"Sexuelle Belustigung" heißt das neue Bühnenprogramm von Julia Gámez Martin (rechts) und Pianistin Ariane Müller. 300 Besucher lassen sich in der Neckarhalle von "Suchtpotenzial" belustigen. Foto: Trenkle

Geplant war ihr Auftritt schon im vergangenen Jahr, doch dann kam Corona. Nun, mit hoffentlichem Abebben der Pandemie kamen die beiden mehrfach Preisgekrönten Musik-Comedy-Stars des Duos "Suchtpotenzial" nach Schwenningen in die Neckarhalle.

VS-Schwenningen - "Macht euch klar, dies ist nicht Facebook, da ist kein Bildschirm mehr dazwischen", so die beiden gleich am Anfang ihres Auftritts. "Wenn ihr Unverschämtheiten raushaut, dann hat das direkte Folgen und wir kommen zu euch runter." Und überhaupt: "Im Homeoffice waren wir von unseren Familien her gewöhnt, dass es um 20 Uhr Applaus gibt, wenn wir die Treppen nach unten steigen."

Deutscher Kleinkunstpreis

Sängerin Julia Gámez Martin aus Berlin und die schwäbische Pianistin Ariane Müller aus Ulm sind für ihren rabenschwarzen Humor bekannt. Viele Preise, darunter den Deutschen Kleinkunstpreis, haben sie inzwischen durch die professionell perfekt arrangierte Mischung aus Musik, treffsicheren Texten, jedoch auch witzig improvisierten Passagen und ihrer hervorragenden Bühnenpräsenz erhalten. 300 Zuschauer kamen am Freitagabend in die Neckarhalle, um das 2013 gegründete Duo zu sehen und zu hören. "Wir sind dreidimensional und ihr habt sogar Hosen an." Was das Publikum erlebte, war ein Überbordwerfen von Konventionen, interessante Wortgefechte, Gesangsduelle, ein virtuos geführtes Piano und ein zweistündiges Pointengewitter samt geforderter Zugabe.

"Systemrelevant" als Eingangslied

Gekränkt hat die beiden Künstlerinnen offenbar eine Feststellung während des Lockdowns und sie haben gleich ein Eingangslied daraus gemacht: "Systemrelevant". Lokführer, Ärzte, Krankenschwestern sind alle systemrelevant. "Danke dafür, aber was ist mit mir? Nie sagt jemand, lass sie durch, sie ist Clown. Nie sagt jemand: Das ist ein Notfall, ist eine Pianistin hier im Raum!"

Gleichberechtigung von Mann und Frau

Im Zentrum geht es im neuen Programm um die noch immer nicht erreichte Gleichberechtigung von Mann und Frau. Weder leidend-depressiv noch aggressiv-verbittert, sondern herausfordernd ironisch thematisieren die beiden die Ungerechtigkeit. Durch ein sprachliches Vertauschen der Blickwinkel entlarven sie oft vermeintliche Selbstverständlichkeiten: "Jetzt wollen tatsächlich schon mehrere Männer Bundeskanzlerin werden. Das ist ein Frauenberuf, was soll das?", so Julia Gámez Martin. "Ich bin konservativ und will keine Änderung der Sprache und sage künftig: Herr Bundeskanzlerin." Konservativ gelte übrigens auch für die AfD: "Früher war tatsächlich alles besser – als es die Partei noch nicht gab!"

Witze unter der Gürtellinie

Das weibliche Duo leistet sich nicht wenige Witze unter der Gürtellinie. Wenn Frauen diese über Männer machen, wird die Zotigkeit dabei erst richtig deutlich: "Wir geben den Männern mal einen Klaps auf den Po und sagen: Der hat super enge Hosen an, der will das doch so." Auch Liebeslieder seien voll mit Klischees. Wer habe die Frauen gefragt, die da umsungen werden. Mit schwülstigem Gesang und ausladender Pianobegleitung geht es dann um einen Herrn mit Bierbauch: "Klaus-Dieter, lass mich die Frau sein, die deine karierten Kurzarmhemden bügelt im Negligé. Du bist der Mann meiner Träume, ich dreh‘ durch, wenn ich dich seh‘."

Viel Applaus

Mit Applaus überhäuft springen Julia Gámez Martin und Ariane Müller durch viele musikalische Genres von Rap bis Jazz, Pop und Punkrock. Irgendwann landen sie bei einem "spanischen Klagelied" und Ariane Müller schwingt Kastagnetten. "Menstruacion" schreit sie: "Manchmal muss es raus, und ich lass‘ es einfach laufen."

Betrachtung der gesellschaftlichen Ungleichheit

Im Höhepunkt des Abends wurde die Betrachtung der gesellschaftlichen Ungleichheit, beispielsweise dem "gender pay gap", der ungleichen Bezahlung der Geschlechter, noch weiter auf die Spitze getrieben. Nach harmlos wirkendem Einstieg mit "Man sagt, wir Frauen seien das sanfte Geschlecht. So zart, so weich, so lieb, so wunderschön", kippt der Song im Refrain ins Gegenteil: "Wir sind genauso Scheiße wir ihr! Ich denk nicht an meinen Freund, während ich masturbier’. Wir sind genauso scheiße wie ihr. Wir pöbeln, wir rauchen, wir saufen, sind aggro wie ihr. Also Kohle her, bevor wir hier noch eskalieren."