Sicherheitsschleuse in der Zwiefaltener Psychiatrie (im Fokus unseres Fotografen): Obwohl es sich um ein Krankenhaus handelt, sind die Sicherheitsvorkehrungen hoch Foto: Leif Piechowski

Schon wieder sind drei Straftäter aus der Psychiatrie in Zwiefalten geflohen. Trotz des neuerlichen Vorfalls hat sich im Maßregelvollzug einiges getan. Besserungen sind in Sicht.

Zwiefalten/Stuttgart - Schon wieder sind drei Straftäter aus der Psychiatrie in Zwiefalten geflohen. Die Männer wurden schnell gefasst. Trotz des neuerlichen Vorfalls hat sich im Maßregelvollzug einiges getan. Künftig sollen die Sicherheitsvorkehrungen deutlich besser werden.

Die Flucht dauerte nur knapp neun Stunden. Um 2 Uhr in der Nacht zum Mittwoch war drei Straftätern die Flucht aus dem Zentrum für Psychiatrie in Zwiefalten, im Landkreis Reutlingen, gelungen. Kurz vor 11 Uhr am Vormittag war sie schon wieder vorbei. Die drei Ausbrecher waren bis dahin offenbar ziemlich planlos durch die Gegend geirrt und nur wenige Kilometer weit gekommen. Ein Spaziergänger setzte der Flucht ein Ende. Er hatte im Autoradio eine Warnmeldung der Polizei gehört und die drei verdächtigen Gestalten in der Nähe von Gauingen gesehen. Die Fahnder griffen zu, ohne dass sie auf Widerstand stießen.

Doch trotz des schnellen Endes rückt der Ausbruch erneut die forensische Abteilung der Psychiatrie in Zwiefalten auf unangenehme Weise in den Blickpunkt. Dort sitzen in einem Sicherheitsbereich Straftäter mit Suchtproblemen ein. Sie sollen dort therapiert werden. Bis zu 70 solcher Patienten gleichzeitig nimmt die Klinik auf. Und nachdem zehn Jahre lang fast nichts passiert war, haben sich die Ausbrüche zuletzt gehäuft. Innerhalb von elf Monaten sind dort bei vier Ausbrüchen elf Straftäter getürmt. Immerhin sitzen inzwischen alle wieder hinter Schloss und Riegel. Doch die Frage bleibt: Wie kann man solche Zwischenfälle künftig verhindern?

Die Klinik hat Maßnahmen ergriffen – und baut um

Die Klinik hat reagiert. Für eine halbe Million Euro wird sie derzeit umgebaut. Dafür soll es unter anderem zusätzliche Videoüberwachung und einen neuen Krisenbereich geben, in dem besonders renitente Patienten untergebracht werden. Schwere Türen mit Klappe, in den Zellen nur eine Matratze, ein Sitzwürfel und eine Sanitärecke. An den Fenstern Panzerglas und elektronische Sicherung. Viel mehr ein Gefängnis als ein Krankenhaus. Die offizielle Einweihung ist für den 9. Dezember geplant.

Doch ob dieser Umbau im aktuellen Fall etwas genützt hätte? „Das ist schwer zu sagen“, antwortet Hannes Moser auf diese Frage. Der Chefarzt der forensischen Psychiatrie in Zwiefalten weiß, dass jede Erhöhung der baulichen Sicherheit unweigerlich zu einem zweiten Problem führt: Manche Patienten suchen den Weg in die Freiheit dann über einen Angriff aufs Personal. So ist es auch am frühen Mittwochmorgen passiert.

„Unsere Mitarbeiter haben bemerkt, dass sich die drei Männer im Raucherzimmer aufhalten“, erzählt Moser. Bei einer Kontrolle seien sie angegriffen worden. Die Ausbrecher raubten Schlüssel und Telefone. Einer Mitarbeiterin gelang es dennoch, einen Alarmknopf zu drücken.

In die Köpfe der Patienten kann man nicht hineinsehen

Moser geht davon aus, dass das die ursprünglichen Pläne der Täter durcheinander brachte: Sie mussten ohne Auto zu Fuß flüchten und kamen letztendlich nicht weit. Hilfreich sei dabei eine weitere Sicherheitsmaßnahme gewesen, die die Klinik zuletzt neu eingeführt habe, so der Chefarzt: „Wir haben die Nachtwache von zwei auf drei Leute aufgestockt.“ So sei es schon rein zahlenmäßig eher möglich, bei Zwischenfällen Hilfe zu rufen.

Dennoch: In die Köpfe der Patienten schauen können Ärzte und Pfleger nicht. Wer will sich wirklich helfen lassen? Wer will nur die besseren Lebensbedingungen in der Psychiatrie genießen oder gar den Aufenthalt dort zur Flucht nutzen? „Dieser Ausbruch jetzt hat alle überrascht“, sagt Moser. Zwar hätten sich alle drei Männer in der Therapie schwer getan, sich aber durchaus bemüht gezeigt. Die drei waren wegen Eigentums- Gewalt- und Drogendelikten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden und sollten in Zwiefalten ihre Drogenprobleme bekämpfen. Mindestens zwei Jahre dauert das im Normalfall. Je nach Entwicklung durchlaufen die Patienten dabei verschiedene Sicherheitsstufen.


Grundvoraussetzung für die Ärzte ist allerdings, dass die Richter ihnen auch die geeigneten Patienten schicken. Nach den ersten Ausbrüchen vor einigen Monaten hatten sich die Kliniken massiv darüber beschwert, dass das oft nicht der Fall sei. Daraufhin entbrannte ein Streit auch auf politischer Ebene. Während das Sozialministerium der Argumentation der Ärzte folgte, sah man im Justizministerium die Gerichte zu Unrecht an den Pranger gestellt und forderte bessere Sicherheitsmaßnahmen. Nach viel öffentlichem Getöse folgten im Sommer schließlich Gespräche über mögliche Lösungen. Und die, zeigen sich alle Beteiligten trotz des erneuten Ausbruchs überzeugt, werden schon bald Besserung bringen.

„Die Punkte, die uns allen wichtig waren, sind inzwischen umgesetzt“, sagt Helmut Zorell, Sprecher des Sozialministeriums. Wesentlicher Bestandteil ist die Forderung der Kliniken, Patienten schneller ins Gefängnis zurückzubringen, wenn eine Therapie nicht möglich ist. Seither vergingen oft Monate bis zum rechtskräftigen Gerichtsbeschluss. In dieser Zeit wussten die betroffenen Straftäter bereits, dass es für sie zurückgeht in den Knast. Eine Zeit, die mancher für Fluchtpläne genutzt hat. Das soll jetzt der Vergangenheit angehören.

Zu viele Häftlinge im Maßregelvollzug?

„Therapieabbrecher werden jetzt bis zur Rechtskräftigkeit des Beschlusses in der Justizvollzugsanstalt Heimsheim untergebracht“, sagt Zorell. Dort ist ein separater Zellentrakt geschaffen worden, in dem pro Jahr bis zu 20 Betroffene untergebracht werden können. Auch Therapieangebote gibt es dort. Ist der Beschluss durch, geht es für die Insassen weiter in das Gefängnis, in dem sie dauerhaft bleiben sollen. Laut Justizministerium haben diesen Weg bereits zwei Straftäter nach dem Abbruch ihrer Therapie beschritten.

Doch damit soll es nicht getan sein. Auch mit der Frage, ob tatsächlich zu viele Häftlinge in den Maßregelvollzug geschickt werden, hat sich die Politik befasst. Künftig sollen Ärzte und Richter häufiger miteinander reden. Dafür sind spezielle Veranstaltungen geplant, die alle Beteiligten zusammen bringen. In manchen Fällen soll besser überprüft werden, ob sich der Straftäter tatsächlich für eine Therapie eignet. Außerdem sollen sowohl Kliniken als auch Gefängnisse früher und besser darüber informiert wird, wer an sie überstellt wird und mit welchem Verhalten beim jeweiligen Patienten oder Häftling zu rechnen ist. „Wir haben in kurzer Zeit große Fortschritte gemacht“, so Zorell.

Ein Krankenhaus, kein Gefängnis

Lob kommt auch von den Ärzten. „Es gibt einen sinnvollen Dialog, dadurch hat sich bereits einiges geändert“, sagt Moser. Man sei auf dem richtigen Weg, allerdings dauere es bei manchen Maßnahmen, bis sie richtig greifen. „Unser aller Ziel ist, Ausbrüche auf das geringstmögliche Maß zu reduzieren“, so der Chefarzt. Er denkt dabei auch an den Ruf seiner Klinik und die Ängste seines Personals: „Wir haben jetzt vier Ausbrüche in einem Jahr gehabt. Das ist schrecklich für uns alle“, sagt Moser und berichtet von einer „angespannten Lage“.

Illusionen allerdings gibt sich keiner hin. „Letztenendes handelt es sich beim Maßregelvollzug immer noch um ein Krankenhaus und nicht um ein Gefängnis“, sagt Ministeriumssprecher Zorell. Alle Probleme könne man nicht lösen. Auf irgendeine Art könne es Einzelnen immer gelingen, auszubrechen. Und sei es nur für kurze Zeit. Die drei Ausbrecher vom Mittwoch jedenfalls werden nun nicht mehr in den Genuss einer Therapie kommen. „Sie müssen so schnell wie möglich zurück ins Gefängnis“, sagt Moser. Falls das nicht sofort klappt, bekommen sie vorübergehend Plätze in anderen Kliniken. Die neun Stunden in Freiheit werden die letzten für lange Zeit gewesen sein.