Die Radfahrerin verstarb noch an der Unfallstelle. (Symbolbild) Foto: dpa/Arnulf Stoffel

Eine junge Frau schläft am Steuer ein, es kommt zum tödlichen Unfall. Im Prozess zeigt sich ein tragisches Bild: Wie vorbildliches Verhalten die Tragödie trotzdem nicht verhindern konnte – und von einem Leben, das von Narkolepsie, der „Schlafkrankheit“ bestimmt ist.

Es ist ein ungewöhnlicher Fall, der am Amtsgericht Nagold verhandelt wurde. Im Juni 2023 erfasst eine Autofahrerin eine Radlerin auf der Landstraße zwischen Haiterbach und Gündringen. Die Radfahrerin stirbt. Die 22-Jährige wird per Strafbefehl wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Tötung zu einem halben Jahr auf Bewährung verurteilt – und legt Widerspruch ein.

 

Denn es handelt sich nicht um einen gewöhnlichen Fall, wird beim Prozess in Nagold deutlich. Die Angeklagte, heute 24, aus dem Kreis Freudenstadt, leidet an Narkolepsie, der sogenannten „Schlafkrankheit“. Fest steht: Sie hat den Unfall verursacht, als sie am Steuer einschlief. „Es gibt keine andere plausible Erklärung“, sagt Richter Link in seiner Urteilsbegründung. Strittig ist aber: Konnte sie etwas dafür?

Im Gericht schildert sie unter Tränen den Tag und den Unfall. Sie hatte morgens ihre Medikamente genommen, sogar ein Bedarfsmedikament obendrauf, um an diesem Tag für eine Familienfeier besonders wach zu sein. Am Vormittag fuhr sie mit dem Auto. Ab dem Ortsausgang Haiterbach hat sie eine Erinnerungslücke, die Erinnerung setzt erst wieder ein, als sich vorne das Fahrrad verkeilt hat und die 47-jährige Radfahrerin bereits auf der Straße liegt.

Arzt beschreibt sie als sehr zuverlässig

Sie sei ausgestiegen, habe mit der Reanimation angefangen. Ein anderer Autofahrer rief den Rettungsdienst.

Nun steht im Raum, ob sie fahrlässig gehandelt – also den Schlafanfall in Kauf genommen hat. Ihr behandelnder Arzt beschreibt sie als sehr zuverlässige und verantwortungsvolle Patientin.

Das Amtsgericht Nagold hat einen außergewöhnlichen und tragischen Fall verhandelt. Foto: Thomas Fritsch

Auch im Gericht kann sie per Medikamententagebuch nachweisen: Sie hat ihre Tabletten stets korrekt genommen. Zudem stelle sie sich vor jeder Fahrt einen Wecker auf 45 Minuten, nach denen sie ihren eigenen Zustand überprüft und eine Pause macht. Jedes Jahr lässt sie ihre Fahrtüchtigkeit überprüfen.

Allerdings: Zwei bis drei Monate vorher habe sie bereits bemerkt, dass ihre Konzentration schlechter würde, ein Medikamentenwechsel stand bereits im Raum. Sie fuhr trotzdem. Aber ihr behandelnder Arzt erklärt: Hätte sie ihm ihre Symptome beschrieben, er hätte ihr nicht vom Autofahren an einem Vormittag abgeraten.

Kurz nach dem Unfall fuhr sie ebenfalls in Begleitung, was dem Staatsanwalt „sauer aufstößt.“ Sie berichtet, dass ihre Psychologin ihr dazu geraten habe, um sich dem Trauma zu stellen. Den Ratschlag der Psychologin halte er für „unverantwortlich“, sagt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer.

„Ich stelle mir immer wieder die Frage, ob ich irgendwelche Anzeichen hätte sehen können, dass es zu diesem Blackout kam“, berichtet die Angeklagte. In diesem Punkt sind sich die Sachverständigen uneins: Ihr Arzt ist der Ansicht, dass bei Narkoleptikern immer merkliche Vorboten eines Schlafanfalls vorangehen. Das hätte bedeutet: Sie hätte den Anfall bemerken und angemessen darauf reagieren können – und auch fahrlässig nicht reagieren können.

Der anwesende Gerichtsmediziner, der als Sachverständiger bestellt ist, sieht die Sache jedoch anders. Er stellt die „Chronifizierung“ vor, ein Phänomen bei chronisch Erkrankten, bei dem sich diese an einen Zustand gewöhnen und ihn somit als Normalität nicht mehr bewusst wahrnehmen. Somit konnte die Angeklagte die Vorboten des Anfalls nicht bewusst wahrnehmen. Das Gericht folgt seinem Standpunkt.

Angeklagte war bei der Tötung schuldunfähig

Als sie die Frau erfasste, hat sie die Verkehrsregeln gebrochen – das war fahrlässig. Aber; Sie war eingeschlafen und damit schuldunfähig. Sie wird sowohl auf Antrag der Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft freigesprochen. Ihren Führerschein muss sie aber noch direkt im Gericht abgeben.

Doch Freispruch hin oder her, in ihrem Schlusswort sagt die junge Frau unter Tränen: „Ich möchte nur betonen, dass es mir im Herzen wehtut, ein Menschenleben genommen zu haben. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen.“ Doch da das nicht gehe, „heißt das nun, dass ich damit leben muss.“