Carlos Tavares gilt als Ausnahmetalent, sein Einkommen trotzdem als unvertretbar. Foto: AFP/FABRICE COFFRINI

Frankreich empört sich über einen Jahresverdienst von 66 Millionen Euro für PSA-Konzernchef Tavares. Marine Le Pen könnte vor der Stichwahl ums Präsidentenamt profitieren.

Niemand in der Autobranche würde bestreiten, dass Carlos Tavares ein Ausnahmetalent ist. In acht Jahren verwandelte der 63-jährige Portugiese den französischen PSA-Konzern mit den Marken Peugeot und Citroën von einem Pleitebetrieb in ein florierendes Unternehmen. Anfang 2021 fusionierte er es mit Fiat und Chrysler zum Branchengiganten Stellantis; binnen eines Jahres machte er daraus den drittrentabelsten Autokonzern der Welt mit einem Gewinn von 13,4 Milliarden Euro.

Statt Applaus hagelt es empörte Kritik

Statt Applaus hagelt es nun aber empörte Kritik. Laut dem Stellantis-Aktionär Phitrust, einem ethischen Investor, kommt Tavares auf 66 Millionen Euro Jahresverdienst. Dieser Betrag besteht aus 19 Millionen Salär inklusive Bonus, Erfolgsprämien und Rentenanspruch. Dazu kommen 47 Millionen an jetzt anfallenden, aber erst 2026 bis 2028 ausbezahlten Gratisaktien und Sonderprämien für die Fünfjahres-Performance.

Selbst die wirtschaftsfreundliche Zeitung Figaro schrieb am Dienstag, Tavares sei „nicht zu verteidigen“. Die Gewerkschaften monieren, Stellantis habe in Frankreich zugleich 2600 Posten abgebaut. Die Angestellten hätten zwar eine Lohnerhöhung von 2,8 Prozent sowie eine Prämie von 4400 Euro erhalten. Dies stehe aber in keinem Verhältnis zu den „astronomischen“ Einkünften des Konzernchefs. Auch nicht im internationalen Vergleich: VW-Boss Herbert Diess erhalte zum Beispiel 8,6 Millionen Euro, Renault-Chef Luca de Meo 4,7 Millionen. Sogar in den USA, wo viel höhere Spitzensaläre Usus seien, streiche GM-Bossin Mary Barra nicht mehr als 21 Millionen Euro ein.

Deckelung auf EU-Ebene verlangt

Die auffälligste Reaktion kommt aus dem Elysée-Palast. Der derzeit wiederkandidierende Staatspräsident Emmanuel Macron bezeichnete die Stellantis-Entlohnung als „schockierend und exzessiv“. „Es geht nicht an, dass die Leute Kaufkraftprobleme haben und zugleich diese Summen sehen“, meinte Macron, um von der zuständigen EU-Kommission eine „Deckelung“ der Chefsaläre zu verlangen. „Wenn wir das auf europäischer Ebene machen, kann es funktionieren, ähnlich wie mit der Steuerflucht“, sagte er.

Dass der unternehmerfreundliche Präsidentschaftskandidat so prompt reagierte, hat auch damit zu tun, dass das Thema Kaufkraft als das Thema seiner Widersacherin Marine Le Pen gilt. Die Rechtsnationalistin zählt Arbeiter, Kleinbeamte und Arbeitslose zu ihrer Wählerschaft und hatte als erste erkannt, welche politische Sprengwirkung in den steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen steckt. Macron richtete sein Wahlprogramm hingegen auf außen- und umweltpolitische Themen sowie eine notgedrungen unpopuläre Rentenreform aus.

Macron gilt als Präsident der Reichen

In Sachen Kaufkraft ist er deshalb kurz vor dem zweiten Wahlgang in der Defensive: Von Le Pen wie auch von der Linken wird er der sozialen Härte bezichtigt, zumal er erklärte, die Franzosen müssten „mehr arbeiten“. Trotz Milliardenversprechen für untere Einkommensklassen hat es der ehemalige Investmentbanker in den letzten Tagen und Wochen nicht geschafft, seinen Ruf als „Präsident der Reichen“ loszuwerden.

Sie sei „natürlich auch schockiert“ über die 66 Millionen, kommentierte Le Pen im Bewusstsein, dass ihr solche eingängigen Affären mehr Wählerstimmen einbringen als komplizierte ökonomische Debatten.

Zumal Le Pens Wirtschaftsprogramm alles andere als vertrauenseinflößend wirkt. In Paris, aber auch Brüssel befürchten Ökonomen das Schlimmste für die EU-Konjunktur, sollte Le Pen gewählt werden. Gut möglich, dass ihr wirtschaftspolitischer Amateurismus bei dem TV-Duell von diesem Mittwoch entlarvt wird, wie das schon vor fünf Jahren der Fall war. Doch Le Pen hat seither gelernt. Und die Tavares-Affäre bricht für Macron im dümmsten Moment auf.