Björn Höcke (rechts) mit einem seiner Verteidiger, Ulrich Vosgerau. Foto: AFP/Ebrahim Noroozi

Die Anwälte von Björn Höcke scheitern mit dem Wunsch nach totaler Dokumentation der Verhandlung. Der AfD-Chef will demnächst zur Sache Aussagen.

Es gibt unspektakulärere Fälle, um seine Schöffenkarriere anzufangen als diesen. Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, steht seit diesem Donnerstag in Sachsen-Anhalt vor dem Strafrichter. Vor den Strafrichtern muss es richtigerweise heißen, denn im Sitzungssaal X0.1 des Justizzentrums Halle sitzen gleich vier Richter vor dem Angeklagten. Zwei Berufsjuristen und eben die beiden Schöffen, die zu Beginn der Verhandlung erst einmal vereidigt werden mussten. Die beiden Männer heben die Hand zum Schwure und versprachen „ohne Ansehen der Person zu urteilen, und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen.“ Und sie mussten alsbald erkennen, dass diese Gerechtigkeit mitunter eine mühsame und langsame Zeitgenossin ist.

 

Vier Verhandlungstage angesetzt

Es gibt Gerichte, bei denen wird das Recht im Stundentakt gesprochen, manchmal sogar noch schneller. Klarer Sachverhalt, zügiges Urteil. Auch die Verhandlung gegen den Thüringer AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden könnte zu den Fällen gehören, die nicht gerade die allerkomplexesten juristischen Gedankengänge erfordern. Trotzdem hat das Landgericht in Halle erst einmal vier Verhandlungstage angesetzt. Der Vorsitzende der 5. Strafkammer rechnet nicht mit einem schnellen Ergebnis. Ein Fall von guter Menschenkenntnis.

Noch bevor Höcke auf der Anklagebank Platz nimmt, hatten sich vor dem Justizzentrum Demonstranten versammelt. Mit Plakaten in der Hand, auf denen unter anderem „Björn Höcke ist ein Nazi“ zu lesen war, stehen sie auf Gehweg und Straße.

In der Regel kommen Strafverfahren ziemlich zügig zur Verlesung der Anklage. Dann steht der Tatvorwurf offen im Raum und das Gericht kann nach den Beweisen suchen, die diesen Vorwurf stützen oder entkräften. In Halle war es erst nach Beginn der Mittagspause so weit. Die drei Wahlverteidiger des thüringischen AfD-Vorsitzenden haben sich etwas anderes ausgedacht als Befangenheitsanträge, die in Verfahren mit solch prominenten Angeklagten fast schon zum Standardrepertoire gehören – und in den kommenden Verhandlungstagen durchaus noch kommen können.

Anwalt sieht Verfahren von historischer Bedeutung

Doch zunächst einmal begründete der Münchner Strafverteidiger Philip Müller lange und umfangreich, dass diese Verhandlung digital aufgezeichnet werden sollte. Der „potenziellen historischen Bedeutung“ des Falles wegen, und weil sein Mandant befürchte, kein faires Verfahren zu erhalten und auf eine Presse zu treffen, die ihn schon vorverurteilt habe. Dazu muss man wissen, dass solch eine Art der Aufzeichnung in Deutschland nicht üblich ist. Diskutiert und gefordert wird sie freilich schon lange.

Wegen des großen Medieninteresses im In- und Ausland ist die Verhandlung in Halle zwar in einen weiteren Sitzungssaal des Gerichtsgebäudes übertragen worden, sie wird aber eben nicht für das Protokoll gespeichert. Das Gericht lehnte den Antrag ab, denn der Wunsch hat einen beachtlichen Schönheitsfehler: Der Bundestag hat ein entsprechendes Gesetz zwar bereits beschlossen, der Bundesrat aber noch nicht zugestimmt. Es sei somit derzeit einfach nicht geltende Rechtslage, so der Vorsitzende Jan Stengel.

Höcke selbst ergreift kaum das Wort

Stengel ist ein Schlachtross der Strafjustiz, den so schnell nichts aufzuregen scheint. „Gaanz ruhig“ und „is ja jut“ sagt er immer wieder, wenn die Anwälte hitzig werden oder wenn die Anklage eine Spitze setzt. Höcke selbst hat am ersten Verhandlungstag lediglich erklärt, dass er am 1. April 1972 geboren wurde, verheiratet ist und in Hanstein-Rusteberg wohnt. Vor seinem Tisch liegen viele handgeschriebene Zettel und ein Buch in knalligem Orange: „Weltgeschichte im Aufriß“.

Es ist ein Teil der Weltgeschichte, die Anlass des Verfahrens ist. Höcke soll im Mai 2021 die Parole „Alles für Deutschland“ bei einer Veranstaltung im sachsen-anhaltinischen Merseburg gerufen haben. Die Parole „Alles für Deutschland“ galt in der NS-Zeit neben „Deutschland erwache“ als Losung der Sturmabteilung (SA), und ist somit ein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 52-Jährigen Rechtsaußen vor, gewusst zu haben, dass es sich um eine verbotene SA-Losung handelt.

Noch vor einer Woche im TV-Duell gegen den CDU-Politiker Mario Vogt hatte der AfD-Spitzenkandidat erklärt, er habe nicht gewusst, dass „Alles für Deutschland“ eine SA-Parole sei: „Nein, ich wusste es nicht.“ Es handele sich um einen Allerweltsspruch, sagte Höcke – der früher Geschichte an hessischen Gesamtschulen unterrichtete.

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat im Februar 2006 als Revisionsinstanz festgestellt, dass diese Parole bei öffentlichen Veranstaltungen einen strafbaren Verstoß gegen § 86a StGB darstellt. Ein Jugendlicher war zuvor vom Amtsgericht Dortmund zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Allerdings wurde neben dieser Parole auch noch eine handfeste Körperverletzung abgeurteilt.

Dass sich Höcke wehrt hat viele Gründe

Dass sich Björn Höcke massiv gegen den Vorwurf wehrt, hat mehrere Gründe. Einer davon hängt mit einem Verfahren zusammen, welches in diesen Tagen vor dem Oberverwaltungsgericht Münster verhandelt wird. Während es in Halle alleine um Höcke geht, geht es in Münster um die AfD als Ganzes und um die Frage, ob die Partei so weit nach rechts gerutscht ist, dass sie vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werden kann. Die Bundespartei wohlgemerkt, in Thüringen ist man auf der Eskalationsskala schon weiter. Dort hält der Landesverfassungsschutz die Höcke-AfD für gesichert rechtsextrem. Das alles hat auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun – auf den zweiten allerdings schon. Der Ausgang des Strafprozesses in Sachsen-Anhalt kann ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg sein, auch die Bundes-AfD als rechtsextremistisch zu überführen.

Weil das Parteiprogramm der AfD kaum Anlass dazu bietet, die Politik der Partei als grundgesetzwidrig zu brandmarken, kommt es auf die Äußerungen der einzelnen Mitglieder an. Und da ist dann immer die Frage, was sich die AfD als solche überhaupt zurechnen lassen muss. Das, was der stellvertretende Kreisvorsitzende in Bad Säckingen mal auf der Tanzfläche einer Dorfdisco gerufen hat? Eher nicht. Das, was ein Landesvorsitzender bei einer Parteiveranstaltung in die Mikrofone brüllt? Sicher ja. Außerdem könnte Höcke von den Wahlen im September ausgeschlossen werden, wenn er in Halle zu einer höheren Freiheitsstrafe als zu einem halben Jahr verurteilt werden sollte, egal ob mit oder ohne Bewährung.

Verteidigung will Verfahren aussetzen

Deswegen der Kampf, deswegen der zusätzliche Antrag der Verteidigung, zuerst einmal das Verfahren auszusetzen und die Akte dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Das solle eine Regel der Gerichtsverweisung überprüfen, die dafür verantwortlich ist, dass die Angelegenheit vor dem Landgericht und nicht vor dem Amtsgericht verhandelt wird. Auch diesen Antrag lehnte das Gericht ab.

Zugestimmt hat die Kammer, ein zweites Verfahren vorerst wieder zurückzustellen, welches eigentlich mit dem Vorfall in Merseburg gemeinsam verhandelt werden sollte. Am 12. Dezember 2023 soll Höcke seine Äußerung in Gera wiederholt haben – spätestens da musste ihm durch die bereits laufende Ermittlung im ersten Fall klar sein, dass dieses Verhalten strafbar ist. Nun aber musste das Gericht Rücksicht auf etwas nehmen, was der Vorsitzende als „Verteidigerkarussell“ bezeichnete. Die Verteidiger des AfD-Politikers wechselten in der letzten Woche so schnell, dass es letztlich an der Einarbeitungszeit fehlte.

Nächsten Dienstag geht es weiter

Beim nächsten Verhandlungstermin, so die Ankündigung der aktuellen Riege an Rechtsbeiständen, werde ihr Mandant aller Voraussicht nach zur Sache aussagen. Die Verhandlung wird am 23. April fortgesetzt, 9 Uhr, Sitzungssaal X0.1 im Justizzentrum Halle.