Queen Elizabeth II. ließ sich von ihrem Sohn Prinz Andrew (rechts) in die Westminster Abbey begleiten. Foto: AFP/RICHARD POHLE

Ausgerechnet Prinz Andrew begleitet die Queen zum Gedenkgottesdienst in die Westminster Abbey. War es eine bewusste Geste von Elizabeth II.? Und was halten Prinz Charles und Prinz William davon?

Wahrscheinlich war ein bewusstes Zeichen – und eines, das jetzt in Großbritannien kontrovers diskutiert wird: Vor hunderten Gästen und Fernsehkameras kam Queen Elizabeth II. in die Westminster Abbey in London, zum Gedenkgottesdienst für ihren verstorbenen Mann Prinz Philip. An ihrer Seite: Prinz Andrew, ihr wegen Missbrauchsvorwürfen in Verruf geratenen zweitältester Sohn. Ausgerechnet von ihm ließ sich die 95-jährige Königin an ihren Platz geleiten.

Die Windsors, Vertreter des europäischen Hochadels und viele andere Gäste kamen am Dienstag zusammen, um den am 9. April 2021 gestorbenen Prinz Philip zu ehren. Die Beerdigung des Herzogs von Edinburgh hatte damals wegen der Corona-Pandemie nur im kleinen Kreis stattgefunden.

Dass die Queen am Arm von Prinz Andrew in die Kirche ging, ist ein Politikum. Der 62-jährige Herzog von York hatte erst Mitte Februar mit einem wohl millionenschweren Deal eine Zivilklage wegen Missbrauchsvorwürfen der US-Amerikanerin Virginia Guiffre abgewendet. Noch bis vor kurzem hatte es Spekulationen gegeben, er werde sich womöglich gar nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen.

„Vielleicht setzte die Queen hier ihre Mutterrolle vor die Monarchie“

Britische Medien werteten den gemeinsamen Auftritt als ein klares Signal, dass die Monarchin trotz des Skandals zu ihrem Sohn hält und ihm auch weiterhin bei familiären Anlässen einen Platz zugedacht hat. Die „Daily Mail“ berichtet, Palastoffizielle befürchteten, Andrew werde sich peut à peut ins royale Geschehen zurückschleichen. Der Royal-Experte des Blattes, Richard Kay, kommentierte: „Vielleicht setzte die Queen hier ihre Mutterrolle vor die Monarchie. Jahrelang wurde sie dafür kritisiert, dass sie die Krone wichtiger nahm als ihre Familie. Diese Geste war eine kraftvolle Erinnerung daran, dass – bei all ihrer Hingabe für den Dienst an ihrem Volk – ihr Muttersein ihre größte Bestimmung ist.“

„Das war kein Zufall“, sagt hingegen der frühere Royal-Korrespondent der BBC, Peter Hunt. „Sie hat sich im Grunde entschlossen, die Menschen daran zu erinnern, dass er kein Fehlverhalten eingestanden hat, dass er sich nichts hat zu Schulden hat kommen lassen, dass er unschuldig ist“, sagte Hunt. Auf Twitter gab Hunt jedoch zu bedenken, dass Andrew „Millionen an eine Frau gezahlt hat, von der er behauptete, sie niemals getroffen zu haben“.

Wie reagieren Prinz Charles und Prinz William?

Fraglich sei, wie sich Prinz Charles und sein Sohn Prinz William zur Haltung der Queen positionieren, so der Royalexperte Hunt. Britische Medien berichteten übereinstimmend, Charles und William hätten es am liebsten, Andrew ziehe sich dauerhaft aus dem engsten Kreis zurück. Offenbar stellt sich die Queen in diesem Punkt aber offensiv gegen ihre Thronerben.

Die „Daily Mail“ berichtet, hochrangige Familienmitglieder seien nicht begeistert von dem Bild, das Andrews Auftritt an der Seite seiner Mutter vermittelte. „Daily Mail“-Journalist Andrew Pierce sagte bei „Good Morning Britain“: „Andrew ist der Mann, der gerade einen Missbrauchsprozess durch eine Zahlung von 12 Millionen Pfund abgewendet hat.“ Es lasse die Royals nicht gut aussehen, dass ausgerechnet Andrew die Queen an ihren Platz begleite – „sie hätten jemand anderen finden können.“

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Elizabeth II. wirkte gebückt und bewegte sich nur langsam, strahlte während des Gottesdienstes aber die gewohnte Entschlossenheit aus. Die 95-Jährige hatte sich wegen ihres Gesundheitszustandes erst am Dienstagmorgen - wenige Stunden vor dem Gedenkgottesdienst - zur Teilnahme entschlossen, wie der Palast mitteilte. Sie lebt inzwischen dauerhaft auf Schloss Windsor nahe der Hauptstadt und scheute die rund 40 Kilometer weite Fahrt nach London zuletzt.

Seit etwa einem halben Jahr sagt die Queen immer wieder Termine ab. Sie hat eine Corona-Infektion durchgemacht und benötigt im Jahr ihres 70. Thronjubiläums immer häufiger eine Gehhilfe. Einen Rollstuhl soll die Monarchin ablehnen, wie britische Zeitungen berichten.

Europas Hochadel vertreten

An dem Gottesdienst nahmen unter anderem König Felipe VI und Königin Letizia von Spanien, König Willem-Alexander und Königin Máxima aus den Niederlanden, König Harald und Königin Sonja von Norwegen, König Carl Gustaf und Königin Silvia von Schweden, König Philippe und Königin Mathilde von Belgien sowie Königin Margrethe von Dänemark teil. Auch Premierminister Boris Johnson und mehrere Minister seines Kabinetts waren dort.

Etwas eingeschüchtert von der feierlichen Atmosphäre in der ehrwürdigen Kirche mit Hunderten Würdenträgern und vielen Uniformierten wirkte der achtjährige Prinz George. Die Nummer drei der britischen Thronfolge suchte immer wieder die Nähe seines Vaters Prinz William. Routiniert hingegen lächelte seine sechsjährige Schwester, Prinzessin Charlotte, als sie mit ihrer Mutter Herzogin Kate die Kirche betrat.

Als einziger der Queen-Enkel nicht dabei: Prinz Harry. Er und seine Ehefrau Herzogin Meghan waren mit ihren Kindern in den USA geblieben, wo sie seit zwei Jahren nehmen. Sie nehmen seit ihrem Rückzug vom Königshaus keine royalen Pflichten mehr wahr. Das Verhältnis zum Rest der Windsors ist besonders nach einem aufsehenerregenden Interview des Paares mit Talk-Show-Legende Oprah Winfrey im US-Fernsehen zerrüttet, in dem die beiden der Königsfamilie Rassismus vorwarfen. Dass Harry dem Gedenkgottesdienst für seinen Großvater fern blieb, hatte in seiner alten Heimat für Unmut und Unverständnis gesorgt.