Kann es das geben, ein Vereinigtes Königreich, eine Welt ohne Elizabeth II.? Im 71. Jahr ihrer Regentschaft und im Alter von 96 Jahren ist die Königin von England gestorben. Ein Nachruf.
Wie wird man sie in Erinnerung behalten? Auf jeden Fall: bunt. Um diesen Nachruf vielleicht mit einem Nebenaspekt zu beginnen: Die englische Königin hatte ein Faible für markante Mode, für Hüte und Kostüme in leuchtenden Farben. Und je älter sie wurde, desto knalliger wurden ihre Outfits.
Im rein privaten Leben bevorzugte die Queen jene „Colours“, die auch anderswo als altersgemäß gelten: Braun, Beige, Grau, Dunkelgrün. Und auch bei ihrem letzten öffentlichen Auftritt am vergangenen Dienstag, als sie Liz Truss zur neuen Premierministerin machte, trug sie Strick und Schottenkaro, sah kaum anders aus als Tausende andere älterer britischer Damen. Aber wenn sie in den Dutzenden Jahren davor draußen im Land unterwegs war, da wollte sie unbedingt leuchten. Warum? „Die Menschen warten oft Stunden an der Straße auf meine Ankunft, um mich aus der Nähe erleben zu können“, antwortete sie einmal auf die Frage. „Da sollen sie mich schon von Weitem erkennen können.“ Die königliche Garderobe als Dienst am Volk.
Ein Leben im Dienste ihres Landes
Hatte ihr Leben einen zentralen Satz? Wenn ja, dann war es dieser: „Ich erkläre vor euch allen, dass ich mein ganzes Leben, möge es nun lang oder kurz sein, in den Dienst an euch und an unserem Commonwealth stellen werde.“ Gesprochen hat ihn Elizabeth Alexandra Mary Windsor am 21. April 1947 in einer Rundfunkrede, live übertragen von Kanada bis Neuseeland – genau 21 Jahre nach ihrer Geburt 1926.
Nun muss ein 21-jähriger junger Mensch ganz sicher nicht die mögliche Tragweite solcher Versprechen überblicken können. Aber wenn aktuell gerade die ganze Welt einen Moment lang aufmerkt, weil von Schloss Balmoral im Norden Schottlands der Tod gemeldet wird von Elizabeth der Zweiten, „von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und ihrer anderen Königreiche und Territorien, Oberhaupt des Commonwealth, Verteidigerin des Glaubens“, dann wohl auch aus diesem Grund: weil sehr viele Menschen spüren, dass die nun im Alter von 96 Jahren verstorbene Monarchin ihr Versprechen tatsächlich wahr gemacht hat – ein Dienst für ihr Land von sage und schreibe siebzigeinhalb Thronjahren.
Bereits in jungen Jahren zur Ikone geworden
Gibt es überhaupt eine Welt ohne Königin Elizabeth II.? Viele Briten werden sich das nun ernsthaft fragen; für sie war die Monarchin von jeher Teil ihres persönlichen Lebens. Von den 15 Premierministern, die zu ihrem jeweiligen Amtsantritt vor Elizabeth wenigstens kurz niederknien mussten, um „Her Majesty’s Prime Minister“ zu werden, sind die meisten längst nur noch Randnotizen der Geschichte. Elizabeth aber, die Königin, blieb, über alle Wirren der Tagespolitik hinweg, allen Veränderungen, Wirtschaftskrisen, Streiks, Kriegen, Unruhen zum Trotz.
Und wie im eigenen Volk, so für die ganze Welt: Ihr Bild wurde über die Jahrzehnte milliardenfach verbreitet, sie wurde bereits in jungen Jahren zur Ikone, zur globalen Marke. Sie wurde das Andachtsobjekt von Royalisten und Traditionalisten ebenso wie von Künstlern und in der Popkultur. Sie war all die Jahre schlicht „The Queen“.
Die Krönung war eine religiöse Messe
Zu dieser ganz einmaligen, völlig unzeitgemäßen, ziemlich nicht modernen Aura trug bei, dass sie im britischen Staatssystem eben nicht nur ein reines Vorzeigeobjekt an Feiertagen war wie die royalen Kollegen in Norwegen, Schweden oder Holland, sondern formal in ihrem Land tatsächlich immer noch der Souverän – und die Bürger, sie waren ihre Untertanen, „the Queen’s subjects“.
„The King in Parliament“ nennen Staatskundler die britische Verfassung, die ja nie akkurat aufgeschrieben oder als Ganzes verabschiedet wurde, sondern sich in einem Sammelsurium einzelner Dokumente, Gewohnheitsrechte, in Traditionen und Ritualen manifestiert. Die älteste Demokratie der Welt lebt letztlich noch mit Formen und Formeln des Mittelalters – auch das trägt zum Respekt bei, die fast alle Welt vor der Queen stets empfand. Ihre Krönung am 2. Juni 1953 in der Westminster Abbey war kein profaner Staatsakt, sondern eine religiöse Messe. Im Rahmen der Zeremonie wurde die neue Königin vom Erzbischof gesalbt, und zwar mit „heiligem Öl“. Keine Kamera durfte diesen Moment filmen.
Premierminister erstattet persönlich Bericht
Einmal pro Woche musste der Premierminister ihr persönlich Bericht erstatten; auf dieses Recht bestand sie. Und jene Regierungschefs, die nach Ende ihrer Amtszeit Memoiren schrieben, gaben zu Protokoll, wie glänzend informiert Elizabeth fast immer über die Tagespolitik war, wie unangenehm ihre Nachfragen sein konnten.
Ansonsten, man muss es so schlicht ausdrücken, bestand die Hauptaufgabe der britischen Monarchin Elizabeth II. einfach darin, für die Ewigkeit zu sorgen; sprich: eine Familie zu gründen und dem Land potenzielle Thronfolger zu bescheren. Die wichtigste Entscheidung Elizabeths war deshalb zweifellos, auf eine Liebesheirat zu bestehen: Am 20. November 1947 heiratete sie den Marineoffizier Philip Mountbatten. Dies tat sie gegen starken Widerstand in Politik und Presse: Philip war zwar von Adel, aber familiär mit deutschen Wurzeln. Das wirkte so kurz nach dem opferreichen Zweiten Weltkrieg für viele als Affront. Doch die dann sage und schreibe 73-jährige Ehe mit ihrem Prinzgemahl – Philip starb im April 2021 – blieb stets nach außen stabil und bot der Queen wohl die wichtigste Stütze für ihr Leben unter den Augen der Öffentlichkeit.
Dianas Tod befördert das Bild von der herzlosen Queen
Auch die vier Kinder Charles, Anne, Andrew und Edward, geboren zwischen 1948 und 1964, zeugen von einem insgesamt glücklichen Eheleben. Danach allerdings brach die private Glücksphase jäh ab. Ab den 1970er Jahren lieferte die Familie Windsor dem Boulevard eine lange Kette unglücklicher Beziehungen, Skandale, Scheidungen, schier endlosen Klatsch- und Skandalstoff. Wobei das größte dieser Dramen, die scheiternde Ehe zwischen Thronfolger Charles und Lady Diana Spencer, sogar die Monarchie selbst infrage stellte.
Formal war Elizabeth im Recht, als sie sich 1997 zunächst weigerte, der in Paris tödlich verunglückten Diana ein Staatsbegräbnis zu gewähren; nach der Scheidung war diese nicht mehr Mitglied der königlichen Familie gewesen. Doch die öffentliche Trauer um Di nahm so irrationale Ausmaße an, die Kritik an der scheinbar „heartless Queen“ wurde derart laut, dass sich die Königin ihrem Volk beugen musste: Am 5. September zollte Elizabeth in einer TV-Ansprache der Mutter der Prinzen William und Harry ihren Respekt – und rettete so im Orkan der Emotionen wohl das ganze System.
Ein Leben, geprägt von Familiendramen
Kann eine Queen in Ruhestand gehen? Das sieht die englische Monarchie nicht vor; man bleibt Königin bis zum letzten Atemzug; das sah auch Elizabeth so. Und ihre Art, selbst jenseits des 70., 80. und 90. Lebensjahrs noch unermüdlich (und fast bis zum Schluss gesegnet mit guter Gesundheit) ihren öffentlichen Pflichten nachzukommen, nötigte selbst den Monarchiekritikern Respekt ab. Die Queen wurde endgültig unantastbarer Gemeinschaftsbesitz aller Briten – und Elizabeth konnte sich im hohen Alter herrliche Momente der Selbstironie leisten. Etwa, als sie sich in einem kleinen Film zum Auftakt der Olympischen Spiele 2012 in London von James Bond alias Daniel Craig per Hubschrauber zur Eröffnungsfeier fliegen ließ und scheinbar nach einem Fallschirmsprung in ihrer Loge landete. Die Britische Filmakademie erklärte sie nach dieser Rolle offiziell zum „best Bond-Girl ever“.
Selbst weitere Familiendramen, wie die Flucht ihres Enkelsohns Harry mit seiner Frau Meghan in die USA 2020, konnten ihrem Ansehen nicht mehr schaden. Im Blick ihrer Bewunderer erschien sie ein wenig gebeugter, zarter, leiser auch als früher – aber würdevoller denn je. Eine Jahrhundertfigur.
Wie soll ein Nachruf auf die Queen enden? Wieder mit der Erinnerung an eine ihrer Farben. Am 17. Mai 2011 besuchte sie Irland; es war der erste Staatsbesuch überhaupt zwischen den beiden seit Jahrhunderten so innig verfeindeten Nachbarländern. Straßenproteste junger Iren waren angekündigt. Und dann stieg Elizabeth II. in Dublin aus dem Flugzeug – und war gekleidet in einem durch und durch grünen Kostüm, also in der Farbe der Iren. Wie löste die Queen die Probleme, die sie mit ihren politisch sehr begrenzten Mitteln lösen konnte? Indem sie leuchtete. Sie wollte, dass man ihre Botschaft auch von Weitem sah.