CSU-Chef Horst Seehofer hat sich auf die Seite des Protests geschlagen Foto: dpa

Monstertürme, Todesstreifen, Mördertrasse: Im Freistaat baut sich ein gewaltiger Protest gegen die geplante Stromautobahn auf – auch CSU-Chef Seehofer mischt mit.

Bergen - Es scheint, als ob dieser hochgewachsene Mann mit grauem Haar, der auf dem Kirchplatz von Bergen das etwas wacklig wirkende Podium erklimmt, so etwas wie der Anführer ist. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Trasse nicht kommt“, ruft er den 500 Demonstranten zu. „Lassen Sie sich nicht besänftigen!“ Auch in Zukunft, so meint er, sollen die Menschen in dem 389-Einwohner-Dorf und anderswo sagen können: „Es ist ein Glück, in Bayern zu leben.“ Applaus, Applaus. Horst Seehofer ist der Mann, der sich so auf die Seite des Protestes schlägt, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender.

Es ist ein Protest, der in Teilen des Freistaates fast schon zu einem Flächenbrand wird. Die Leute wehren sich gegen die geplante sogenannte Gleichstrom-Passage Süd-Ost, die von Sachsen-Anhalt durch Thüringen und weite Teile Frankens bis ins bayerisch-schwäbische Meitingen bei Augsburg verlaufen soll. Eine Starkstrom-Trasse mit 70 Meter hohen Masten soll das sein, die im Zuge des Ausstiegs aus der Atomkraft und der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) den Strom aus Wind- und Solarparks sowie Braunkohle nach Bayern befördert. Der Freistaat braucht die Energie dringend, denn bis 2022 sollen die vier noch laufenden Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Ansonsten, so befürchten diePlaner, könnten die Lichter ausgehen, der so bedeutenden Industrie würde der Strom fehlen.

Das Dorf Bergen gehört zu Neuburg an der Donau, es liegt in Seehofers Landtagswahlkreis, die nächste größere Stadt ist Ingolstadt, 25 Kilometer östlich. Um eine Ahnung davon zu bekommen, was die Mega-Masten für die Menschen hier bedeuten, muss man nur ein paar Meter aus dem Ort hinauslaufen ins Schuttertal. Die Wiesen sind satt grün, die Wege entlang des Flüsschens ein Eldorado für Wanderer, Jogger, Radler. Bergen liegt am neuen Jakobsweg, Ziel der Pilger ist das spanische Santiago de Compostela. Genau durch dieses Schuttertal soll die Trasse mit ihren 70 Meter hohen„Monstertürmen“ verlaufen, wie sie von den Gegnern bezeichnet werden.

Es grassiert die Angst vor Elektrosmog, vor dem lauten Surren, vor Gefahren und Unfällen. An einem Haus in Bergen steht ein Schild: „Gott schütze den Lebensraum unserer Kinder.“ Auf den Transparenten der Demonstranten wird vor der „Mördertrasse“ gewarnt.

Nach der flammenden Seehofer’schen Rede sagt ein älterer Mann: „Jetzt muss man es ihm nur noch glauben.“ Denn eben jener Horst Seehofer hat ja in Berlin als Vorsitzender der Regierungspartei CSU all das mitbeschlossen, was er nun auf dem Kirchplatz im Angesicht der mächtigen Wallfahrtskirche Heilig Kreuz heftig kritisiert. Manche Plakate fordern ihn auch auf, er möge nicht, wie schon so oft, zum „Drehhofer“ werden.

Dass die Trasse viel Ungemach mit sich bringen könnte, wurde der CSU Ende Januar durch eine Demo im oberfränkischen Kulmbach und bei einer Informationsveranstaltung in Nürnberg klar. Der Trassenbetreiber, die aus dem RWE-Konzern ausgegliederte Firma Amprion mit Sitz in Dortmund, wollte den 1000 Bürgern die Pläne erklären. Die Strom-Männer wurden aber dermaßen beschimpft und niedergebrüllt, dass die Veranstaltung fast abgebrochen werden musste. Ihnen wird vor allem „Profitgier“ unterstellt.Spätestens da wurde Bayerns Regierenden deutlich, dass sie einen Rückzieher machen sollten.

Vor drei Jahren noch hatte der jetzige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt über die Gegner gewettert: „Die Neinsager, die gegen Pumpspeicher-Kraftwerke oder neue Stromtrassen sind“, so der damalige CSU-Generalsekretär, sollten „ihre Blockadehaltung aufgeben“.

Insgesamt sind in Deutschland drei Trassen von Nord nach Süd geplant: Neben der Gleichstrom-Passage Süd-Ost wären dies die sogenannte Ultranet im Westen, sie würde von Emden in Ostfriesland zum Atomkraftwerk Philippsburg in Baden-Württemberg verlaufen, sowie dieSuedlink von Schleswig-Holstein bis in die Nähe von Heilbronn.

Die Argumentation des umgeschwenkten Seehofer lautet nun so: Die Trasse durch Bayern ist nicht nötig, weil es dort schon genug Stromleitungen gibt. Zudem soll auch aus Braunkohle erzeugter Strom transportiert werden, was gar nicht infrage kommt. Inzwischen gibt es Dutzende Bürgerinitiativen an den Orten entlang der geplanten Trasse. In Bergen sind alle Einwohner über 14 Jahren Mitglied. Zum Kirchplatz ist auch Birgit Baumgärtner aus Tauberfeld bei Eichstätt angereist. „Bei uns machen doch viele Leute Urlaub“, sagt sie, „man kann die Natur nicht zerstören.“ Das Altmühltalwäre betroffen, ebenso das Donautal.

Doch es hat aus Sicht der Betreiber schon seine Logik, dass man die Leitung genau da bauen will – in der Natur, wo wenige Menschen leben und das Protestpotenzial nicht so groß sein dürfte. „Der Seehofer ist halt ein redegewandter Profi“, meint Reinhold Trost aus dem 40 Kilometer entfernten Pfahldorf. „Die Ortschaften müssen sich erheben. Die Trasse soll 450 Kilometer lang sein, da sitzen wir alle im selben Boot.“