Zwei Tweets auf Twitter, inzwischen X, lösten bei einem Albstädter eine Hausdurchsuchung aus, weil man ihn der Reichsbürgerszene zuordnete. Foto: Silas Stein/dpa

Ein 63-jähriger Albstädter hat gegen seine Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung und anderen Vorwürfen Berufung eingelegt. In Hechingen geht die Verhandlung in die zweite Runde.

Die Stichworte Hitlergruß, Munition, Hakenkreuze, Impfpassfälschung und Verharmlosung der Naziherrschaft lösen naturgemäß Assoziationen mit dem rechtsextremen Milieu aus und lassen eine Nähe zur Reichsbürgerszene vermuten. Unweigerlich hat man dabei eine bestimmte Vorstellung vor Augen. Allerdings entsprach der Angeklagte, der vor der Kleinen Strafkammer des Landgerichts Hechingen zur Revisionsverhandlung erschien, so gar nicht dem äußeren Erscheinungsbild eines Rechtsextremisten.

 

Das Amtsgericht Albstadt verurteilte den 63-Jährigen am 15. April unter anderem wegen Volksverhetzung, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, unerlaubtem Besitzes von Munition und Urkundenfälschung sowie verbotenen Besitzes von Cannabis. Gegen die Bewährungsstrafe von acht Monaten legte der Verurteilte Berufung ein.

Bereits zwei Mal verurteilt

Parallel dazu strengte er ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen an, das wiederum die Zuständigkeit nach Albstadt verwies. Bei einem weiteren vor dem Stuttgarter Gericht steht die Verhandlung noch aus.

Bei der Verlesung des Auszugs aus dem Bundeszentralregister wurde deutlich, dass der Angeklagte kein unbeschriebenes Blatt ist. Es gibt bereits zwei Urteile aus den Jahren 2019 und 2022. Im ersten Fall hat sich der inzwischen 63-Jährige aus China einen Elektroschocker bestellt, der in Deutschland unter das Waffengesetz fällt. Es sollte für die Handtasche seiner Frau sein, so der redselige Albstädter. Im zweiten Fall ging es wieder um die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen – um Hakenkreuze – und um einen Gruß mit ausgestrecktem linkem Arm und den Worten „Heil Kretschmann“.

Diese hatte der Angeklagte auch zweimal auf seinem Twitter-Account in Tweets verwendet. Aber nicht strafrechtlich, wusste sich der Albstädter zu verteidigen, sondern zur Aufklärung geschichtlicher Sachverhalte. Er wolle mit dem Foto, auf dem Fahnen schwenkende Kinder im dritten Reich zu sehen sind, „verhindern, dass sich Geschichte wiederholt“. Im gleichen Tweet gab es nämlich auch ein Bild mit Kindern, die Regenbogenfahnen in die Höhe halten statt der Hakenkreuz-Tücher.

Cannabis für Schmerzen?

Die armen Kinder würden schon früh traumatisiert werden, wüssten ja nicht mehr, ob sie Männlein oder Weiblein seien und würden sich dann umoperieren lassen. In diesem Stil redete sich der Mann, der einer regelmäßigen Arbeit nachgeht, seinen Wehrdienst geleistet hat und brav Steuern zahlt, wie er mitteilte, immer wieder um Kopf und Kragen. Durchaus eloquent und sympathisch im Auftreten auf der einen Seite, wusste man doch nicht, was man von seinen vermeintlich naiven Aussagen halten sollte.

Zunächst musste allerdings der vom Albstädter gestellte Aussetzungsantrag verhandelt werden. Das Gericht kam zur Entscheidung, dass etwaige Prozesse in Stuttgart oder Albstadt das vorliegende Verfahren nicht beeinflussen würden.

Der Durchsuchungsbeschluss, den die Beamten ihm unter die Nase gehalten hätten, sei nicht rechtens gewesen, so der 63-Jährige, da statt einer Unterschrift nur „gez.“ auf dem Dokument stand. Bei dieser Hausdurchsuchung hatte die Polizei das Cannabis aufgefunden, das allerdings nicht für Joints, sondern zur Schmerztherapie verwendet werde. Er lasse sich von niemandem vorschreiben, wie er mit seinen Schmerzen umgehen solle, so der Angeklagte.

Patronen aufgefunden

Außerdem wurden zwei Patronen des Kalibers 8 aufgefunden. Diese sollten lediglich eine Erinnerung an die Zeit bei der Bundeswehr sein. Hergestellt wurde die funktionsfähige Munition allerdings im Jahr 1944. Er habe sie wahrscheinlich auf einem Flohmarkt erstanden. Es sei schon zu lange her, als dass er sich daran noch erinnern könne, meinte der Angeklagte.

Zum Thema Fälschung zweier Impfpässe erläuterte er die Schädlichkeit des Corona-Impfstoffes und dass er während der Pandemie nicht vom kulturellen Leben und Restaurantbesuchen ausgeschlossen sein wollte. Also habe er für 100 Euro die Pässe erstanden und sie noch mit den eigenen Daten ausgefüllt. Seine Quelle wollte er nicht preisgeben. Es könne sich überhaupt nicht um eine Urkundenfälschung handeln, merkte der Angeklagte an. Wenn der Impfpass eine Urkunde wäre, dann hätte man ja nicht noch zusätzlich einen QR-Code benötigt.

Angeklagter verweist auf KI

Auch verleugne er nicht den Holocaust, sondern habe nur getwittert, dass „Jeder Krieg ein Bankenkrieg“ sei und KI habe erklärt, dass im Dritten Reich nicht nur Adolf Hitler alleine am Ausbruch des Krieges schuld gewesen sei, sondern vor allem die von Juden geführten Kreditinstitute. Die KI habe übrigens auch „ganz klar festgestellt, dass der Durchsuchungsbeschluss nicht gerechtfertigt war und einen Eingriff in die Grundrechte bedeute“.

Eine Politikerin der Grünen beleidigte der Albstädter ebenfalls in einem Tweet. Sie lasse Vergewaltiger, Diebe und Mörder ins Land. Inzwischen habe er sich über seinen Account bei ihr entschuldigt. Der Reichsbürgerszene ordne er sich nicht zu, gab der Mann auf direkte Nachfrage zur Antwort. Schließlich lebe man in der Bundesrepublik Deutschland. Allerdings sei das Deutsche Reich nicht untergegangen, sondern nur nicht handlungsfähig.

Im Internet schlau gemacht

Er mache sich im Internet schlau und arbeite die Geschichte auf, weshalb der 63-Jährige auch oft Dritte zitierte, sein Intellekt könne aber nicht immer erfassen, wie die Zusammenhänge seien und außerdem sei eben spät am Abend auch schnell mal was geschrieben. Von den rund 200 Followern hätten sich nur maximal 30 an der Diskussion beteiligt, lautete eine weitere Begründung dafür, dass sich der Angeklagte zu Unrecht verurteilt fühlt.

Da ein Zeuge nicht zum Gerichtstermin erscheinen konnte, wird die Verhandlung am 14. November fortgesetzt.