Das Gebäude In der Muslen 8, in 1-a-Lage in der Schwenninger Fußgängerzone, ist endlich fertig saniert. Doch was hat der Eigentümer, die evangelische Kirchengemeinde, damit vor?
VS-Schwenningen - Ein jeder Schwenninger wird das Gebäude an einer Seite des Muslenplatzes aus seinen Zeiten kennen, als die Parfümerie Butta im Erdgeschoss beheimatet war. In den Siebzigerjahren erbaut, stand es schon immer im Eigentum der evangelischen Kirchengemeinde. Bis vor einigen Jahren waren im Obergeschoss mit direktem Zugang zum Muslenzentrum Pfarr- und Messner-Wohnung untergebracht. Dann wurde die Pfarrstelle gestrichen, wie sich Pfarrer Klaus Gölz erinnert, und die Frage kam auf, wie, in welchem Umfang und zu welchem Zweck das Gebäude saniert werden solle.
Mehrere Möglichkeiten standen zur Debatte: etwa ein Kindergarten-Ersatz für die benachbarte Wilhelmspflege. Die Möglichkeiten vor Ort seien aber letztendlich nicht kompatibel mit den Anforderungen eines Kindergartens gewesen, sagt Klaus Gölz. Auch ein Verkauf stand im Raum, oder die komplette Umnutzung als Wohnhaus, das sei aber zu aufwendig zu sanieren gewesen.
Wohnungen werden zum sozialen Zweck vermietet
Irgendwann war klar: Die Wohnungen im Obergeschoss sollen zu sozialem Zweck vermietet werden. Und das Erdgeschoss mit seinen großen Schaufenstern in 1-a-Lage in der Fußgängerzone? An gewerblicher Nutzung sei man eigentlich nie interessiert gewesen. Die aufkommende Idee, die Räumlichkeiten zu einem kirchlich-diakonischen Zweck als eine Art Begegnungsstätte zu nutzen, sei unterstützt worden, als die Diakonie in Schwenningen vom Diakonischen Werk Württemberg angeschrieben wurde, am Projekt "Aufbruch im Quartier" teilzunehmen, erzählt Elke Armbruster, Leiterin der Schwenninger Diakonie-Beratungsstelle. Seit Ende 2020 unterstützt das Diakonische Werk also das Schwenninger Projekt und begleitet es in Form von verschiedenen Werkstätten. Darüber ist auch die 40-Prozent-Stelle von Diakonie-Mitarbeiterin Angelika Köhnlein-Welte entstanden, die für den Aufbau und die Bespielung des Quartiers-Projekts zuständig sein wird.
Quartiersprojekt bezieht die gesamte Innenstadt mit ein
In diesem Zuge wird sie zunächst eine Sozialraum- beziehungsweise Bedarfsanalyse erstellen. Zudem habe man einen Antrag beim Deutschen Hilfswerk im Rahmen der Deutschen Fernsehlotterie gestellt, im vergangen November den Zuschlag für eine einjährige Förderung für das sogenannte "Quartiersprojekt Innenstadt Schwenningen" bekommen. Analog zum neuen Sanierungsgebiet der Stadt soll der betroffene Sozialraum von der Alten Herdstraße über Marktplatz, Sturmbühlstraße, zurück über Kreuzstraße über die Hochschulen bis hin zum Bahnhof reichen und zusätzlich den Bereich um den Vorderen See miteinbeziehen, erklärt Beratungsstellen-Leiterin Armbruster.
Bedarf bei den Bürgern ist vorhanden
Bei den bisherigen Planungen seien den Verantwortlichen von Kirche und Diakonie zwar schon viele Ideen für die adäquate Nutzung gekommen, man wolle aber erst nach dem tatsächlichen Bedarf der Bürger schauen, erklärt Pfarrer Gölz. Dass Bedarf in diesem Sozialraum auf jeden Fall vorhanden ist, sei schon allein beim Blick auf die blanken Zahlen klar: 80 Prozent der Bürger hätten einen Migrationshintergrund, fast 50 Prozent seien ein Ein-Mann-Haushalt. Auch der Anteil der Ü-65-Jährigen sei sehr groß, weiß Angelika Köhnlein-Welte. So gebe es in der Tat viele Menschen mit dem Bedarf an Begegnung.
Aktive Beteiligung an Projekt
"Wir wollen ein niederschwelliges Angebot schaffen, um Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, um Integration zu schaffen und um Einsamkeit vorzubeugen", umreißt Elke Armbruster das Konzept. Was man beim Quartiersprojekt jedoch nicht wolle, sei ein "offener Treff zum Abhängen", betont Projekt-Leiterin Köhnlein-Welte. Wichtig sei, dass etwas aus dem Treff gemacht werde. "Ich hoffe, dass wir die Menschen aktiviert bekommen, sich zu engagieren." Zusätzlich sollen einige Gruppen, unter anderem Projektgruppen des Arbeitskreises Asyl, hier die Möglichkeit zum Zusammenkommen haben.
Auch eine Studenten-WG ist untergebracht
Die Belegung der Wohnungen in den drei Obergeschossen sei derweil bedarfsorientiert erfolgt, wie Klaus Gölz berichtet. So ist auf Initiative von Pfarrerin und Hochschulseelsorgerin Märit Kaasch eine Studenten-WG mit fünf Zimmern entstanden. Zwei große Wohnungen werden von einer syrischen und einer afghanischen Flüchtlingsfamilie bewohnt, das Einzel-Appartement von einem ukrainischen Flüchtling. Rund 500 000 Euro hat die Kirchengemeinde in die Sanierung des Gebäudes gesteckt. Die Raumstruktur wurde dabei kaum verändert, Sanitär, Wasser und Leitungen mussten aber erneuert werden.
Umfrage ist gestartet
Angelika Köhnlein-Welte, die mit 50 Prozent zudem seit 14 Jahren als akademische Mitarbeiterin im Sozialwesen der DHBW tätig ist, freut sich auf ihre neue Aufgabe und auf das Projekt, das am vergangenen Samstag zur Kulturnacht zum ersten Mal in der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Dann nämlich hat die Diakonie mit einer Fotobox und einer Befragung im Rahmen der Bedarfsanalyse auf den Quartierstreff aufmerksam gemacht.