Ein Küchenmesser benutzte der Angeklagte, um seine Ex-Partnerin in deren Wohnung anzugreifen. Foto: AdobeStock_Cyb Addison

Ein 44-jähriger, der in Rottenburg seine Ex-Partnerin mit einem Messer schwer verletzt hat, ist vor dem Landgericht Tübingen zu vier Jahren und vier Monaten Haft verurteilt worden.

Rottenburg/Tübingen - Im Mittelpunkt des Prozesstages am Dienstag am Tübinger Landgericht gegen einen Messerstecher aus Rottenburg, der in einer Mai-Macht dieses Jahres beinahe seine Ex-Partnerin umgebracht hätte, standen die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung, anschließend fällte Richter Ulrich Polachowski gemeinsam mit den drei Schöffen des Prozesses das Urteil. Vier Jahre und vier Monate muss der Täter, der mit beinahe zwei Promille Alkohol im Blut zustach, in Haft. Zuvor muss er erst einmal von seinen Drogen runter – und zwar wird sein Heroin-Substitutionsmittel nach und nach abgesetzt, auch darf er dann weder harte noch weiche Drogen zu sich nehmen. Aus also für Ecstasy, Speed, Amphetamine oder Kokain. Erst wenn er richtig clean ist, beginnt seine Therapie in der Forensischen Psychiatrie.

Gutachten von Psychiaterin

Dass der Angeklagte ein Drogen- und Alkoholproblem hat, wurde am dritten Prozesstag klar. Die Direktorin der Forensischen Psychiatrie in Zwiefalten, Monika Zavoianu, sagte als Gutachterin aus. "Es muss eine Veränderung beim Suchtverhalten des Täters her, auch muss sein allgemeines Verhalten geändert werden." Zudem gibt es alle sechs Monate, in denen ein Täter in der Forensischen Psychiatrie einsitzt, eine Überprüfung. "Nur 50 Prozent der Täter schaffen es, hier durchzuhalten", erklärte Zavoianu im Gespräch mit unserer Zeitung in der Verhandlungspause. "Die Hälfte bricht die Therapie ab", weiß die Gutachterin aus Erfahrung. Sieben Ärzte und 130 Vollzeitkräfte betreuen derzeit die 120 Patienten der Forensischen Psychiatrie in Zwiefalten. In ihrem Gutachten wurde deutlich, wie sich die Gewalt in dieser "toxischen Beziehung", also in dieser unguten, vergifteten Atmosphäre, über Monate und Jahre hochgeschaukelt hatte.

Probleme mit Alkohol und Drogen

Der 44-jährige Mann aus Kasachstan kam nach Deutschland und hat sich hier einiges zuschulden kommen lassen. Mehrfach vorbestraft, lernte er in Osnabrück seine heutige Ex-Partnerin kennen, die er bereits in Osnabrück immer wieder körperlich misshandelt hatte. Immer wieder das gleiche Muster bei dem Mann: Diebstähle, um Drogen kaufen zu können, Autoeinbrüche, Diebstähle von Navigationsgeräten, Autoradios, CDs und dergleichen mehr. Alkohol und ein Drogenmix führten häufig zu aggressiven Angriffen auf seine damalige Freundin – auch in Rottenburg lief es so ab. 18 Flaschen Bier pro Tag, dazu Wodka bei Stress – "Er hat getrunken, um zu vergessen und sich die Birne voll zu machen", stellte die Gutachterin klar. An erster Stelle steht der Alkoholmissbrauch, zudem ist der Täter Heroinsubstituiert und zieht sich ab und an Kokain durch die Nase oder spritzt es intravenös.

Notruf gewählt

In der Tatnacht dann griff er seine Partnerin tätlich an, die sich mit Stühlen hinter der Tür verbarrikadiert hatte. Das Szenario scheint aus einem fiesen Horrorfilm zu stammen: Der Täter schafft es irgendwie, in die Wohnung zu gelangen und sticht auf die Frau hinterrücks mit dem Küchenmesser ein. Die lange und tiefe Schnittwunde traf die Lunge und das Küchenmesser stach auf eine Rippe. Es gelang der Frau, den Notruf zu wählen – den der Täter zu Ende führte. Ansonsten wäre die Frau gestorben. Der Notarzt kommt, und der Täter lotst sie zum Opfer, flüchtet anschließend und wird gestellt. Die Gutachterin bescheinigt dem Täter, kaltblütig gehandelt zu haben – "Die Story mit dem Filmriss glaube ich ihm nicht." Der Täter "verwählte" sich beim Notruf mehrfach – war es Absicht? "Er war orientiert, das ist mit seiner Aussage bei der Polizei nicht vereinbar." Sie konnte keine psychischen Veränderungen beim Täter feststellen, "er handelte situationsadäquat". Trotz seiner zwei Promille Alkohol im Blut habe er dem Geschehen problemlos folgen können – der Drogentest ergab eine Mitwirkung von Amphetaminen, der Kokaintest war negativ, was zeigt, dass er gelogen haben musste, um die Polizei zu täuschen.

Die Probleme in der Mai-Nacht und auch zuvor gab es wegen der fast krankhaften Eifersucht des Mannes auf seine Partnerin. "Und sobald der Täter getrunken hatte, fing das Paar an zu streiten, sein Alkoholkonsum hat im Laufe der Jahre zugenommen." Bereits in Osnabrück habe das Paar immer wieder gestritten, es kam zu unschönen Szenen, die gerade für den Sohn der Frau schlimm waren – er wurde in eine andere Familie gegeben, um ihn zu schützen. In Rottenburg erhielt der Mann ein Annäherungsverbot gegenüber seiner Exfreundin – was ihn nicht daran hinderte, ihr nachzustellen. Ein Arbeitsplatzverlust und finanzielle Schwierigkeiten taten ihr übriges – die Situation entgleiste in jener Mai-Nacht. "Seine Ex-Partnerin beschreibt ihn als normal, wenn er nicht trinkt, und ziemlich asozial, wenn er getrunken hat." Auslöser der Messerattacke war eventuell ein Foto der Frau, das sie mit einem anderen Mann zeigt – dies sei unklar. Die Gutachterin betonte, dass es sich um eine klare Situation der häuslichen Gewalt handle, potenziert durch Alkohol.

Toxische Beziehung

Nach der Tat soll die Frau dem Mann einen Liebesbrief geschrieben haben, den der Richter verlas – auch Herzchen hatte das Opfer für den Täter gemalt, "bitte komm zurück", soll sie ihm geschrieben haben. Nebenklägerin Marie-Luise Dumoulin berichtete, dass die Frau mittlerweile bereue, was sie sich all die Jahre hatte gefallen lassen. Das Opfer habe erst bei der Verhandlung kapiert, was eigentlich passiert sei. Staatsanwalt Simon Salzbrunn plädierte für fünf Jahre Haft – stetiges Schlagen, Fußtritte und Todesdrohungen sowie psychische und physische Gewalt habe gegen die Frau geherrscht, ein stetiger Teufelskreis. Die Frau habe sich der toxischen Beziehung nicht entziehen können. Die Tat selbst sei nicht im Affekt passiert. Ein viermonatiger Entzug müsse der Haft vorausgehen, um die Therapie zu unterstützen. Die Nebenklage schloss sich dem Strafmaß und dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft an. Mit seinem Urteil blieb das Gericht etwas unter dem Strafmaß der Staatsanwaltschaft, was dem Entzug und der bereits verbüßten Untersuchungshaft geschuldet ist.