Bauernpräsident Rukwied forderte mehr Wertschöpfung für die Landwirtschaft. Foto: Priestersbach

Dass der Krieg in der Ukraine möglicherweise auch zu einer Zeitenwende in der Agrarpolitik führen kann, wurde beim Bauerntag in der Jettinger Willy-Dieterle-Halle deutlich. Für Bauernpräsident Joachim Rukwied befindet sich die Landwirtschaft allerdings im Spannungsfeld zwischen Ernährungssicherung und Umweltschutz.

Nordschwarzwald - Im vergangenen Jahr erfolgte die Fusion der Kreisbauernverbände Böblingen, Calw-Freudenstadt und Enzkreis zum neuen Bauernverband Nordschwarzwald-Gäu-Enz. Von dessen aktuell 2077 Mitgliedern wird in den vier Landkreisen und dem Stadtkreis Pforzheim eine Fläche von 45 456 Hektar bewirtschaftet.

In Jettingen fand nun der erste Bauerntag des neu gegründeten Verbandes statt, der sich mit seiner Geschäftsstelle in Bondorf vor allem als Ansprechpartner für die Mitglieder, sowie für Politik und Verwaltungen versteht.

Als Hauptredner in der Willy-Dieterle-Halle skizzierte Joachim Rukwied, der in Personalunion Präsident des Deutschen Bauernverbands und Präsident des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg ist, die Problemfelder aus der Sicht der Landwirtschaft – und das sind nicht eben wenige. So freuen sich die Landwirte zwar über die neue Wertschätzung für ihren Berufsstand. Doch Rukwied unterstrich in seinen Ausführungen: "Von Wertschätzung kann keiner von uns leben – wir brauchen Wertschöpfung und die Honorierung von höheren Standards". Zugleich müsse eine offene und ehrliche Diskussion über den Preis für hochwertige heimische Produkte geführt werden.

Stilllegung von Flächen

Ein aktuell kaum vermittelbares Reizthema für die Landwirtschaft ist daneben der Umstand, dass ab 2023 vier Prozent der landwirtschaftlichen Flächen verpflichtend stillgelegt werden sollen. Rukwied sprach von einer "unsinnigen Auflage" und betonte: "Das ist eine kalte Enteignung, hier brauchen wir dringend eine Veränderung." Doch sei in Brüssel bislang von einer Zeitenwende und der Notwendigkeit, dass die Ernährungssicherheit in den Mittelpunkt gerückt werden müsste, nichts zu spüren. "Wir brauchen hier eine Wende in den Köpfen der politisch Verantwortlichen", so Rukwied.

Mit deutlichen Worten hatte zuvor Gerhard Fassnacht als Vorsitzender des Bauernverband Nordschwarzwald-Gäu-Enz auf die seiner Meinung nach "größte Krise der Landwirtschaft" seit 1945 aufmerksam gemacht. So sprach er von einer "Politik, die unrealistisch ist und die Fachlichkeit längst verlassen hat". Doch auch die Lebensmitteldiscounter und Spekulanten machten die Landwirte zunehmend mürbe, während weiterhin "ideologische Pseudodiskussionen" den Ton angeben. So würden Blühflächen und extensive Bewirtschaftung durchgesetzte, aber gleichzeitig gehe die Flächenversiegelung ungebremst weiter. Mit Freilandphotovoltaik solle die Energiewende gemeistert werden.

Frage der Existenz

Kein Verständnis hat der Landwirt aus Altheim dafür, dass Tierschutz-Organisationen zwar eine humane Schlachtung fordern, aber zugeschaut werde, wenn es jährlich bis zu 4000 Wolfsrisse gebe. In diesem Zusammenhang erinnerte Fassnacht daran, dass es für viele Tierhalter existenziell sei, dass der Schlachthof in Gärtringen wieder kommt – damit Fleisch nicht aus aller Herren Länder importiert werde, während die hiesigen Tierhalter ausbluten. "Regionale Schlachthöfe müssen eine Zukunft haben", betonte auch Bauernpräsident Rukwied.

Wie Jettingens Bürgermeister Hans Michael Burkhardt, dessen Vater Hans Burkhardt übrigens Ehrenvorsitzender des früheren Kreisbauernverbandes Calw/Freudenstadt ist, in seinem Grußwort feststellte, sei Jettingen mit zehn Haupterwerbs- und 21 Nebenerwerbs-Landwirten eine Hochburg der Landwirtschaft.

Schlachthof in Gärtringen

Böblingens Landrat Roland Bernhard bezeichnete die Fusion der Kreisbauernverbände als mutigen Schritt und Reaktion auf den Strukturwandel. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen müsse die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft stärker in den Fokus gerückt werden, "um Ernährungssicherheit herzustellen". Die unter Beachtung des Tierwohls geplante Reaktivierung des Schlachthofes in Gärtringen sei kein einfaches Feld, doch gehöre ein ortsnaher Schlachthof zu einer regionalen Vermarktung.

Wie die Landtagsabgeordnete Sabine Kurtz (CDU) in ihrer Eigenschaft als Staatssekretärin im Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz deutlich machte, zeige die aktuelle Krise, dass eine regionale Versorgung sehr viel zuverlässiger sei als weltweite Im- und Exporte. Für sie stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie man es erreichen könne, dass ein Teil der steigenden Lebensmittelpreise auch bei der Landwirtschaft ankomme.

Ehrungen

Ehrungen standen beim Bauerntag ebenfalls auf der Tagesordnung. So zeichnete Bauernpräsident Rukwied den früheren Vorsitzenden des Bauernverbandes im Enzkreis, Ulrich Hauser, für sein jahrzehntelanges ehrenamtliches Engagement mit der goldenen Ähre des Landesbauernverbandes Baden-Württemberg aus. Die silberne Ähre heftete der Bauernpräsident Thomas Kaucher ans Revers, der im Enzkreis als stellvertretender Vorsitzender ebenfalls zu den engagierten Mitstreitern für die Landwirtschaft gehörte.