Am Tübinger Landgericht findet ein Prozess nach einer beinahe tödlichen Messerattacke in Rottenburg statt. Foto: Begemann

Es ist eine Beziehung, die ein blutiges und beinahe tödliches Ende nahm, mit der sich seit Dienstag die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Tübingen befasst. Ein 44-Jähriger aus Rottenburg hat gestanden, seiner ehemalige Lebensgefährtin im Mai in ihrer Wohnung in Rottenburg ein Messer in den Rücken gestoßen zu haben.

Rottenburg/Tübingen - Doch der fast tödliche Angriff soll nur eine seiner Taten gewesen sein, wegen der er sich nun wegen schwerer Körperverletzung, Körperverletzung und Bedrohung vor Gericht verantworten muss.

Als die ehemalige Lebensgefährtin des 44-Jährigen als Geschädigte unter Tränen aussagt, schockieren nicht nur ihre Schilderungen, auch die seelischen Verletzungen werden offenbar. Den Angeklagten lernte sie 2018 kennen. "Am Anfang der Beziehung war alles gut", erzählt die Frau auf Russisch über eine Übersetzerin. Sogar ihr Sohn aus ihrer früheren Beziehung habe den neuen Partner gern gehabt. Erst nach eineinhalb Jahren seien Probleme aufgetreten. Komplett eskaliert die Situation im Februar, März und Mai dieses Jahres: Als der Angeklagte im Februar betrunken ist, versetzt er seiner Partnerin einen Faustschlag ins Gesicht. Im März greift er sie nachts im Schlaf an. Daraufhin erhält er von behördlicher Seite ein Wohnungsverbot. Auch die Aussage, er werde sie umbringen, habe es gegeben.

Tür verbarrikadiert

Wie aus einem Horrorfilm klingen die Schilderungen der Frau vom 7. Mai. In ihrer Wohnung macht sie eine grausige Entdeckung: "Ich habe im Spiegel gesehen, dass etwas mit Blut geschrieben war", schildert sie. Aus Angst ruft sie eine Freundin an und die beiden Frauen gehen spazieren. Als sie in die Wohnung zurückkehrt, schließt sie die Tür ab, verbarrikadiert den Eingang mit Stühlen und bindet Schnürsenkel an der Türklinke fest, damit die Tür sich nicht öffnen lässt. Tatsächlich kommt der 44-Jährige zurück. Zwar gelingt es ihm nicht, die Tür gewaltsam zu öffnen, doch er kann er die Frau wohl überreden, zu öffnen, um seine Sachen zu holen. Der folgende Angriff soll dann im Schlafzimmer passiert sein. Zuerst bewirft und schlägt er die Frau mit einem Stuhl, schubst sie auf das Bett, wo sie mit dem Rücken nach oben liegt. Sie beschreibt ihre Wahrnehmung des dann folgenden Messerangriffs so: "Ich weiß nicht, was los war, plötzlich hatte ich Atemnot. Dann sah ich im Spiegel, dass mein Rücken blutet." Sie schafft es noch, den Notruf zu wählen, doch durch die Atemnot und eine zeitweise Bewusstlosigkeit kann sie den Anruf nicht zu Ende bringen. Wohl entsetzt über seine Tat bringt der Angeklagte den Anruf zu Ende, versucht sogar, die Blutung notdürftig mit Kleidungsstücken zu stoppen. Die sieben Zentimeter lange Klinge hatte die Lunge getroffen. Nur dank des Notrufs kann das Leben der Frau gerettet werden.

Aus Sicht des Angeklagten klingt die Tat, die ihm Leid tue, fast wie ein Unfall: "Ich wollte nur meine Tasche haben. Ich weiß nicht, wie das passiert ist. Als ich das Blut gesehen habe, habe ich das Messer gesehen."

Hoher Drogenkonsum

Zuvor schon berichtete er dem Gericht über seinen Alkohol- und Drogenkonsum. "Wenn ich was trinke und Drogen nehme passiert sowas", lautet seine Aussage. Er sei vor längerer Zeit schon heroinabhängig gewesen. Nach einer Überdosis, die er nur knapp überlebt habe, sei er vom Heroin "clean" und erhalte Substitutionsmedikamente. Andere Drogen habe er aber weiterhin konsumiert. Vor der Tat im Mai seien es Alkohol, Kokain und Amphetamine gewesen. Die Drogen würden "im Kopf alles kaputt machen", berichtet der Mann, der schon in der Vergangenheit eine Haftstrafe und Drogentherapie absolvierte.

Als Auslöser seines "Durchdrehens" bezeichnet er ein Foto, auf dem seine ehemalige Partnerin einen anderen Mann küssen soll. Sein angebliches Motiv: Eifersucht.

Nach der Tat habe er sich telefonisch und in Briefen entschuldigt. Doch als der vorsitzende Richter die Geschädigte fragt, ob sie ihm das verzeihen kann, bricht sie erneut in Tränen aus: "Nein, das kann ich nicht."

Drei weitere Verhandlungstage sind in dem Prozess angesetzt. Fortsetzung ist am kommenden Freitag.