Pupsen und popeln vor dem Partner? Was Langzeitpaare gegen die eigene Verwahrlosung tun können

Julika Wolf
Was tun, wenn nach vielen Jahren der Beziehung die Luft raus ist? Foto: KI/Midjourney/Montage: Sebastian Ruckaberle

In vielen Langzeitbeziehungen ist irgendwann die Luft raus. Doch das muss nicht sein. Der Stuttgarter Paartherapeut Oliviero Lombardi und der TV-Therapeut Eric Hegmann geben Tipps.

Jetzt ist es raus: Fünf von sechs Personen in einer Langzeitbeziehung pinkeln vor dem Partner. Drei Viertel pupsen oder rülpsen, wenn der Lieblingsmensch im Raum ist – und vier von fünf Personen drücken vor dem Liebsten sogar ihre Pickel aus.

 

Klingt absurd? Zurecht. Die Zahlen stammen von einer Umfrage der Plattform Joyclub, einem sozialen Netzwerk für Sexualkontakte. Sie basiert auf den Angaben von 1900 Joyclub-Mitgliedern – repräsentativ ist sie also nicht. Trotzdem: Pupsen und popeln vor dem Partner, ist das ein Tabu oder irgendwie Normalität? Vor allem, wenn man schon lange zusammen ist?

Oliviero Lombardi ist Paartherapeut in Stuttgart Foto: Oliviero Lombardi

„Wenn das nicht Teil der Erotik ist – auch das gibt es –, sondern ein Zeichen davon, dass das Paar sich gehen lässt, ist es definitiv ungünstig“, sagt Oliviero Lombardi. Er ist Paartherapeut in Stuttgart und beschäftigt sich qua Amt oft mit Paaren, bei denen die Luft raus ist. Für Fragen über Ekel-Tabus ist er deshalb eigentlich überqualifiziert. Aber mit den Langzeitbeziehungen kennt er sich aus.

Er sagt, es sei immer gut, wenn in einer Beziehung beide ein bisschen was Geheimnisvolles bewahren. Dass Paare die Hemmungen voreinander fallen lassen, sei ein schleichender Prozess. Zu Beginn machen sich viele noch schick, wollen den anderen beeindrucken und erobern. „Ist das mal erreicht, nimmt das Engagement ab“, sagt Lombardi. „Der eine lässt sich gehen, dann lässt sich der andere auch gehen.“ Oder – in Bezug auf die Joyclub-Umfrage: „Der eine lässt die Tür zur Toilette offen, dann macht es der andere auch.“ Damit eine Beziehung nicht den Schwung verliert, brauche es Engagement von beiden. „Ansonsten lebt man sich auseinander. Wie es in 80 Prozent der Beziehungen passiert.“

Seiner Erfahrung nach ist ein häufig gebrochenes Tabu etwas viel Subtileres als Pupse oder Rülpser. Nämlich die eigene Verwahrlosung. „Kein Zähneputzen, kein Haare kämmen, in bekleckerten T-Shirts und schmutzigen Jogginganzügen auf dem Sofa lümmeln“, zählt er auf. Das seien Zeichen mangelnder Wertschätzung.

Fast noch schlimmer findet er allerdings, wenn die Haltung dem anderen gegenüber verwahrlost. „Man interessiert sich nicht mehr für den anderen, führt keine Gespräche mehr, verbringt seine Zeit lieber auf der Arbeit oder beim Sport als mit dem Partner“, sagt er. Nicht, dass nicht jeder auch mal sein Ding machen dürfe. „Unbedingt“, sagt er. Aber eben gezielt.

Was kann man tun, damit die Langzeitbeziehung nicht einschläft?

Was kann man also tun, damit die eigene Beziehung nicht zu den 80 Prozent gehört? Er zählt auf: Ein liebevoller oder auch sehnsüchtiger Blick. Das Berühren des anderen beim Vorbeigehen. Spontan an den anderen denken, und ihn das auch wissen lassen. Dem anderen sagen, was man an ihm gut findet. Solche Sachen. „Das macht übrigens auch etwas Positives mit demjenigen selbst“, sagt er. Laut Lombardi ist das Geheimnis Authentizität. Also: Sich so zu verhalten, wie man sich selber gut findet. „Dazu kann auch mal ein Rülpsen oder ein Pups gehören“, sagt er. Das sei etwas anderes, als wenn man sich nicht mehr pflegt und sich dem anderen gegenüber keine Mühe mehr gibt.

Der Paartherapeut Eric Hegmann arbeitet in seiner TV-Serie und dem Podcast „Die Paartherapie“ mit Menschen an ihrer Beziehung. Foto: NDR/Janine Meyer

Auch Eric Hegmann kennt sich mit Langzeitbeziehungen aus. Er hat regelmäßig Paare auf seiner Couch und hilft ihnen in der ARD-Serie „Die Paartherapie“ . Was denkt er: Was ist in Langzeitbeziehungen wichtig?

„Sicherlich Kommunikation“, sagt er. Aber: „Ganz viele Paare, die zu mir kommen, sind hervorragend in ihrer Kommunikation.“ Das Problem sei eher, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und benennen zu können – und es auszuhalten, wenn die Bedürfnisse des Partners nicht so sind, wie man sich das wünscht. „Dann ist die Frage: Wie kann ich damit umgehen, dass der Partner meinen Wunsch nicht erfüllen möchte?“, sagt er.

Überhaupt sollte man das mit den Konflikten lernen: weder vermeiden noch eskalieren lassen. Und auch mit unlösbaren Konflikten sollten Paare umzugehen lernen. „Im besten Fall so, dass man sich trotzdem als Paar verbunden fühlt“, sagt er. Dass das Paar seine Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern als Ergänzung sieht. „Das muss man trainieren“, sagt er. Gerade Langzeitpaare hätten das ganz gut drauf. „Sonst wären sie nicht so lange zusammen.“

Was empfiehlt Hegmann, um den Spark zu erhalten? „Freundlichkeit und Verbindung sind da schon sehr hilfreich“, sagt er. „Probieren Sie Dinge aus, die Ihnen Spaß machen und die Ihnen Sicherheit bringen.“ Mal soll der eine etwas planen, mal der andere. Mal soll man etwas machen, das beide noch nie gemacht haben, mal etwas, das beide gerne machen.

Er zitiert den britischen Bindungsforscher John Bowlby: „Eine gute Beziehung ist wie der sichere Hafen, von dem aus die Partner die Welt erkunden“. „Man bemerke: Da steht nicht ‚gemeinsam erkunden’“, sagt er. Denn beides brauche seinen Raum: sowohl der Teil in uns, der Geborgenheit, Harmonie und Verschmelzung braucht, als auch der Teil, der entdecken und autonom sein will. „Das ist das Geheimnis einer Beziehung“, sagt er.

Kleine Aufmerksamkeiten helfen, die Beziehung frisch zu halten

Kleine Dinge, die den Spark erhalten, sind zum Beispiel die sogenannten Bids for Connection nach dem US-amerikanischen Psychologen John Gottman. Das sind kleine Einladungen zur Verbindung mit der anderen Person. Eine Tasse Tee zum Beispiel, oder ein süßes Katzenvideo. „Je mehr die Paare auf diese Einladungen eingehen, desto zufriedener werden sie in ihrer Beziehung“, sagt Hegmann. „Im Grunde ist das Freundlichkeit.“ Die sei aber wichtig, um die ständigen kleinen Verletzungen, die Menschen sich in einer Beziehung zufügen, auszugleichen.

Letztlich sei eine Langzeitbeziehung ein langer Weg mit all den Veränderungen, die das Paar im Laufe der Zeit durchmacht. „Wir verlieben uns nicht einmal in eine Person, sondern immer wieder“, sagt er.

Deshalb gehöre auch dazu, Gespräche über die Themen und Veränderungen zu führen, die irgendwann aufkommen werden. „Wenn Sie wirklich gut sind, dann üben Sie diese Gespräche, wenn alles in Ordnung ist, damit Sie diese Techniken nutzen können, wenn es nicht in Ordnung ist“, sagt er. Mit Themen wie Monogamie, sexueller Unlust und Leidenschaft würden Paare sich irgendwann zwangsläufig beschäftigen dürfen.

Auch hier gilt wieder: „Es gibt keinen Schalter, das sollte man einfach trainieren“, sagt er. „Aber zum Glück ist auch eine ganze Menge Spaß und Freude dabei.“

Gilt das vielleicht auch für Pupse vor dem Partner?