Knut Kircher während seiner aktiven Zeit im internationalen Einsatz Foto: Pressefoto ULMER/Claus Cremer

Knut Kircher pfeift am 15. Juli in Mitteltal das Jahrhundert-Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und Werder Bremen. Für den langjährigen Fifa- und Bundesligaschiedsrichter ist es auch ein Wiedersehen mit alten Bekannten.

Am 15. Juli treffen auf dem Sportgelände des SV Mitteltal-Obertal die Traditionsmannschaften des SV Werder Bremen und des VfB Stuttgart aufeinander. Schiedsrichter dieser Partie zum „100 plus zweijährigen“ Vereinsjubiläum des Clubs ist Knut Kircher, langjähriger Fifa- und Bundesligaschiedsrichter aus Hirschau bei Tübingen. Karten für die Partie gibt es bei allen Zweigstellen der Volksbank im Kreis Freudenstadt.

Herr Kircher, waren sie schon mal in Mitteltal, oder müssen sie sich ganz auf Ihr Navi verlassen?

Tatsächlich war ich bislang noch nie in Mitteltal. Das Spiel ist meine Premiere auf dem Sportplatz des SV Mitteltal-Obertal. Da werde ich sicherlich mein Navi zur Hilfe nehmen, um pünktlich anzukommen (lacht). Ich freue mich auf die wunderschöne Gegend, einen großartigen Anlass und ein interessantes Spiel. Schön, mal wieder in der Mitte des Platzes zu stehen.

Wie häufig sind sie selbst noch an der Pfeife?

Relativ wenig, wenn dann zu solchen schönen Veranstaltungen. Ansonsten versuche ich eher, meine Erfahrungen als Beobachter in der 1. und 2. Bundesliga an die aktiven Schiedsrichter-Teams weiterzugeben.

Sie sind also der Schiedsrichterei treu geblieben. Was ist Ihre Aufgabe als Beobachter?

Die Schiedsrichter von der 1. Bundesliga bis zur Bezirksliga unterziehen sich einem Beobachtungssystem. Dies dient auf der einen Seite dazu, sich zu entwickeln und zu verbessern, und auf der anderen Seite auch, um sich nach oben zu entwickeln beziehungsweise aufzusteigen in die nächst höhere Liga. Die Beobachter analysieren und bewerten mit ihrer Erfahrung und Expertise die Leistung der Unparteiischen und geben den Teams dann ein offenes und ehrliches Feedback.

Haben sie selbst als Aktiver Beobachter eher gehasst oder geliebt?

Weder noch. Die Beobachter sind Teil des Systems. Wie Trainer oder Manager für die Spieler, so sind wir für die Schiedsrichter. Wir wollen die Kolleginnen und Kollegen weiterentwickeln. Selbst habe ich mich immer mit meiner Leistung kritisch auseinandergesetzt und das Notwendige daraus abgeleitet, um besser zu werden.

Sind Sie froh, dass der VAR erst nach ihrem Karriereende eingeführt wurde?

Nein, bin ich nicht. Ich bin ein technisch sehr affiner Mensch. Allein aus diesem Gesichtspunkt heraus hätte es mich interessiert, wie es ist, in so einem so gestressten und emotional aufgeladenen Umfeld eine weitere Informationsquelle zu haben, die einem idealerweise hilft, aus einer auf dem Feld falsch getroffenen Entscheidung eine richtige zu machen.

Es wird viel über den VAR diskutiert. Es scheint so, als ob dies vor allem in Deutschland der Fall ist und hier aber auch nur beim Fußball. In anderen Sportarten funktioniert der Videobeweis besser.

Ehrlich gesagt, fehlt mir der Blick über den deutschen Tellerrand hinaus in andere Länder. In anderen Sportarten ist der Videobeweis schon länger etabliert und akzeptiert. Hier gibt es auch andere Umsetzungsmöglichkeiten, wie das Challenge-Modell. Leider erleben wir nach wie vor ständig Diskussionen um den VAR. Im Fußball gibt es viele Grauzonen, und die einzelnen Gruppen, egal ob Spieler, Trainer oder Fans, erleben und sehen die Situationen auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Letztlich geht es aber nicht darum, die Situationen in den Graubereichen zu überprüfen, sondern einzugreifen, wenn eine Entscheidung im weißen oder schwarzen Bereich klar falsch war. Hier läuft aber auch noch nicht alles optimal, und wir lernen Woche für Woche dazu.

Freuen Sie sich auf das Wiedersehen mit den Ehemaligen?

In der Tat freue ich mich sehr darauf. Die Stuttgarter trifft man ja nach wie vor öfters mal beim einen oder anderen Promispiel, wenngleich auch hier immer mal wieder neue ehemalige Spieler dazu kommen. Viele der Bremer Spieler habe ich sicher lange nicht gesehen. Es ist immer schön, sich wieder zu treffen. Man kennt und schätzt sich. In einem so ungezwungenen Umfeld, wenn das Gewinnen nicht mehr im Vordergrund steht, macht es allen Beteiligten sehr viel Spaß. Wenn das Spiel dann 4:4 oder 5:5 ausgeht, auch die Besucher und Veranstalter zufrieden sind, dann hatten alle eine tolle Zeit miteinander.

Vor mittlerweile sieben Jahren haben Sie Ihre Karriere beendet. Wie lange hat es gedauert, bis Sie das Ausscheiden verarbeitet haben?

Bis ich damals mit dem Auto bei mir zu Hause ankam. Ich konnte mit dem letzten Schlusspfiff gut abschließen. Aufgrund der damaligen Altersgrenze wusste ich, dass es mein letztes Jahr ist. Entsprechend bewusst habe ich jedes Spiel wahrgenommen. Das letzte auf Schalke, das letzte in Hamburg, der letzte Lehrgang und so weiter. Ich habe das Jahr genossen und so fiel mir der Abschied nicht schwer. Parallel zu den letzten Spielen habe ich mein berufliches Engagement bei Mercedes zeitlich gesteigert und konnte mich hier auch mehr und mehr einbringen. Nach meinem letzten Schlusspfiff war ich somit komplett mit mir im Reinen und vollauf zufrieden mit dem Erreichten.

15 Jahre Fußball-Bundesliga, fast 20 Jahre DFB-Pokal. Gibt es Spiele, die Ihnen heute noch in Erinnerung sind?

Sicherlich sind das einige, wie beispielsweise die erste Partie 2001 im Münchner Olympiastadion beim TSV 1860 München, oder das letzte Spiel in der Allianz-Arena beim FC Bayern 2016. Aber auch der 1:0- Sieg von Dortmund gegen Bayern am 30. Spieltag, einem Mittwochabend in der Saison 2011/12. Dortmund wurde schließlich Meister – die letzte Meisterschaft seither, die nicht an Bayern München ging. Ich habe aber auch Spiele wie Wolfsburg gegen Hertha noch in Erinnerung. Das habe ich komplett in den Sand gesetzt, mit vielen Fehlern. Es gibt viele Spiele, da es ist schwer eins herauszugreifen. Das Pokalendspiel 2008, Bayern gegen Dortmund, gehört aber sicher auch zu den Höhepunkten meiner langen Laufbahn.

Auch international waren Sie viel unterwegs, leiteten zwölf Länderspiele und 23 Europapokal-Begegnungen. Denken Sie an einen Einsatz besonders gern oder auch ungern zurück?

Ins Stadion bei Benfica Lissabon sind wir immer mit einer Polizeieskorte chauffiert worden. Die machten immer einen Wettbewerb daraus, uns schneller als beim vorangegangenen Spiel vom Hotel zum Stadion zu bringen. Da hatten wir echt Sorge, heil anzukommen, so schnell ging es da über die Straßen von Lissabon (lacht). In der Türkei konnten wir uns wie Staatsgäste fühlen. Da wurden von Polizisten immer alle Kreuzungen abgesperrt, wenn wir zum Stadion fuhren. Interessant und eindrücklich war auch die Zeit in der Liga in Südkorea. Hier habe ich bei einem Austauschprogramm einige Wochen verbracht. Da bin ich dankbar.

Und so einen richtigen Gänsehautmoment gab es auch?

Ja, beim Pokalfinale in Berlin. Wir warteten vor dem Einlaufen am Marathontor hinter einer Wand, die sich dann 30 Sekunden später öffnete. Die Atmosphäre im Stadion war unglaublich. Dieser Moment, das war wirklich Gänsehaut pur, und die Erinnerung daran zaubert mir immer noch ein Lächeln ins Gesicht.

Mit etwas Abstand darf man das ja wahrscheinlich sagen: Gab es Lieblingsvereine oder Lieblingsarenen?

Nein, das gab es in der Tat nicht. Wir haben uns überall wohl gefühlt, wurden stets mit Respekt empfangen, und auch die Rahmenbedingungen, beispielsweise die Schiedsrichterkabinen, unterscheiden sich auch nicht großartig.

In Mitteltal werden Sie an der Linie von zwei Jungschiedsrichtern des SV Mitteltal-Obertal begleitet. Was raten sie diesen, um es auch mal nach oben zu schaffen?

Sie sollen immer dranbleiben und stets offen für konstruktive Gespräche und Ratschläge sein. Wichtig ist, nie den Spaß zu vergessen und immer daran zu denken, warum man als Schiedsrichter begonnen hat.

Zur Person

Bundesliga
Knut Kircher, Jahrgang 1969, war Schiedsrichter des TSV Hirschau. Ab 1997 gehörte er dem DFB-Schiedsrichterkader an. Seit 1998 leitete er Spiele der 2. Fußball-Bundesliga. Ab der Saison 2001/02 war er Schiedsrichter in der 1. Bundesliga, 2004 wurde er Fifa-Schiedsrichter. Seine Bundesliga-Premiere feierte er am 8. September 2001 beim Heimspiel des TSV 1860 München gegen den 1. FC Nürnberg.

Länderspiele und Pokal
Das erste A-Länderspiel unter seiner Leitung war das WM-Qualifikationsspiel zwischen Andorra und Rumänien. Höhepunkt seiner Schiedsrichterkarriere war das DFB-Pokalfinale 2008 in Berlin zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München. 2011 leitete er auch den Supercup zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund.

Bilanz
2012 wurde Kircher zum Schiedsrichter des Jahres gewählt. Am 14. Mai 2016 beendete er nach Erreichen der Altersgrenze mit der Partie FC Bayern München gegen Hannover 96 seine aktive Schiedsrichterlaufbahn. Knut Kircher leitete insgesamt 244 Bundesliga- und 128 Zweitligaspiele. Dazu zwölf Länderspiele und 23 Europapokalpartien.