Immer mehr alte Menschen brauchen Hilfe, doch es fehlen Pflegekräfte. Foto: dpa

Heime werben Altenpfleger aus Konkurrenzbetrieben ab – Auf vier offene Stellen kommt ein Bewerber.

Stuttgart/Ludwigsburg - Spekuliert hat man in Ludwigsburger Pflegeheimen wohl schon länger über die Kopfgelder für neue Mitarbeiter. Wie das in der Pflege- und Betreuungsbranche üblich ist, nur hinter vorgehaltener Hand. Doch nun gibt es „einen aktuellen Fall“, der Bernhard Schneider veranlasst hat, „öffentlich über diese Methoden zu informieren“, schreibt der Geschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung in einem offenen Brief. Adressiert ist er an den Ludwigsburger Landrat Reiner Haas.

Was ihn empört: Die Wohnbereichsleiterin einer Einrichtung der Evangelischen Heimstiftung in Ludwigsburg habe von einem Abwerber der Kleeblatt gGmbH, die 28 Heime im Kreis Ludwigsburg betreibt, das Angebot bekommen, für eine Prämie in Höhe von 1500 Euro zu Kleeblatt zu wechseln. Der Werber, ein Mitarbeiter der Kleeblatt gGmbH, sollte nach erfolgreicher Vermittlung ebenfalls 1500 Euro erhalten.

Schneider muss sich nicht über den Verlust einer qualifizierten Fachkraft ärgern: „Unsere Mitarbeiterin hielt der finanziellen Verlockung stand, weil sie wohl weiß, dass Geld nicht alles ist“, so Bernhard Schneider. Aber er fragt: „Wo soll das enden? Sollen sich die Altenhilfeträger im Landkreis Ludwigsburg mit Kopfprämien gegenseitig überbieten?“ Er bezweifelt auch, dass sich ein öffentlicher Träger wie der Landkreis Ludwigsburg, der Gesellschafter der Kleeblatt gGmbH ist, dies „erlauben darf und ob es klug ist, in eine solche Abwerbestrategie zu investieren“.

Dementi bei der Kleeblatt gGmbH

Bei der Kleeblatt gGmbH, in der Städte, Gemeinden und Landkreise als Eigentümer in der Gesellschafterversammlung sitzen, löste Bernhard Schneiders offener Brief Befremden aus. „Mir ist dieser konkrete Fall nicht bekannt“, sagt Geschäftsführer Walter Lees. Er dementiert, dass jemals ein Headhunter beauftragt worden sei, um bei der Evangelischen Heimstiftung und ihren 74 Einrichtungen in ganz Baden-Württemberg Pflegekräfte abzuwerben.

Der Geschäftsführer räumt aber ein, dass es in seinem Haus das Programm „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“ gebe. „Wenn unsere Angestellten jemanden für unsere Pflegeeinrichtungen gewinnen können, der mindestens eine 50-Prozent-Stelle annimmt, bekommen sie zwischen 300 und 500 Euro Prämie“, so Lees. Vorausgesetzt, der neue Mitarbeiter bleibt auch noch nach Ablauf der Probezeit im Haus. Das Geld dafür stamme aus dem Budget für Stellenanzeigen, weil dieses längst nicht mehr aufgebraucht werde: „Auf vier offene Stellen gibt’s gerade mal einen geeigneten Bewerber“, so Lees.

Aus diesem Grund ist kaum eine der ansässigen oder bundesweit operierenden Personalvermittlungsagenturen, sogenannte Headhunter (Kopfjäger), an einem Auftrag aus der Pflegebranche interessiert. „Es gibt keine Leute auf dem Markt“, sagt eine Personaldienstleisterin aus Stuttgart. Man müsse sich sehr „reinknien“, was sich zuletzt kaum auszahle. Personalvermittler und Headhunter arbeiten abhängig von Provisionen, die sich am Jahresgehalt orientieren. Bei Pflegekräften, deren durchschnittliches Monatsgehalt bei 2600 Euro brutto liegt, ist mit der Provision nicht so viel Staat zu machen wie bei einem Industrie-Manager.

Wiedereinsteigerinnen können halbtags als Hilfspflegerinnen arbeiten

Dass die Kleeblatt gGmbH Personal fischt, das von anderen Pflegeheimträgern teuer aus- oder fortgebildet worden ist, weist Walter Lees weit von sich. „Wir bilden zurzeit selbst 72 junge Leute aus, wir überbrücken Lücken während der Ferienzeit oder bei längerer Krankheit von Mitarbeitern mit Hilfe von Zeitarbeitsfirmen, und wir übernehmen in bestimmten Fällen auch die Fortbildungskosten früherer Arbeitgeber“, sagt er. Die Angebote für seine Mitarbeiter seien gut: Wiedereinsteigerinnen können halbtags als Hilfspflegerinnen arbeiten und innerhalb von vier Jahren eine Ausbildung zur examinierten Altenpflegerin machen; die Arbeitszeiten könnten flexibel gestaltet werden; man rekrutiere gemeinsam mit der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft qualifi-zierte Pflegerinnen in Portugal und Spanien, – „ein System Abwerbung haben wir nicht nötig“.

Im Ludwigsburger Landratsamt war man überrascht von Schneiders Vorwürfen: „Der angebliche Vorfall ist uns unbekannt. Wir erachten den Vorwurf für haltlos, werden ihm aber nachgehen“, lässt die Pressestelle wissen. Landrat Rainer Haas war nicht im Haus, er habe sich aber darüber gewundert, dass sich die Heimstiftung nicht als Erstes an die Geschäftsführung der Kleeblatt Pflegeheime gewandt habe. Bernhard Schneider, der bis 2011 Chef des Stuttgarter Eigenbetriebs Leben und Wohnen war, nimmt den Vorwurf gelassen: „Überraschungen machen das Leben reicher“, sagt er. Mit der Abwerbestrategie von Kleeblatt werde „eine Grenze überschritten, die nicht akzeptiert werden kann und die, gerade bei einem öffentlichen Träger, auch öffentlich diskutiert werden sollte“.