Der Angeklagt Jérôme Boateng kommt in den Saal des Landgerichts München. Foto: AFP/Michaela Stache

Im neu aufgerollten Prozess um Körperverletzung an seiner Ex-Freundin ergreift der 35-jährige Ex-Nationalspieler selbst das Wort. Jérôme Boateng redet lange und eindringlich.

Die Richterin Susanne Hemmerich redet den Prozessparteien ins Gewissen. „Denken Sie doch bitte an die Kinder, an die beiden 13-jährigen Zwillingsmädchen“, sagt sie. „Für sie sollte dieser Streit endlich ein Ende finden. Alle Berichten über ihre Eltern lesen sie doch auch.“ Seit nunmehr sechs Jahren befasst sich die Münchner Justiz mit Gewaltvorwürfen gegen den Profi-Fußballspieler Jérôme Boateng. Am Freitag nun im mittlerweile vierten Verfahren vor dem Landgericht. Er soll laut Anklage 2018 bei einem Streit während eines Karibikurlaubs seine damalige Partnerin Sherin S., die Mutter seiner Kinder, mit einem Windlicht und einer Kühltasche attackiert, sie geschlagen und beleidigt haben. 

 

 Eine Verständigung strebt die Richterin an: Schuldeingeständnis, Geldstrafe, Spende für einen sozialen Zweck und Regelung des Umgangsrechts für die Töchter. Dafür kein langer Prozess, keine weiteren Verletzungen, keine großen Medienberichte mehr.

Die Fronten sind verhärteter denn je

 Doch so kommt es nicht. Weder Boateng und seine Verteidigung noch die Staatsanwaltschaft stimmen einem solchen „Deal“ zu. Die Stimmung im großen Verhandlungssaal des Münchner Justizzentrums ist aufgeladen, Staatsanwältin Stefanie Eckert geht bei der Wiedergabe des Rechtsgespräches immer wieder dazwischen, Boatengs Anwalt Leonhard Walischewski kontert. Und Richterin Hemmerich ruft: „Was hier aufgeführt wird, habe ich in 40 Jahren Berufsleben noch nicht erlebt.“ 

Die Fronten sind verhärteter denn je in diesem privaten Drama, das so viele Facetten beinhaltet und so unterschiedlich gedeutet werden kann. Man will die dreckige Wäsche gar nicht so genau sehen, die hier gewaschen wird. Ist Boateng ein aggressiver Frauenschläger? Oder ist er das Opfer einer intriganten Partnerin, die aus Rache diese Geschichte konstruiert hat? 

Der Angeklagte will das Opfer gewesen sein

An diesem Tag, an dem in München auch die Fußball-Europameisterschaft beginnt, hat erst einmal der Angeklagte Jérôme Boateng das Wort: „Ich möchte nicht weiter nur dabei zusehen, wie mein Ruf und meine Zukunft mehr und mehr zerstört wird“, sagt er – umfangreich, eine halbe Stunde lang. „Ich misshandle keine Frauen und setze meine Partnerinnen auch nicht unter Druck“, liest der 35-Jährige recht eindringlich seine Erklärung ab. Bei dem Geschehen am späten Abend des 19. Julis 2018 auf der Karibikinsel Turks und Caicos will er demnach eher Opfer als Täter gewesen sein. 

Seine Version lautet so: Beim Kartenspielen mit Freunden habe man ihm vorgeworfen zu schummeln, seine Partnerin habe gesagt: „Das macht er immer.“ Er sei sauer gewesen, es wurde laut, sie habe ihm in einer „Rangelei“ mit dem Ellbogen die Lippe blutig geschlagen. Er habe aus Wut ein Windlicht geworfen und eine Stoffkühltasche für Getränke, aber nicht gezielt, um Sherin S. zu treffen. „Es gab keine Prügelei“, meint Boateng. S. beschreibt er äußerst negativ als bösartige Person, die ihn unter Druck gesetzt habe, viel Geld forderte, andere Menschen manipulierte und gelogen habe. Er zitiert aus alten SMS-Nachrichten von ihr, in denen er aufs Unflätigste und auch rassistisch beleidigt wurde.

Die Prozesse haben Boateng beruflich geschadet

 Immer wieder ging es laut Boateng um die Töchter, um gerichtlichen Streit über deren Aufenthalt – sie sind bei ihm in Grünwald – und das Sorgerecht. Der Fußballer spricht von sich aus ein weiteres Beziehungsdesaster an, das die Richterin eigentlich aus diesem Verfahren heraushalten wollte: sein Verhältnis zum Model Kasia Lenhardt. Wenige Tage nachdem er sich 2021 via „Bild“-Zeitung öffentlich getrennt hatte, nahm sie sich das Leben. Ihr Tod sei „tragisch“, meint er. Aus Respekt vor der Verstorbenen habe er sich nicht zu Vorwürfen von S. geäußert, dass er auch Lenhardt misshandelt hätte. Was nicht stimme.   

Die Prozesse hätten ihm auch beruflich geschadet: „Ich hätte gerne noch ein paar Jahre Fußball auf einem hohen Niveau gespielt.“ Stattdessen fand er lange keinen Verein mehr, die Werbeverträge wurden gekündigt. Immerhin fängt er nun beim österreichischen Erstligisten Linzer ASK an. Sein Fazit: „Ich wünsche, dass der Albtraum endlich ein Ende findet.“

Kritik an der bisherigen Berichterstattung

Gibt es ein Thema in dem Verfahren, dass beide Parteien eint, so ist es die Kritik an den Medien über deren Berichterstattung. Die Anwälte und Boateng sprechen von einer „medialen Vorverurteilung“. Gleiches fürchtet aber auch die Anwältin von Sherin S., die als Nebenklägerin an dem Verfahren teilnimmt. Die Anwältin sagt, Boateng habe „Schlamm auf meine Mandantin“ geworfen. Er habe „die Mutter seiner Kinder diffamiert“ und steuere „viel über die Presse“. Auf diese Weise beharken sich die Anwälte der streitenden Parteien so lange, bis die Richterin ruft: „Jetzt ist mal Ruhe hier.“ Der Prozess wird am kommenden Freitag fortgesetzt. 

Ein Karibikurlaub mit Folgen: Fall beschäftigt Gerichte seit Jahren

Verfahren
 Es ist bereits das vierte Mal, dass sich ein Gericht mit dem Vorfall in einem Karibikurlaub von Jérôme Boateng und seiner damaligen Partnerin 2018 befasst. Das Verfahren gegen den langjährigen Verteidiger des FC Bayern München, der gerade vom italienischen Club US Salernitana zum Linzer ASK in Österreich wechselte, zieht sich also schon lange hin.

Instanzen
2019 wurde Anklage erhoben, 2021 verhängte das Amtsgericht München eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 000 Euro, also insgesamt 1,8 Millionen Euro. Das Landgericht München I verurteilte Boateng dann im Oktober 2022 in zweiter Instanz wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 000 Euro – insgesamt 1,2 Millionen Euro. Doch das Bayerische Oberste Landesgericht kassierte das Urteil. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt die Unschuldsvermutung.