In der Rolle der Tierschützerin Laura: die ausdrucksstarke Linda Schlepps in der Premiere von "Am zwölften Tag". Foto: Rapthel-Kieser

Premiere: Von Mafia-Strukturen der Fleischindustrie: Mit drei ausdrucksstarken Monologen beginnt der Lindenhof die neue Saison

Eine umjubelte Premiere war es nicht, das Stück "Am zwölften Tag", mit dem das Theater Lindenhof in Melchingen die Spielzeit im eigenen Hause eröffnete. Dazu war das Thema zu ernst, die Fakten zu beklemmend. Aber es war eine ausgezeichnete Ensembleleistung – ohne Ensemble.

Burladingen-Melchingen. Denn gemeinsam auf der Bühne stehen die Schauspieler nur zur Blümchenübergabe beim Schlussapplaus – den sie sich in den drei verschiedenen Spielräumen, Studio, Großer Saal und Scheune, nach insgesamt 90 Minuten jeweils abholten. Zuvor haben Regisseurin Carola Schwelien, Dramaturg Georg Kistner und die Ausstatterin und Kostümdesignerin Ilona Lenk die Zuschauer auf Wanderschaft geschickt. Die Theaterbesucher bekommen drei Monologe von je etwa einer halben Stunde zu hören und zu sehen, gehen von Raum zu Raum. Zusammen ergeben diese Monologe unter dem Strich das desaströse Bild einer entmoralisierten Industrie. Ein hartes Kotzbrocken-Stück – nicht nur für Fleischesser.

Als Grundlage dient Kriminalroman

Die Grundlage ist der Kriminalroman von Wolfgang Schorlau "Am zwölften Tag". Schorlau schreibt packende, gesellschaftskritische und politische Dramen, die vielfach schon verfilmt wurden. Er hat den Kriminalbeamten und Fahnder Dengler erfunden. Der gerät in seinem siebten Fall in die Abgründe der Intensivtierhaltung und der Arbeitsmigration.

In der zusammengeschmirgelten Version des Lindenhofs spielt Denglers Erzählperspektive allerdings keine Rolle. Er wird lediglich am Rande erwähnt, als Vater eines der Tierschützer, die in einer Puten-Mästfabrik beim heimlichen Filmen erwischt und gefangen gehalten werden. Zwölf Tage lang.

Der Lindenhof lässt nur vier der über 30 Roman-Protagonisten zu Wort kommen. Das reicht, um das Bild abzurunden. Kathrin Kestler, inzwischen im Lindenhof prädestiniert auf die Rolle der ausgenutzten, osteuropäischen Hilfskraft, spielt mit rollendem R und schwarzer Perücke die Rumänin Cami, die für 980 Euro brutto und miserabler Kost und Logis 15 Stunden am Tag Fleisch schneidet. Weil der Mann krank ist, sie drei Kinder hat und es in Rumänien keine Arbeit gibt. Den Pass hat man ihr abgenommen und den Lohn seit zwei Monaten nicht bezahlt. Sie erzählt, leichenblass geschminkt, ihre Geschichte.

Wie zwei weitere der Opfer. Der Bauer Zemke, den Franz Xaver Ott lebendig werden lässt, passend verlegt in die ehemalige Scheuer. Ein Landwirt, der von Schweinemast auf Putenhaltung umstellt, der gehetzt zwischen internationalen Preismärkten und Zuschüssen auf keinen grünen Zweig kommt und immer tiefer in die Schulden rutscht – und damit in die mafiösen Strukturen der Fleischindustrie.

Und die Tierschützerin Laura, noch keine 18 Jahre alt, mit blauen Haaren und dem energischen Protest der Jugend in der Stimme. Ihr gibt Linda Schlepps im Großen Saal kraftvolle Gestalt. Zusammen mit ihren Freunden gerät Laura beim heimlichen Filmen in die Fänge der Rocker-Schutztruppe des Großindustriellen Fleischproduzenten Carsten Osterhannes. Den verkörpert, im Video immer eingespielt, Gerd Plankenhorn.

Osterhannes schwadroniert eloquent aber schmierig über die "Demokratisierung des Fleischverzehrs", den er per Niedrigpreis für alle zugänglich mache. Über die Arbeitsmoral der Osteuropäer, die er herüber holt und die "noch fleißig sein wollen". Und über die Schraube von Stückpreis und Absatzmarkt, an der er so erfolgreich dreht. Und darüber, dass er – um "den Bezug zum Produkt" nicht zu verlieren – jede Woche selber für seine Familie schlachtet.

Am Ende verbrennt der Bauer auf seinem Hof, den die Rocker angezündet haben. Cami wird von Osterhannes mit dem Fleischermesser zerlegt, weil sie ihren Pass und ihr Geld wollte. Der wird deswegen verhaftet und die Tierschützerin und ihre Freunde gerettet.

"Wirklichkeit schlimmer als übelste Fantasien"

Das alles ist nicht nur reine Erfindung, wie Wolfgang Schorlau im Nachwort zu seinem Roman beteuert. Da erzählt er von seinen Recherchen und sagt: "Die Wirklichkeit ist jedoch vielfach noch schrecklicher als die übelsten Fantasien".

Eine Billiglohnhölle habe sich in der Fleischindustrie entwickelt, eine, die weder Mensch noch Tier Respekt zolle. Und Schorlau stellt klar, dass die organisierte Kriminalität, jene Schlepperringe, die auch den Menschenhandel junger osteuropäischer Frauen betreiben, jetzt die Zulieferung an Arbeitskräften für die Fleischindustrie übernommen hätten.

Der Autor selber macht um Billig-Fleischtheken seit seinen Recherchen einen großen Bogen, sagt er. So mancher Lindenhof-Zuschauer zukünftig vielleicht auch.