Mehr junge Menschen und Studierende klagen über Stress, Ängste und depressive Verstimmungen. Foto: dpa

Stress kann psychisch belasten – doch dahinter steht nicht immer eine depressive Erkrankung. Wie erkennt man, wann es um mehr geht als nur eine schwere Lebensphase? Und wann welche Hilfe nötig ist? Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Stuttgart - Insbesondere junge Menschen suchen sich zunehmend Hilfe – und geben an, unter einer depressiven Verstimmung zu leiden oder psychisch stark belastet zu sein. Doch wie erkennt man, ob man wirklich Hilfe braucht – oder gar ernsthaft krank ist? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist der Unterschied zwischen einer psychischen Belastung und einer Erkrankung?

Nicht immer habe eine depressive Verstimmung etwas mit einer depressiven Erkrankung zu tun, sagt Ulrich Hegerl, der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Denn es gibt einen großen Unterschied: Für eine Depression bedarf es einer Veranlagung – die kann vererbt sein oder durch Traumata in der Kindheit entstehen. „Eine Depression ist keine Befindlichkeitsstörung, sondern eine schwere Erkrankung, die mit Veränderungen der Hirnfunktion einhergeht“, sagt Ulrich Hegerl, Direktor der Leipziger Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Zwar können Überforderungssituationen oder Veränderungen im Leben eine depressive Episode auslösen. Doch viele Menschen erkranken auch unabhängig von solchen äußeren Faktoren.

Woher weiß ich, ob ich ernsthaft erkrankt bin?

Beispiel Depression. Niedergeschlagenheit oder Lustlosigkeit kennen wohl viele Menschen. Um eine Depression könnte es sich laut internationalen Diagnosekriterien dann handeln, wenn mehrere Symptome länger als zwei Wochen anhalten. Zu diesen Anzeichen zählen gedrückte Stimmung, permanentes Erschöpfungsgefühl, Unfähigkeit Freude zu empfinden, Appetitstörungen, oft mit Gewichtsverlust. Dazu kommen häufig Konzentrationsprobleme, große Selbstzweifel und Schuldgefühle, hartnäckige Schlafstörungen. „Wenn man merkt, dass man sich komplett verändert hat, sich in einem tiefen Loch fühlt, aus dem man keinen Ausweg sieht, sollte man einen Hausarzt oder Facharzt aufsuchen – also einen Psychiater oder Nervenarzt“, sagt Hegerl.

Für eine erste Selbsteinschätzung gibt es auch zwei Fragen, die einen Hinweis auf eine depressive Episode geben können: Habe ich mich im vergangenen Monat häufig niedergeschlagen, bedrückt, traurig oder gar hoffnungslos gefühlt? Und: Hatte ich in dieser Zeit deutlich weniger Freude an Dingen, die ich sonst gerne mache? Werden beide Fragen mit „Ja“ beantwortet, kann es ratsam sein, mit dem Hausarzt abzuklären, wie stark die depressive Episode ausgeprägt ist – und ob es einer Behandlung bedarf.

Wie ist das bei Ängsten und Anspannung?

Eine generalisierte Angststörung beispielsweise könnte vorliegen, wenn eine Person länger als sechs Monate große Sorgen und eine Anspannung im Hinblick auf alltägliche Ereignisse empfindet – und verschiedene psychosomatische Symptome wie Herzklopfen, Schweißausbrüche oder Reizbarkeit auftreten. Ursache sind vermutlich genetische Einflüsse, fehlende Botenstoffe im Gehirn und mitunter auch Bindungsprobleme in der Kindheit. Auch hier ist der Hausarzt eine erste Anlaufstelle.

Welche Möglichkeiten gibt es, wenn man Probleme hat – oder krank ist?

Die erste Anlaufstelle bei andauernden Problemen und großen Belastungen ist die Hausarztpraxis. Die Hausärzte können abklären, ob womöglich eine Depression vorliegt – und vermitteln gegebenenfalls an Therapeuten oder Fachärzte, also Psychater oder Nervenärzte. Für Studierende bieten die psychologischen Beratungsstellen der Studierendenwerke Rat.

Depressionen beispielsweise sind mit professioneller Hilfe häufig gut behandelbar: Medikamente – also Antidepressiva – wirken auf Ungleichgewichte der Botenstoffe im Gehirn. Die Psychotherapie ist nach Empfehlung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe eine weitere Säule der Behandlung. Patienten lernen dabei beispielsweise, Gedankenmuster zu verändern und mit belastenden Situationen anders umzugehen. Das Problem ist allerdings: Betroffene müssen oft viele Wochen auf einen Termin beim Facharzt oder Psychotherapeuten warten. „Es gibt große Versorgungsengpässe“, sagt Ulrich Hegerl. Und: Vermutlich die Hälfte der Betroffenen sucht gar keine Hilfe auf. Digitale Angebote könnten hier eine Ergänzung sein – zumindest dann, wenn sie professionell begleitet werden.

Hilft es, etwas im Alltag zu verändern?

Etwas am eigenen Lebenstil zu verändern kann mitunter zumindest jenen helfen, die sich psychisch stark belastet fühlen – beispielsweise unter Stress und Dauerdruck stehen. Studien weisen darauf hin, dass regelmäßige körperliche Bewegungpositive Effekte auch auf das seelische Wohlbefinden hat. Experten empfehlen außerdem, während der Arbeit regelmäßig Pausen einzulegen: Der Wechsel von Anspannung und Entspannung sei für die psychische Gesundheit wichtig. Auch regelmäßige Meditations- oder Achtsamkeitsübungen können wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge wirksam sein – und Denkmuster verändern.

Wie gut helfen Online-Programme – und für wen sind sie geeignet?

Inzwischen gibt es zahlreiche internetbasierte Interventions- und Präventionsprogramme. Sie heißen Pro Mind, Mood Gym, Deprexis oder Depressions Coach und werden von den gesetzlichen Krankenkassen angeboten. Helfen sollen sie bei leichten psychischen Problemen, Stress oder auch Depressionen. Die Online-Kurse wurden gemeinsam mit Universitäten oder Forschungsinstituten entwickelt und auf ihre Wirksamkeit geprüft, heißt es bei der Stiftung Warentest. Sie sollen die Behandlung ergänzen oder Wartezeiten überbrücken.

Das internetbasierte Programm „MoodGym“ wurde von australischen Wissenschaftlern entwickelt und von Medizinern an der Universität Leipzig übersetzt und angepasst. Es wird von der AOK gefördert, steht aber auch anderen Versicherten zur Verfügung. „Eine wissenschaftliche Untersuchung hat gezeigt, dass moodgym bei leicht und mittelgradig depressiven Patienten die Beschwerden weiter verringert, wenn es ergänzend zur Behandlung eingesetzt wird“, heißt es dazu von der AOK Baden-Württemberg.

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe stellt das nicht kommerzielle Tool „iFightDepression“ zur Verfügung, das vom Hausarzt, einem Facharzt oder einem psychologischen Psychotherapeuten angeboten und begleitet wird. „Selbstmanagement-Programm“ nennt Hegerl das – das sei für Patienten mit leichten Depressionen geeignet. Studien hätten gezeigt, dass derartige Online-Module ähnlich gute antidepressiv wirken wie eine klassische Face-to-face Psychotherapie. Hegerl warnt aber auch: Eine ärztliche Diagnose könnten solche Programme nicht ersetzen. Es sei gefährlich, wenn Menschen, die an der mitunter lebensbedrohlichen Depression erkrankt seien, sich im Netz selbst Hilfe suchen. Schließlich könne ein Online-Programm nicht erkennen, wenn jemand zum Beispiel suizidgefährdet sei.