Die Corona-Pandemie hat die Situation in der Prostitution, auch in Villingen-Schwenningen, verändert. Foto: © kalcutta - stock.adobe.com

Kontaktbeschränkungen und Verbote haben in einigen Branchen zu Illegalisierung und Kriminalisierung geführt. Und besonders betroffen ist hier die Prostitution.

Villingen-Schwenningen - Wir sprachen mit Mahita Massaro, die sich in der Fachberatungsstelle P.I.N.K. für das Wohlergehen von Sexarbeiterinnen in Villingen-Schwenningen einsetzt.

Frau Massaro, wobei geht es bei P.I.N.K. und wie genau sieht ihr Hilfsangebot für Sexarbeiterinnen aus?

Unser Angebot richtet sich an alle Menschen in der Sexarbeit, das sind nicht nur, aber überwiegend Frauen. Bei uns steht im Vordergrund, dass wir diese da abholen, wo sie uns brauchen, und dass wir wertfrei Unterstützung anbieten. Unser Angebot umfasst eine allgemeine Sozialberatung, bei der es um existenzielle Fragen geht wie die Sicherung des Lebensunterhalts, gerade jetzt in der Pandemie. Oft beinhaltet dies auch Gesundheitsfragen – aktuell etwa welche Corona-Regelung gerade gültig ist oder wo und wann man sich testen lassen muss und wie man an einen Impftermin kommt. Andere Themen sind zum Beispiel Versicherungs- und Steuerfragen, Wohnung, Schwangerschaft und natürlich Familie. Somit bieten wir auch eine psychosoziale Beratung, und wir vermitteln an unser Netzwerk aus Experten. Häufig bringen die Ratsuchenden mehrere Anliegen mit, woraus sich eine längerfristige Begleitung entwickelt.

Wie genau gehen Sie bei der Beratung vor?

Um unser Angebot bekannt zu machen, schreiben wir einerseits die Personen an, die auf entsprechenden Portalen im Internet inserieren, andererseits gehen wir in die Prostitutionsstätten, wo wir normalerweise immer freundlich aufgenommen werden. Dort bringen wir Infomaterial und Geschenke mit, um mit den Frauen in Kontakt zu treten. Manchmal ergeben sich hier direkt Gespräche, Terminanfragen für eine längere Beratung oder wir können einfach kleinere Fragen direkt vor Ort klären. Es gibt dabei verschiedene Formen von Häusern – zum Beispiel solche, bei denen einzelne Türen zugänglich sind, oder andere, bei denen geklingelt werden muss und wo uns eine Türdame in einen Gemeinschaftsraum führt. Das gestaltet sich also alles sehr unterschiedlich, ebenso wie die Beratungstermine. Dafür steht uns ein schönes, zentral gelegenes Büro zur Verfügung, wir können aber auch die ratsuchende Person besuchen oder uns an einem neutralen Ort treffen.

Verhelfen Sie den Sexarbeiterinnen zu mehr Selbstbestimmung?

Die Frage nach Selbstbestimmung und Abhängigkeit ist schwer zu beantworten. Da müsste man oft auch fragen, wie selbstbestimmt andere Tätigkeiten sind. Es gibt ja durchaus Frauen, die beispielsweise ein eigenes Massage- und Tantra-Studio haben, ihre Steuererklärung selbstständig erstellen und genau wissen, mit welchen Anliegen sie noch zur Beratungsstelle kommen können. Das sind dann häufig Frauen, die in Deutschland sozialisiert sind und sich mit den Gegebenheiten hier auskennen. Aber es gibt auch viele Frauen aus anderen Ländern, welche die Sprache oder bestimmte Regelungen nicht richtig verstehen – die stehen also vor ganz anderen Herausforderungen.

Aber Sie bieten schon auch eine Möglichkeit, dass Frauen aus der Branche aussteigen, oder?

Ja, aber das hat nicht den Vorrang. Wenn jemand eine andere Tätigkeit ausüben möchte, unterstützen wir sie selbstverständlich dabei. Allerdings ist so ein Neustart im Berufsleben nicht einfach. Das ist einerseits stark mit der Stigmatisierung der Prostitution verknüpft, was Bewerbungen erschwert. Dabei kann es durchaus Kompetenzen geben, die in dieser Tätigkeit schon erlernt wurden und auch für einen anderen Job hilfreich sein können. Andererseits erfordert ein Neustart auch häufig die Suche nach einer Wohnung, nach Sprachkursen und ähnlichem. Weil das sehr zeitintensiv ist, freuen wir uns, dass unser neues Angebot pink+ in Villingen-Schwenningen im Januar starten konnte. Pink+ ist ein vom Europäischen Sozialfonds gefördertes Projekt mit dem Fokus auf berufliche Neuorientierung. Damit können wir ganz individuell bei Jobsuche und Bewerbung unterstützen. Je nachdem, was die Person mitbringt und braucht, kann erst einmal ein Sprachtraining erfolgen, bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse unterstützt oder auch ein Praktikum oder Ausbildungsplatz gesucht werden. Gemeinsam arbeiten wir mit den Teilnehmenden daran, dass diese durch das Entdecken eigener Kompetenzen und Interessen neue Perspektiven und realistische Ziele entwickeln.

Wie hat sich die Arbeit durch die Pandemie verändert?

Wir haben in Villingen-Schwenningen erst im Februar letzten Jahres begonnen und das machte uns den Start hier nicht leicht. Es gab so viele Kontrollen im Bezug auf die Corona-Maßnahmen, dass zunächst ein gewisses Misstrauen herrschte, ob wir nicht auch irgendeine neue kontrollierende Behörde wären. Gerade in der Pandemie hat man gesehen, dass ein Verbot nicht dazu führt, dass weniger Sexarbeit stattfindet. Vielmehr hat das ganz klar zu einer Verschlechterung für alle Beteiligten geführt. Dadurch, dass die Häuser geschlossen waren, haben viele Frauen dann einfach illegal irgendwo weitergearbeitet – ohne jedes schützende System oder Kontakt zu uns sowie staatlichen Stellen. Das betraf natürlich nicht alle Frauen. Am Anfang, als man noch dachte, der Lockdown geht vielleicht nur ein paar Monate, sind einige zu ihrer Familie gefahren oder haben von ihrem Ersparten gelebt. Aber andere saßen dann wirklich auf der Straße, weil sie an dem Arbeitsplatz auch wohnen und sich nur von einem auf den nächsten Tag finanzieren. Da gab es dann Frauen, die wirklich nicht wussten, wo sie ihr Essen herbekommen. Teilweise ist da auch noch eine ganze Familie, die in einem anderen Land lebt, abhängig von dem Einkommen der Sexarbeiterin. Weil manche Kunden die vulnerable Lage der Frau ausnutzen, kommt es vermehrt zu Gewalt oder der Forderung nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr, oder die Männer versuchen den Preis zu drücken. Die Zahlen der gewalttätigen Übergriffe haben in der Pandemie merklich zugenommen.

Wie kam es dazu, dass in Villingen-Schwenningen eine Außenstelle geschaffen wurde?

P.I.N.K. betreibt in Trägerschaft des Diakonischen Werks Freiburg dort bereits seit 2009 eine Fachberatungsstelle. Einzelne Klientinnen im Schwarzwald-Baar-Kreis wurden schon länger betreut und auch vor Ort aufgesucht. Da sich abzeichnete, dass es einen großen Beratungsbedarf in Villingen-Schwenningen gibt, hat P.I.N.K. 2018 eine Bedarfsanalyse durchgeführt und der Bedarf wurde bestätigt. Hier gibt es ähnlich viele Betriebe und Arbeitsplätze in der Sexarbeit wie in Freiburg, obwohl die Stadt ja wesentlich kleiner ist. Mit coronabedingten Projektmitteln des Sozialministeriums Baden-Württemberg konnte im Februar 2021 die Außenstelle in Villingen geschaffen werden. Wir haben in Villingen-Schwenningen das große Glück, dass wir bereits ein ehrenamtliches Team vor Ort hatten, das hier schon länger aktiv ist, über Kontakte verfügt und von Anfang an ein gewisses Grundvertrauen zu den Frauen herstellen konnte. Dazu ist auch eine der Ehrenamtlichen meine Kollegin bei P.I.N.K. geworden, was wirklich ungemein hilfreich ist. Geplant war die Außenstelle hier in VS nur bis Jahresende 2021, jetzt wurde sie für ein weiteres Jahr verlängert. Danach müssen wir uns um eine Folgefinanzierung bemühen.

Wer unterstützt Sie sonst noch hier vor Ort und wo können Sie Unterstützung gebrauchen?

Nach der Bedarfsanalyse wurde ein Runder Tisch generiert, der von der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises moderiert wird. Es sind quasi alle Ämter und Stellen, die mit dem Thema Berührung haben, eingeladen. So treffen sich da zum Beispiel Vertreter von Gesundheitsamt, Ordnungsamt, Gewerbeamt, Jobcenter oder auch der Kripo. Natürlich herrscht bei P.I.N.K. eine Schweigepflicht, das heißt, ich gebe nichts weiter, was die Klientinnen mir anvertrauen. Andererseits kann ich aber auch bei der Kripo oder der Steuerfahndung beim Finanzamt Infos einholen. Beim Thema Recht und Steuern gibt es sehr spezifische Fragen, etwa zu Strafrecht oder Ausländerrecht, Sozialrecht oder Familienrecht. Aufgrund der Vielschichtigkeit dieser Rechtsfragen können wir auf jeden Fall immer Unterstützung gebrauchen. Sehr schwierig gestaltet sich die Steuerberatung. Da fehlt uns wirklich noch jemand, der uns unterstützt. Gerade bei der Beantragung der Corona-Hilfen waren wir da völlig auf uns alleine gestellt. Wenn sich hier Unterstützung in VS fände, wäre das sehr hilfreich. Da sowohl die Finanzierung für die Beratungsstelle als auch für das Projekt pink+ nur bis Ende des Jahres gegeben ist, ist es uns natürlich ein großes Anliegen, eine längerfristige Perspektive zu entwickeln, um auch in Zukunft weiterhin das Angebot erhalten zu können.