Da war die Welt der deutschen Fußballer noch vollkommen in Ordnung: Timo Werner (li.) und Leroy Sané feiern das 2:0 von Torschütze Kai Havertz (li.). Foto: Baumann/Hansjürgen Britsch

Es war ein turbulentes Nations-League-Spiel, dieses 3:3 (0:0) zwischen England und Deutschland in Wembley. Und Teilnehmer wie Beobachter bleiben ziemlich ratlos zurück, wie das Ergebnis zu bewerten ist.

Kein Tor in der langweiligen ersten Halbzeit, sechs im turbulenten zweiten Durchgang: Deutschland hat zum Abschluss der Nations League ein 3:3 gegen England erlebt. Im Wembley-Stadion in London sorgten Ilkay Gündogan (52.) und Kai Havertz (67./87.) für die Treffer des DFB-Teams, Luke Shaw (72.), Mason Mount (74.) und Harry Kane (83.) trafen für die Three Lions. Sportlich mag die Partie recht unbedeutend gewesen sein. Die für die Tabelle der Nations League unbedeutende Partie stellte eine Art Generalprobe vor der WM 2022 in Katar dar – deshalb nahmen die Medienvertreter in Deutschland und England das Duell ganz genau unter die Lupe. Ein kleiner Überblick.

Deutschland

Die „Süddeutsche Zeitung“ zeigt sich verwirrt: „Per Achterbahn nach Katar. Erst 2:0, dann 2:3, dann 3:3. Die deutsche Nationalmannschaft hinterlässt im vorletzten Spiel vor der WM einen rätselhaften Eindruck. Nach einer wilden zweiten Halbzeit gegen England scheint aus dem Sturm- ein Abwehrproblem geworden zu sein. Ein Unentschieden, das extrem unentschiedene Beobachter zurückließ, weil man nun kurz vor der WM das Gefühl hat, weniger über diese DFB-Elf zu wissen als je zuvor.“

Bei „Sport 1“ bedanken sie sich bei Kai Havertz: „Deutschland erlebt Wembley-Wahnsinn. Havertz rettet Deutschland. Wilde zweite Halbzeit im Wembley! Deutschland und England trennen sich nach einer unterhaltsamen zweiten Halbzeit Remis. Beide Teams verpassen die Trendwende.“

Bei „Bild“ fürchten sie sich ein wenig vor dem WM-Auftakt mit dieser Mannschaft: „WM-Sorgen nach Wembley-Wahnsinn. Was für ein wildes Wembley-Wechselspiel zwischen WM-Lust und Frust! Deutschland spielt nach 2:0-Führung 3:3 gegen England. Drei Tage nach der Peinlich-Pleite gegen Ungarn (0:1) verabschieden wir uns aus der Nations League. Unser letzter ernsthafter Test vorm WM-Start in 57 Tagen gegen Japan.“

Beim „Kicker“ steigen die Zweifel, ob die DFB-Elf bei der WM eine Favoritenrolle spielen kann: „Hansi Flick erhoffte sich nach dem ernüchternden 0:1 gegen Ungarn im Klassiker gegen England Rückenwind für die WM. Das 3:3 im Duell der Enttäuschten nährt stattdessen die Zweifel, ob die Nationalmannschaft bis zur WM tatsächlich eine schlagfertige Einheit wird. Wer bei der WM eine bedeutende Rolle spielen möchte, darf einen Zwei-Tore-Vorsprung nicht so leichtfertig wieder aus der Hand geben, der darf sich nicht so leicht den Schneid abkaufen lassen.“

Die „FAZ“ ist enttäuscht, da ist sie nicht die Einzige unter den deutschen Fußball-Experten:„Nächste deutsche Enttäuschung in Nations League. Drei Treffer der englischen Mannschaft in nur wenigen Minuten zerstören die Hoffnungen der DFB-Auswahl auf ein Erfolgserlebnis vor der Fußball-WM.“

Und die „Zeit“ freut sich über eine unterhaltsame Partie, fragt sich aber, wie WM-reif diese beiden Teams sind: „Das also soll guter Fußball sein. Wenn England und Deutschland spielen, ist immer was los – so auch beim 3:3 in Wembley. Aber macht diese Karussellfahrt einem der beiden Schlachtrosse Hoffnung auf die WM?“

England

Beim „Daily Mirror“ loben sie den Kampfeswillen der englischen Mannschaft: „Zurückgebrüllt! Southgates England kämpft sich nach einem Maguire-Patzer und einem Zwei-Tore-Rückstand zurück und teilt sich die Beute im Sechs-Tore-Krimi gegen Deutschland im Wembley-Stadion. Vom Rande des Abgrunds binnen zwölf Minuten zu einem Comeback, das die Moral stärkt, dann ein harter Schlag in die Magengrube. Es war ein Thriller mit sechs Toren. Immerhin hat das Spiel etwas Hoffnung zurückgegeben, vielleicht es auch falsche Hoffnung.“

Dagegen ärgert sich „The Guardian“ über den Torwartfehler, der zum Ausgleich für Deutschland führte: „Pope-Fehler nimmt den Glanz von einem atemberaubenden Comeback.“

Und „The Sun“ beschreibt noch einmal die Achterbahnfahrt der Gefühle der englischen Fans: „Patzer und Lichtblick. Die Three Lions zeigen sich endlich mit einer Torflut in einem atemberaubenden Comeback, bevor ein weiterer Patzer den Sieg kostet.“

Bei „The Telegraph“ steht auch der englische Torwart unter verbalem Beschuss: „Popes Fehler verspielt Drei-Tore-Comeback, doch England kann aus dem Unentschieden gegen Deutschland Mut schöpfen.“

Die ehrwürdige „Times“ kritisiert die persönlichen Patzer in einer instabilen Abwehr: „So sieht es also aus, wenn England nicht versucht, sich zum Sieg zu mauern, Zermürbung für Abenteuer eintauscht und nach vorn spielt. Angesichts der wackligen Natur der englischen Abwehr, die schmerzhaft sichtbar wurde, als Harry Maguire den Deutschen die ersten beiden Tore schenkte und Nick Pope das dritte zum Ausgleich, kann Gareth Southgate genauso gut seinen Pragmatismus ablegen und verstärkt auf die Abteilung Attacke setzen.“