Das Interesse am Prozess gegen Valérie Bacot (mit gelbem Schal) ist in Frankreich sehr groß. Foto: AFP/JEFF PACHOUD

25 Jahre lang durchleidet eine Französin ein Martyrium, bis sie ihren Peiniger erschießt. Dafür steht sie nun vor Gericht.

Paris - Valérie Bacot nennt ihren Peiniger nie beim Namen. Und dennoch beherrscht jener Mann, der sie 25 Jahre lang gequält, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen hat auch nach dessen Tod weiter ihr Leben. Daran hat sich nichts geändert, auch nachdem sie in größter Verzweiflung „dieser Hölle“ ein Ende bereiten wollte. An einem Sonntag im März 2016 erschoss Valérie Bacot den Mann mit einem einzigen Schuss in den Nacken.

Einblick in ein Horrorleben

Für diese Tat steht sie nun vor einem Schwurgericht in der ostfranzösischen Stadt Chalon-sur-Saône. Langsam tastet sich die heute 40-Jährige bei der behutsamen Befragung durch die vorsitzende Richterin Céline Therme durch ihr Leben. Immer wird bricht Valérie Bacot in Tränen aus, während sie das kaum Vorstellbare beschreibt. Und dabei geht es nicht nur um körperliche Qualen, sondern auch um ein Leben in psychischer Abhängigkeit und von einer Gesellschaft, die weggesehen hat. „Tout le monde savait“ („Jeder wusste es“), ist der Titel eines Buches, das in ihrem Namen jüngst veröffentlicht wurde.

Der Leidensweg von Valérie Bacot begann mit zwölf Jahren. Damals fing der neue Lebenspartner ihrer Mutter an, sie zu vergewaltigen. Dafür kam er zwar ins Gefängnis, doch als ihn die Mutter wieder bei sich aufnahm, machte Daniel Polette einfach weiter. Mit 17 wurde die junge Frau von dem 25 Jahre älteren Mann schwanger. Hilfe von der Mutter konnte sie nicht erwarten, im Gegenteil, sie warf ihre Tochter aus dem Haus.

Schläge und Misshandlungen jeden Tag

Zur einzigen Stütze in dieser Situation wurde ausgerechnet ihr Peiniger. Daniel Polette nahm Valérie Bacot bei sich auf, die beiden heirateten, sie bekam von ihm drei weitere Kinder. Ob sie den Mann denn geliebt habe, fragt die Richterin. „Ich habe immer getan, was er mir gesagt hat“, antwortet die Angeklagte, zu deren täglichem Dasein damals auch Schläge und andere Misshandlungen gehörten. Manchmal hielt Daniel Polette ihr auch eine Waffe an den Kopf. Valérie Bacot gehorchte auch, als sie von ihrem Peiniger zur Prostitution gezwungen wurde. In einem Wohnwagen an einer Durchgangsstraße wurde sie von ihm für 20 Euro angeboten.

Die Mutter will ihr Kind schützen

Dann aber kam die Wende. An jenem Sonntagmorgen im März 2016 hatte die 14 Jahre alte gemeinsame Tochter gestanden, dass sie von ihrem Vater bedrängt und gefragt worden sei, wie es ihr „sexuell“ gehe. Panik stieg in Valérie Bacot auf, dass ihr Kind dasselbe Schicksal erleiden könnte wie sie selbst. „Ich wollte sie retten“, sagt die angeklagte Mutter. Sie erschoss Daniel Polette mit jener Waffe, mit der er sie immer wieder bedroht hatte. „Ich musste es beenden“, schreibt sie in ihrem Buch. Wird Valérie Bacot schuldig gesprochen, droht ihr lebenslange Haft. Ihre Anwälte fordern angesichts der jahrelangen, extremen Gewalt ihres Peinigers einen Freispruch.

Inzwischen nehmen Menschen in ganz Frankreich Anteil am Schicksal 40-Jährigen. Weit über 600 000 Leute haben inzwischen eine Online-Petition unterschrieben. Der Titel lautet: Freiheit für Valérie Bacot! „Wir haben zu lange gewartet“, heißt es dort. Und: „Es ist Zeit, nicht länger wegzuschauen.“