Dubiose Geldabhebungen spielen in dem Prozessverfahren eine wichtige Rolle. Foto: © LianeM – stock.adobe.com

Im Fall der unrechtmäßig veranlassten Auszahlungsanordnungen eines Geschäftsstellen-Beamten am Landgericht Rottweil, hätte eine Zeugin aus Göttingen am Mittwoch Licht ins Dunkel bringen sollen. Sie war nämlich eine der Personen, auf deren Konto der Angeklagte die Gelder transferierte. Als sie erfuhr, dass ein aktuelles Ermittlungsverfahren gegen sie läuft, blieb ihr aber das Wort im Hals stecken.

Kreis Rottweil - Die Erste Große Strafkammer am Landgericht Rottweil tappt im Falle der Gelder-Veruntreuung eines Geschäftsstellen-Beamten in einzelnen Details weiter im Dunkeln. Insbesondere das System des Angeklagten, der im Zeitraum von 2016 bis 2021 in 117 Fällen unrechtmäßige Auszahlungsanordnungen am Landgericht erlassen hat, bleibt ein Rätsel. Rund 330 000 Euro von der Landesoberkasse hat der 61-Jährige aus der Zivilabteilung auf drei private Konten geschleust. Neben seinem eigenen Konto waren auch das der Frau des Angeklagten und einer Verwandten der Gattin betroffen.

Gab es Absprachen?

Die Krux in dem Sachverhalt: Kurz nach Eingang der Gelder auf den Konten der Verwandten, wurden die Zahlungen an den Geschäftsstellen-Beamten weitertransferiert – bei allen Zahlungsvorgängen behielt die Angehörige aber einen gewissen Geldbetrag auf ihrem Konto. Gab es Absprachen?

Genau diese Frage wollte nun auch der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer in der Verhandlung am Mittwo

Ermittlungsverfahren eingeleitet

Kurz vor der Vernehmung wurde ihr außerdem mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche eingeleitet hat. Das soll aber bereits Mitte November der Fall gewesen sein. Die lange Anreise hat sich für die Zeugin, die sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berief und so nur rund 20 Minuten im Gerichtssaal verbrachte, jedenfalls nicht gelohnt.

Dabei hatte sich das Gericht viel von der Zeugin versprochen. Münzer, der die Zeugin zunächst informierte, welche Fragen sie zu erwarten hat, vermutete, dass die Vielzahl an Themen eine Überforderung bei der Verwandten hervorrufen könnte. Unter anderem hätte das Familienverhältnis des Angeklagten, der Grund für das abrupte Ende der Überweisungen im Juli 2018 und jeder einzelne sichergestellte Überweisungsbogen betrachtet werden sollen.

Zeugin ist mit Finanzen vertraut

Immerhin: Angaben machte sie zu ihren persönlichen Verhältnissen. Interessant ist dabei, dass die Zeugin beruflich in der Stadtverwaltung sich um Steuerangelegenheiten kümmerte. Mit Finanzen muss sie sich also ausgekannt haben – ein wichtiges Indiz, wie Münzer erklärt. Ob es ein System und Absprachen bei der Abhebung und Überweisung von Geldern, ob es Treffen zwischen dem Beschuldigten, seine Ehefrau und der Zeugin gab, bleibt aber weiter deren Geheimnis.

Nach der unerwartet kurzen Vernehmung kam noch der psychiatrische Sachverständige, der den Geschäftsstellen-Beamten in der Untersuchungshaft untersucht hat, zu Wort. Seine Aufgabe: Herausfinden, ob bei der Urteilssprechung strafmildernde Umstände geltend gemacht werden können. Der übermäßige Alkoholkonsum des Angeklagten ab dem Jahr 2008 – Ursache soll die belastende Arbeitssituation am Landgericht gewesen sein – wurde begutachtet, um potenziell nötige Entzugsmaßnahmen an die Strafe zu knüpfen. Die seien aber nicht nötig. Er habe stets die Kontrolle über sein Leben gehabt. Darüber hinaus befragte er den Angeklagten, wie schwer es ihm tatsächlich gemacht wurde, die Auszahlungsanordnungen zu erlassen. Bei den jüngsten Verhandlungen wurde bekannt, dass das Vier-Augen-Prinzip bei der Freigabe der Zahlungen ausgehebelt wurde.

Köpfchen hat der Angeklagte

Klar ist: Zur Begehung der Taten gehöre auch Köpfchen – und das hat der Angeklagte, der laut eines IQ-Tests des Sachverständigen überdurchschnittlich intelligent ist. Im Gespräch mit dem 61-Jährigen habe er erfahren, dass der Angeklagte sehr mit der hohen Arbeitsbelastung zu kämpfen hatte. Möglich sei es, dass der Angeklagte die zusätzlich beschafften Gelder als Anerkennung für seine Arbeitsleistung jahrelang so mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Der Psychiater bestätigt den Eindruck, dass der Angeklagte am Landgericht verbitterte. Die Bestätigung liefert eine Selbstbeurteilung des Beschuldigten. Darin erklärt er, introvertiert und wenig von seiner Arbeit überzeugt zu sein.

Was der Angeklagte mit dem ganzen Geld gemacht hat, kann sich auch der Sachverständige nicht erklären. Am Freitag, 10. Dezember, werden die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidiger abgehalten. Im Anschluss soll das Urteil fallen – die Verfahrensbeteiligten gehen von einer mehrjährigen Haftstrafe für den Geschäftsstellen-Beamten aus.