesagt, es liege eine Bereicherungsabsicht und ein Vermögensschaden vor - alles Betrugstatbestände. Erfreut über diese Einschätzung zeigte sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Sprecherin Claudia Krauth sagte aber auch: "Es überrascht uns nicht, dass das OLG unsere Rechtsauffassung teilt."

Der Fall Schumacher ist deshalb so brisant, weil in Deutschland noch kein überführter Doper wegen Betrugs vor Gericht stand. Ein vergleichbares Verfahren gegen den früheren Telekom-Profi Jan Ullrich wurde 2008 von der Staatsanwaltschaft Bonn gegen Zahlung einer mittleren sechsstelligen Summe eingestellt. "Da werden unterschiedliche Maßstäbe angelegt", sagte Schumachers Anwalt Michael Lehner, "es ist natürlich noch kein Urteil gefällt. Aber Stefan tut mir fast leid, denn auf ihn ergießt sich alles. Er büßt für Dinge, die strafrechtlich nur schwer zu beurteilen sind."

Experten kritisieren schon lange, dass es in Deutschland kein scharfes Anti-Doping-Gesetz gibt. Sollte Schumacher nun wegen Betrugs verurteilt werden, hätte dies womöglich die gewünschte abschreckende Wirkung - schließlich hätten die hartnäckigen Stuttgarter Staatsanwälte den Beweis geführt, dass Dopingsündern auch mit den bestehenden Gesetzen weitaus mehr Ungemach droht als nur die Verurteilung durch Sportgerichte. Diesen Weg hat bisher noch keine andere Staatsanwaltschaft eingeschlagen. "Die Entscheidung des OLG sorgt für eine interessante Wendung", sagte Hans Holczer, Schumachers früherer Teamchef bei Gerolsteiner, "um zu sehen, was der Fall für den Anti-Doping-Kampf bringt, muss man aber den Ausgang des Prozesses abwarten." Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht beginnt wohl in Frühjahr 2012.

Stefan Schumacher, der bisher stets bestritten hat, gedopt zu haben, sieht dem Verfahren laut eigener Aussage gelassen entgegen. "Ich will mich dazu nicht groß äußern", sagte er gegenüber dieser Zeitung, "nur so viel: Ich werde mich kooperativ zeigen und Rede und Antwort stehen. Für mich ist wichtig, dass ich den Weg zurück in den Sport gefunden habe." Vier Rennen hat der Radprofi aus Nürtingen in dieser Saison gewonnen. Sein Wettlauf gegen die Staatsanwaltschaft ist noch nicht entschieden.