Der ehemalige Kommandant des KSK in Calw verteidigt vor dem Tübinger Landgericht sein Umgang mit der Munitionsaffäre. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Auf unerklärliche Weise sind beim berüchtigten Kommando Spezialkräfte tausende Schuss Munition abhanden gekommen. Der Kommandeur startet deshalb eine Sammelaktion. Jetzt steht er wegen Strafvereitelung vor Gericht.

Auf den Schulterklappen seines grauen Dienstanzugs prangt goldenes Eichenlaub. Brigadegeneral Markus Kreitmayr trägt Uniform, auch auf der Anklagebank im Tübinger Landgericht. Da bedankt er sich, dass er sich so früh im Prozess zur Sache äußern dürfe. „Ich hoffe, dass aufgeklärt wird, was gewesen ist“, sagt er mit fester Stimme. Allerdings, das gehört zur Wahrheit, hat der Ex-Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Calw auf diesen Prozess lange warten müssen. Fast vier Jahre liegen die angeklagten Taten zurück, anderthalb Jahre brauchte die Erste Große Strafkammer zuletzt, um die Anklage zu prüfen.

 

Der Fall ist komplex, heißt es mehrfach. Vor allem aber führt er die Richter in eine Welt, die nicht unbedingt die Ihre sein dürfte. Er möge doch die sonst beim Militär üblichen Abkürzungen meiden, bittet der Vorsitzende Richter Armin Ernst deshalb vorsorglich. Dann lässt er sich Befehlsstrukturen, Führungszirkel und die unterschiedlichen Munitionstypen erklären. Denn darum geht es in diesem Prozess: den geheimnisvollen Schwund von Munition aus dem Depot der Calwer Kaserne und den Umgang Kreitmayrs mit dieser schockierenden Erkenntnis.

Kreitmayr soll aufräumen

Dass der 55-jährige Bayer nun vor Gericht steht, erscheint dabei fast tragisch. Denn bei seinem Dienstantritt im Jahr 2018 ist das KSK längst berüchtigt. Skandale um rechtsextreme Vorfälle haben die schnelle Eingreiftruppe in Verruf gebracht. Kreitmayr soll aufräumen. Er tritt an mit neuer Führungsmannschaft. Bei der Inventur im Dezember 2019 entdeckt der zuständige Oberst gewaltige Bestandsdifferenzen im Munitionsdepot. Patronen in fünfstelliger Anzahl sind verschwunden. „Das kam für mich völlig überraschend“, sagt Kreitmayr vor Gericht. Anstatt seinen Vorgesetzten zu unterrichten und die Staatsanwaltschaft einzuschalten, will er aber erst einmal aufklären – oder vertuschen, wie die Staatsanwaltschaft vermutet.

„Was mir vorlag, war nicht meldereif“, sagt Kreitmayr. Trotz der schillernden Vorgeschichte des KSK: Er habe nie daran gedacht, dass mutwillig scharfe Munition hinterzogen worden sein könnte. Vielmehr sei es um „Fehllagerungen“ gegangen, die er in einem „transparenten Verfahren“, aber ohne Angabe der Personalien habe zurückführen wollen – bevor tatsächlich etwas Schlimmeres passiere. „Die Soldaten sind sicherheitsüberprüft und haben einen Eid geschworen“, erklärt Kreitmayr dem Gericht. Deshalb habe er grundsätzlich Vertrauen gehabt. Allerdings habe es durch die jahrelange Schlamperei und schlechte Führung eine „Fehlprägung der Soldaten“ gegeben.

Mehr eingesammelt als vermisst

Die „Operation Frühjahrsputz“, die bei den Soldaten als Amnestie verstanden wird, verläuft erschreckend erfolgreich. 40 000 Schuss kommen zusammen – weit mehr als gefehlt haben. Ob es sich um Munition handelt, die die Elitesoldaten nach Einsätzen und Übungen quasi im Rucksack vergessen haben, kann man glauben oder nicht. Als aber auch zwei Handgranaten im Depot abgegeben werden, wird es selbst Kreitmayr mulmig. Der Fall erweist sich als harmlos und beunruhigend zugleich. Die Granaten gehörten zu einem verletzten Soldaten, der aus einem Kriegsgebiet ausgeflogen worden war. Als er sie später habe abgeben wollen, sei er weggeschickt worden. Deshalb habe er sie in einem Spint gelagert.

Vor dem Landgericht fordern Demonstranten die Auflösung der Elitetruppe. Foto: red/Wein

Noch während die Sammelaktion läuft, kommt es im Mai 2020 zu einer Hausdurchsuchung bei einem KSK-Elitesoldaten. In Erddepots findet die Polizei Waffen Sprengstoff und Munition. „Das war ein einschneidendes Ereignis“, sagt Kreitmayr. Dennoch habe er sich bestätigt gefühlt. „Genau das wollte ich ja verhindern“, sagt er. Der Prozess läuft bis Ende Februar.