Privatpatienten im Basistarif schlagen Alarm: Ärzte weigern sich, sie  zu behandeln.

Stuttgart - Jahrzehntelang war Hannelore Loll (Name geändert) privat krankenversichert. Dann ging sie in Rente, und der ständig steigende monatliche Beitrag sprengte ihr Budget. Damals führten die privaten Versicherer einen Standardtarif ein. Er sollte finanziell schwachen Kunden, die nicht in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wechseln konnten, eine medizinische Versorgung garantieren. Wie beim sogenannten Basistarif (BT) sind die Leistungen gegenüber einer privaten Vollversicherung abgespeckt und in etwa mit denen der GKV vergleichbar. Die Prämien orientieren sich am Höchstbetrag der Gesetzlichen.

Beim Haus- und Frauenarzt merkte Hannelore Loll keine Änderung. Doch 2010 musste sie wegen einer akuten Verletzung zum Augenarzt. Sie legte das Versicherungskärtchen vor, das auf die geringeren Gebührensätze für den Arzt hinweist, wurde auch ins Sprechzimmer gerufen, da ein Notfall. Anschließend jedoch beschied ihr die Ärztin: "Ich behandle nicht zum Basistarif."

Seither fühlt sich die 74-Jährige als Patientin dritter Klasse. Vollversicherte Privatpatienten und GKV-Mitglieder habe die Augenärztin nicht abgewiesen. Loll fragte in einer anderen Praxis wegen einer Weiterbehandlung nach. "Als die Basistarif hörten, ließen sie mich nicht mal ins Wartezimmer", erzählt sie. Insgesamt klopfte sie bei vier Augenärzten an - erfolglos. Vermutlicher Grund: Im Basistarif erstattet die Kasse für ärztliche Leistungen weniger Honorar: den 1,2-fachen Satz der Ärztlichen Gebührenordnung statt des sonst üblichen 2,3- oder gar 3,5-fachen bei privat Besserversicherten. Loll bekam ihren Termin erst, als sie die hohe privatärztliche Rechnung akzeptierte, die Differenz zur Kassenleistung aus eigener Tasche beglich.

Betroffene fühlen sich diskriminiert

Nach Schätzungen des Verbandes der Privaten Krankenversicherer (PKV) sind bundesweit rund 21.000 Menschen im Basistarif versichert. Viele fühlen sich diskriminiert wie Hannelore Loll. In Internet-Foren tauschen sie sich aus, mit Aktionen versuchen sie, die Öffentlichkeit auf die Ungleichbehandlung aufmerksam zu machen. "In der medizinischen Versorgung stehen sie auf der Straße", schreibt eine Heilpraktikerin. Zu Unrecht. "Das Verhalten der Ärzte war grob rechtswidrig. Sie dürfen keine Patienten wegschicken, nur weil diese im Basistarif versichert sind", erklärt Ulrike Steckkönig, Redakteurin für Gesundheit bei "Finanztest". Auf jeden Fall haben sie Anspruch auf Behandlung von Ärzten mit kassenärztlicher Zulassung.

Der Basistarif wurde per Gesetz im Januar 2009 eingeführt und richtet sich vornehmlich an zwei Zielgruppen: Er soll Tausenden, die nicht versichert waren und nicht in die GKV können, eine medizinische Grundversorgung ermöglichen. Aber auch privat Versicherten, die die Beiträge nicht mehr zahlen können. Doch gerade dieses Ziel erfüllt der BT häufig nicht. Geringverdiener, Rentner oder kleine Selbstständige können die derzeit 575,44 Euro Höchstbetrag im Monat kaum aufbringen. Anders als bei den Gesetzlichen steigen und sinken die Prämien nämlich nicht mit dem Einkommen. Man müsse den Höchstbeitrag erheben, weil man mit den Einnahmen aus dem Basistarif sämtliche medizinischen Risiken abdecke, argumentiert der PKV-Verband. Zudem dürfe man Anträge auf den Basistarif nur in Ausnahmefällen ablehnen und auch keine Risikozuschläge erheben.

Die hohen Beiträge sind für BT-Versicherte umso bitterer, als sie an den wenigen Vorteilen der GKV nicht partizipieren, wie etwa der Mitversicherung der Familie. Außerdem erstattet ihnen der Arbeitgeber nur den Anteil, den er GKV-Versicherten mit dem gleichen Einkommen überweist. Ein Vergleich: Ein 57-Jähriger mit 1200 Euro brutto im Monat überweist 8,2 Prozent davon an die GKV, also 98,40 Euro, rechnet ein BT-Opfer vor. Sein Arbeitgeber steuere 87,60 Euro bei. Wäre der Mann BT-versichert, stiege sein Anteil auf 488 Euro. "Wer im Basistarif ist, ist das nicht wegen der Leistungen, sondern weil er keine andere Wahl hatte", bestätigt Ulrike Steckkönig.

Verbraucherschützerin hat wenig Mitleid

Ausnahmen macht man nur bei Hilfebedürftigkeit: Hartz-IV-Empfänger zahlen die Hälfte des Höchstbetrags. Ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. Januar 2011 entlastet sie weiter: Danach müssen Jobcenter den vollen PKV-Beitrag von Hartz-IV-Empfängern übernehmen. Laut PKV sind 6800 Langzeitarbeitslose im Basistarif davon betroffen. Bei vielen ruhte die Versicherung, weil keine Prämien eingegangen waren.

Auf eine Abfuhr bei Ärzten müssen sie sich wohl weiterhin gefasst machen. Nach Einschätzung von Gesundheitsexperten kann man allerdings trefflich darüber streiten, ob Ärzte - wie vermutet - wirklich so viel schlechter mit Basistarifen fahren. Tatsächlich unterscheiden sich die Abrechnungssysteme der privaten und gesetzlichen Krankenkassen derart, "dass jeder Vergleich unsauber wäre", so Ulrike Steckkönig. Grob erklärt bekommt der Arzt für eine bestimmte Leistung pro Quartal einen festen Betrag pro Kassenpatient, egal, ob dieser wegen des Krankheitsbildes die Praxis einmal aufsucht oder zehnmal. Mit privat Krankenversicherten, auch im BT-Tarif, kann er jeden Besuch gesondert abrechnen. Kommt dieser also öfter im Quartal, ist die Vergütung höher, selbst er im Einzelfall weniger bekommt als vom PKV-Patienten.

Julia Nill von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat wenig Mitgefühl für BT-Versicherte, vor allem, wenn diese zuvor geringe Beiträge für eine komfortable private Vollversicherung entrichtet hatten, in den Arztpraxen und Kliniken Vorrang genossen vor den GKV-Patienten und besser versorgt wurden, aber keinen Euro für die Solidargemeinschaft entrichteten. "Jahrelang haben diese Leute die Vorteile der privaten Krankenversicherung mitgenommen", so die Fachberaterin für Gesundheitsfragen. "Sie ließen sich von billigen Tarifen locken, nun bekommen sie die Rechnung." Die Bundesärztekammer lehnte eine Stellungnahme zum Umgang mit Basistarifen ab.

Eine Hotline hilft weiter

Im Südwesten gibt es 18.400 Ärzte mit Kassenzulassung sowie einige Hundert Privatärzte. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) sind Kassenärzte verpflichtet, privat Versicherte zu behandeln, also auch jene mit Basistarif. Ausnahmen gebe es nur, wenn das Arzt-Patienten-Verhältnis gestört oder die Warteliste voll ist. Wer sich beschweren will, sollte sich ans Patiententelefon der KVBW unter 01805/6332255 (14 Cent/Minute aus dem Festnetz) oder an seine Kasse wenden.