Das Landgericht in Waldshut Foto: Werner Müller

Der Angeklagter legte am dritten Verhandlungstag ein „ergänzendes Geständnis“ ab. “ Die Prozessparteien einigten sich auf Totschlag und einen Strafrahmen von sechs bis sieben Jahren.

Überraschende Wende im Prozess um die zerstückelte Leiche im Rhein: Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen kassierte am dritten Verhandlungstag den Mord-Vorwurf, den sie selbst am ersten Sitzungstag eingebracht hatte, und kündigte stattdessen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs und sieben Jahren an.

 

Keine neuen Anhaltspunkte

Dieser Absichtserklärung vorausgegangen war eine längere Aussprache aller Prozessbeteiligten – Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung – mit dem Ziel, das ursprünglich auf acht Verhandlungstage angesetzte Verfahren abzukürzen. Der Grund: Zu den beiden Kernfragen des Verfahrens – wie alkoholisiert war der Angeklagte bei der Tat und handelte es sich dabei wirklich um Notwehr – waren auch durch weitere Zeugenvernehmungen und Gutachten keine neuen Anhaltspunkte mehr zu erwarten.

Mehrere Knochenbrüche

Das machte vor allem die Aussage des Rechtsmediziners deutlich, der die im Rhein aufgefundenen Körperteile des getöteten 38-jährigen Mannes aus Rickenbach (Arme, Beine und Kopf) untersucht hatte. Am Schädel des Opfers seien neben dem Schusskanal auch mehrere Knochenbrüche festzustellen gewesen, doch aufgrund der langen Liegezeit im Wasser sei nicht zu erkennen, ob ihm diese vor oder nach Eintritt des Todes zugefügt wurden.

Vom zweiten Projektil, das am Tatort gefunden wurde, seien an den Gliedmaßen keine Spuren zu entdecken. Am Kopf hätten sich keine Schmauchspuren nachweisen lassen, zudem gebe es keine Anzeichen „für einen aufgesetzten Schuss“.

Da hakte der Verteidiger des 58-jährigen Angeklagten aus dem Wiesental denn auch ein. „Dieses Gutachten bestätigt die Angaben meines Mandanten, da gibt es keine Widersprüche“, erklärte er. Der Mann habe sich zudem freiwillig gestellt und „plausible Angaben gemacht“, sagte der Rechtsanwalt und regte eine Verständigung der Prozessbeteiligten hinsichtlich des weiteren Verfahrens und des möglichen Strafmaßes an.

Angeklagter gefordert

Doch Richter Martin Hauser machte unmissverständlich klar, dass sich die Kammer darauf nicht ohne Weiteres einlassen wird. Vielmehr müsse der Angeklagte seine bisherigen Einlassungen zu den zwei zentralen Fragen des Verfahrens – die angebliche Notwehr und der angeblich hohe Alkoholisierungsgrad zur Tatzeit – gerade rücken.

„Eine Verständigung vor allem beim Strafmaß setzt ein Geständnis voraus“, mahnte der Vorsitzende. Das Gericht kaufe dem 58-Jährigen beispielsweise nicht ab, dass sein späteres Opfer trotz spärlicher Deutschkenntnisse bei seinen Selbstgesprächen ausgerechnet auf Deutsch Morddrohungen gegen den Angeklagten und dessen Familie ausgestoßen haben soll. Deshalb gebe es nach wie vor keinen „plausiblen Grund für Notwehr“.

Keine Notwehr

Auch eine übermäßige Alkoholisierung zur Tatzeit sei beim Angeklagten nicht erkennbar, so der Richter. Sei er an jenem Abend doch zweifelsfrei in der Lage gewesen, unfallfrei und „mit der Pistole in der Tasche“ vom Naturfreundehaus zur Unterkunft seines späteren Opfers zu gehen, dessen vermeintliche Selbstgespräche zu belauschen, beim Zusammentreffen im Flur die Waffe zu ziehen, zu entsichern und abzufeuern – und dann wieder zum Familienfest zurückzukehren.

Der Vorsitzende wies darauf hin, dass das Gericht die Beleidigungen und die wüsten Beschimpfungen, die das Opfer wenige Stunden vor seinem Tod auf der Straße und im Beisein des Angeklagten ausgestoßen haben soll, sowie den Alkoholkonsum des Angeklagten bei einer Verurteilung durchaus in Betracht ziehen werde. Aber in Bezug auf die „ominöse Notwehr“ müsse der Angeklagte seine Darstellung revidieren. Diese sei „objektiv“ nicht gegeben, auch eine Beleidigung sei nicht „notwehrfähig“. Fahrlässige Tötung oder Notwehr kämen also nicht in Frage.

An der „Schmerzgrenze“

Um eine Bestrafung wegen Totschlags komme der Angeklagte auf keinen Fall herum, hielt der Vorsitzende fest. Die Höchststrafe dafür betrage 15 Jahre. Für die Kammer sei ein Strafmaß zwischen sechs und sieben Jahren (ein Jahr plus oder minus) die unterste „Schmerzgrenze“.

Dafür müsse der Angeklagte aber ein ergänzendes und „eindeutiges“ Geständnis ablegen und einräumen, dass er den tödlichen Schuss aufgrund einer „fatalen Fehleinschätzung“ der Situation abgegeben habe – und er müsse auf jegliche weiteren „Rechtfertigungsversuche“ verzichten. „Es tut mir leid, dass ich den Mann getötet habe und was ich danach getan habe“, erklärte der Angeklagte daraufhin. Er habe sich der Polizei gestellt und die Tat gestanden, weil er damit nicht habe leben können. Ihm sei beim tödlichen Zusammentreffen eine „fatale Fehleinschätzung“ unterlaufen. „Der Mann hatte keine Waffe“, räumte der 58-Jährige ein und fuhr fort: „Es tut mir so leid, ich bitte um ein mildes Urteil.“

Ehefrau bemerkt nichts

Im Zeugenstand hatte zuvor auch die Ehefrau des Angeklagten ausgesagt. Sie habe in den Tagen nach der Tat am Verhalten ihres Mannes nichts Außergewöhnliches bemerkt. Am 25. April, knapp drei Wochen nach Auftauchen der Leichenteile im Rhein, habe er ihr dann unter Tränen und auf Knien gebeichtet: „Ich war das in Rickenbach“. Er habe sie und die ganze Familie „um Vergebung“ gebeten und sich dann der Polizei gestellt.

Auch am dritten Verhandlungstag fuhr der Vorsitzende dem Angeklagten mehr als einmal in die Parade, wenn sich dieser wieder auf höhere Mächte berief und seine Einlassung bekräftigte mit: „Das ist die Wahrheit. So wahr mir Gott helfe. Gott soll mich sofort töten, wenn ich lüge.“ Oder sich bei seinem ergänzenden Geständnis erhob, um dem „von Gott eingesetzten“ Gericht seine Ehre zu erweisen. „Wir sind hier kein Gottesgericht und nicht die höchste Instanz“, wies Richter Martin Hauser den 58-Jährigen in die Schranken. Die Verhandlung wird am 11. November fortgesetzt.

Definition

Totschlag
ist laut Strafgesetzbuch eine vorsätzliche Tötung, wobei das Verhalten nach Norm aus nachvollziehbaren Gründen vermindert ist. Zum Beispiel dann, wenn der Täter seine Handlungen aufgrund großer seelischer Belastung oder einer heftigen Gemütsbewegung nicht genügend steuern oder kontrollieren kann. Im Unterschied zur fahrlässigen Tötung handelt es sich bei Totschlag um ein vorsätzliches Tötungsdelikt, der Täter geht dabei also wissentlich und willentlich vor.