Katze statt Mann? Glaubt man sozialen Netzwerken bevorzugen immer mehr junge Frauen heutzutage das Lebensmodell kinderlose Katzenfrau. Foto: IMAGO//lev dolgachov

Immer mehr Menschen in Deutschland sind Single. Vor allem junge Frauen setzen häufiger als früher auf enge Frauenfreundschaften und Haustiere. Die kinderlose Katzenfrau ist für sie kein Schimpfwort mehr, sondern ein Kompliment. Juliane Hartmann aus Heilbronn erzählt, wie sie ohne Partner ihr Glück gefunden hat.

Allein ins Kino zu gehen oder den Silvesterabend ohne Begleitung zu verbringen – für viele undenkbar. Für Juliane Hartmann (Name geändert) wurde es zur Realität. Vor drei Jahren hat sich die 34-Jährige, die in einem kleinen Dorf in der Nähe von Heilbronn lebt, von ihrem letzten Partner getrennt. Seitdem ist sie Single.

 

Doch Single zu sein, bedeutet nicht nur persönliche Herausforderungen. Für Juliane Hartmann kommen gesellschaftliche Erwartungen hinzu, die sie immer wieder spürt. In den ersten Monaten nach der Trennung war sie deshalb noch fest davon überzeugt, dass sie einfach nur jemand Neues kennenlernen muss. Dass sie eine Beziehung braucht. Hartmann meldete sich bei Dating-Apps an und erlebt eine Enttäuschung nach der anderen. Irgendwann entscheidet sie sich dafür, etwas ganz anderes zu tun. Also etwas, was sie bisher in ihrem Leben viel zu wenig gemacht hat: Sie kümmert sich erst einmal um sich selbst.

Ihr Leben ist ziemlich ausgefüllt – auch ohne Mann

Sie hat einen interessanten Job und viele Zusatzausbildungen gemacht, sie macht mehrmals die Woche Sport, kümmert sich um ein Pferd und hat zwei Katzen. Sie liest viel psychologische Literatur über Beziehungen und beschäftigt sich damit, warum ihre letzten beiden Beziehungen so unglücklich verlaufen sind.

Ihr Leben ist ziemlich ausgefüllt. Aber da ist auch immer diese Stimme. Die Stimme sagt: „Eigentlich solltest du wieder einen Partner haben.“ Die Stimme, das ist auch ihr Umfeld. Die Stimme, das ist auch die Gesellschaft, die einer jungen Frau nach wie vor noch unterschwellig vorschreibt, dass da ein Mann in ihrem Leben sein muss. „Im Freundeskreis muss ich mir schon immer wieder Sprüche anhören“, sagt Hartmann. Die Klassiker halt: „Du bist doch hübsch und intelligent – wieso findest du denn niemanden?“ Oder noch schlimmer: „Wir finden jemand für dich!“

In einer Gesellschaft, in der romantische Partnerschaften als zentrale Lebensziele dargestellt werden, haben alleinstehende Menschen oft mit Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen. Der Begriff „Singelism“, geprägt von der Sozialpsychologin Bella DePaulo, beschreibt genau diese Ungleichbehandlung: Singles werden oft benachteiligt, sowohl sozial als auch ökonomisch, und gelten als weniger erwachsen oder egoistischer im Vergleich zu verheirateten Menschen. Dieses gesellschaftliche Urteil spürt auch Juliane Hartmann in ihrem Alltag.

Die strukturelle Diskriminierung zeigt sich auf verschiedensten Ebenen, von Steuervergünstigungen, die verheirateten Paaren vorbehalten sind, bis hin zu gesellschaftlichen Erwartungen und negativen Stereotypen. So sagte zum Beispiel der designierte Vizepräsident der USA, J.D. Vance, im Wahlkampf, die USA werde inzwischen von „kinderlosen Katzenfrauen“ regiert, die unzufrieden mit ihrem eigenen Leben seien und andere Menschen im Land nun ebenfalls unglücklich machen wollten.

Kinderlosen Katzenfrauen sind nicht unbedingt unglücklich

Im US-Wahlkampf antwortete Pop-Star Taylor Swift auf ihrem Instagram-Account nonchalant auf diesen Vorwurf. Sie unterzeichnete ihren Post, in dem sie für Kamala Harris warb, mit „Taylor Swift, Childless Cat Lady“. Die Single-Influencerin Annika Woettki postete kürzlich ein lustiges Reel, indem sie ihren Hund fragt: „Sollen wir uns wieder einen Mann ins Haus holen?“ – Der Hund antwortet: „Nee, die machen voll viel Arbeit und Dreck!“ Von diesen ironischen Videos gibt es tausende auf Instagram und Tiktok. Nach dem Motto: Liebe eine Katze oder ein Hund statt einem Mann.

Tita Gonzalez Avilés, Psychologin und Forscherin an der Universität Mainz, hat sich intensiv mit den psychologischen und sozialen Auswirkungen des Singledaseins befasst. Sie erklärt: „Singles sind oft glücklicher als Personen, die in einer unglücklichen Beziehung leben.“

In einer im Juni 2024 im Fachmagazin Personality and Social Psychology Bulletin veröffentlichten Studie hat Gonzalez Avilés mit Kollegen zusammen die Angaben von 2936 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verschiedener Geburtsjahrgänge analysiert. Demnach sind Jugendliche im Alter zwischen 14 und 20 Jahren heutzutage mit ihrem Singleleben zufriedener als Gleichaltrige vor zehn Jahren. „Die Jugendlichen haben heute insgesamt einen geringeren Wunsch nach einer Beziehung. Vielleicht ist dies eine Erklärung für die größere Zufriedenheit mit dem Singleleben“, sagt Gonzalez Avilés.

Die promovierte Psychologin Tita Gonzalez Avilés forscht an der Universität Mainz über Zufriedenheit mit dem Singleleben. Foto: PR/Steffen Walther

Unter den jungen Erwachsenen im Alter von 24 bis 30 Jahren und den Erwachsenen im Alter von 34 bis 40 Jahren war keine größere Zufriedenheit im Verlauf der Zeit zu beobachten. Ab dem 40. Lebensjahr wiederum nimmt die Zufriedenheit mit einem Leben ohne Partner wieder zu. Ein Faktor dafür sei vermutlich, dass gesellschaftliche Erwartungen wie die Verpflichtung, eine Familie zu gründen, in diesem Alter an Bedeutung verlieren. „Die Lebensmitte könnte einen wichtigen Wendepunkt für das Wohlbefinden von Alleinstehenden darstellen“, erläutert Gonzalez Avilés.

Auch Juliane Hartmann merkt, dass sie mit Mitte 30 in einer Art Zwischenphase steckt. Noch empfindet sie den gesellschaftlichen Druck, doch sie spürt, wie dieser langsam nachlässt. „Vielleicht auch, weil ich mir nicht unbedingt Kinder wünsche“, sagt sie.

Menschen, die allein leben oder Single sind, nehmen in den letzten Jahren zu. Dies zeigen auch Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Im Jahr 2002 lebte in etwa 40 Prozent der deutschen Haushalte nur eine Person – eine deutliche Zunahme im Vergleich zu den 1950er Jahren. Damals waren es etwa halb so viele.

Die Zahlen sind in anderen westlichen Ländern ähnlich. In Schweden zum Beispiel sind 47 Prozent Single-Haushalte. Damit ist es das Land in Europa, in dem am meisten Menschen allein leben. Wie die Plattform „Dating beyond borders“ (deutsch: Dating jenseits von Grenzen) berichtet, sei Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit inzwischen tief in der schwedischen Kultur verankert. So würden junge Schweden durchschnittlich viel früher von zu Hause ausziehen, mit 18 Jahren, und auch später heiraten und Kinder bekommen – häufig erst mit Mitte 30.

Die eigene Selbstverwirklichung steht bei vielen an erster Stelle

Während in Schweden das Alleinleben fast schon zur Norm gehört, kämpft Hartmann in ihrem kleinen Dorf noch mit traditionellen Erwartungen. Sie geht davon aus, dass es Singles in einer Großstadt leichter hätten. Um sie herum seien fast alle in ihrem Alter verheiratet und hätten Kinder.

Der länderübergreifende Anstieg deutet auf einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel hin. „Junge Menschen verbringen mehr Zeit mit der Ausbildung und streben eher nach Autonomie und Selbstverwirklichung“, sagt Gonzalez Avilés. Und es gebe auch eine größere Akzeptanz für verschiedene Lebens- und Beziehungsmodelle.

Trotzdem herrschten noch viele Vorurteile gegenüber Singles. Dies zeige sich besonders in der Art und Weise, wie die Gesellschaft über Singles spreche und denke. Alleinstehende würden oft als Personen betrachtet, denen etwas fehlt, als ob sie unvollständig wären, solange sie keinen Partner haben. Gonzalez Avilés sieht diese Wahrnehmung kritisch und argumentiert, dass ein erfülltes Leben auch ohne romantische Partnerschaft möglich ist. „Das Vorhandensein einer Partnerschaft wird hierzulande leider immer noch stark überbewertet“, sagt sie.

Singles sind mitnichten unvollständige Wesen

Sie plädiert für ein differenziertes Verständnis: „Singles sollten nicht als unvollständige Menschen betrachtet werden, sondern als Individuen, die andere Lebensschwerpunkte haben.“ Der Wunsch nach Partnerschaft ist nach wie vor allgemein groß, doch viele Menschen erkennen heute, dass Liebe und Partnerschaft keine Garantien für Glück sind. Ein erfülltes Leben ist auch dann möglich, wenn man sich selbst an die erste Stelle setzt und ein starkes soziales Netz pflegt.

Denn die eigentliche Frage ist, das betont auch Gonzalez Avilés, wie gut jemand sozial eingebunden ist, durch Freundschaften, Familie und berufliche Netzwerke. Singles hätten häufiger sehr viel schönere und engere Freundschaften. Während verheiratete Menschen dazu neigten, sich stärker auf ihren Partner zu verlassen und sich weniger intensiv um ihre Freundschaften kümmerten, investierten Singles oft mehr Zeit und Energie in die Pflege ihr soziales Umfeld.

Alleinsein gibt ihr auch Selbstvertrauen

Trotz aller Vorurteile plant Juliane Hartmann immer wieder neue Herausforderungen – zum Beispiel allein essen gehen oder auf ein Konzert. Durch bewusstes Alleinsein könne jeder viel über sich selbst lernen, glaubt sie. Sie schätze inzwischen ihre Freiheit und empfinde auch kein krasses Defizit, weil sie keinen Partner habe.

Beziehungsmodelle veränderten sich immer mehr, vielleicht sei auch die Monogamie überholt. „Ich habe da für mich aber noch kein passendes Konzept gefunden“, sagt sie. Was sie aber allgemein glaubt, ist: „Was alleinstehenden Frauen häufig fehlt, ist kein Mann, sondern eine Gesellschaft, die ihr zutraut, trotzdem zufrieden zu sein.