Claus Vogt ist seit Ende 2019 Präsident des VfB Stuttgart. Foto: Baumann/Hansjürgen Britsch

Der VfB Stuttgart ist sportlich erfolgreich und mobilisiert die Massen. Doch gibt es auch weiterhin schwierige Themen – zu denen sich der Präsident Claus Vogt nun ausführlich äußert.

Der VfB Stuttgart hat sich vor dem Start der Rückrunde in der Bundesliga an diesem Samstag (15.30 Uhr/Liveticker) beim VfL Bochum eine top Ausgangslage erarbeitet. Aber es gibt rund um den Club und die Liga auch Konfliktfelder. Wie blickt der VfB-Präsident Claus Vogt darauf?

 

Herr Vogt, der VfB Stuttgart ist in aller Munde. Der Verein prosperiert, sportlich läuft es. Wohin richtet sich Ihr Blick im neuen Jahr – eher zurück oder nach vorn?

Immer nach vorn! Aber gleichzeitig bin ich auch stolz auf das Erreichte. Seit Beginn meiner Präsidentschaft und der zuvor abgebrochenen Mitgliederversammlung 2019 und in der 2. Bundesliga ist so viel passiert. Aufstieg, Corona, Relegation, um nur ein paar markante Punkte zu nennen. Wir haben so vieles gemeinsam durchlebt und erreicht, jetzt fügt sich alles ineinander – und es ist etwas entstanden, das bleibt. Wir haben ein tolles Team zusammengestellt, gute Leute auf den richtigen Positionen, oder denken Sie nur an die neu gegründete VfB-Stiftung oder das umgebaute Stadion, das für mich eines der schönsten in Europa sein wird. Unser VfB ist auf einem sehr guten Weg, und ich persönlich habe als VfB-Präsident noch nie so ruhig geschlafen wie zurzeit.

Dabei bleibt es spannend – an diesem Wochenende beginnt die Rückrunde der Bundesliga.

Auf die wir uns sehr freuen – wohl wissend, dass es schwer wird, die Leistung der ersten Saisonhälfte dauerhaft zu konservieren. Wir spüren aber den großen Rückhalt einer ganzen Region, und es ist schön, dass es bei vielen VfB-Fans nach Jahren des Zitterns manchmal in Richtung Euphorie geht. Wir als Verantwortliche und ich besonders bleiben allerdings mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Noch vor wenigen Monaten standen wir mit dem Rücken zur Wand. Jetzt sind wir voller Vorfreude – auf die Rückrunde, unser fertiges Stadion, die EM sowie Olympia und die Paralympics, wo wir mit unseren VfB-Athletinnen und -Athleten eine gute Rolle spielen wollen.

Wie schwer fällt es Ihnen, Ihre Euphorie selbst zu bremsen?

Ganz leicht. Ich gebe Ihnen gerne ein Beispiel: Ich schaue in der Tabelle nie nach oben, sondern immer nur auf den Abstand nach unten. Dazu kommt, dass man als VfB-Präsident ja immer auch ein Stück weit „missionarisch“ unterwegs ist. Es muss einem ja gelingen, dass die VfB-Fans und -Mitglieder stolz auf unseren Club und sein Handeln sind. Da gilt es, strategisch und langfristig zu agieren. Entsprechend muss man sich vom sportlichen Erfolg, der sich Woche für Woche ändern kann, lösen können. Und wissen Sie, was ich mir für unsere VfB Zukunft wünsche?

Bitte.

Ich wünsche mir, dass unser VfB, wenn wir eine gute Saison spielen, sich gerne für einen internationalen Wettbewerb qualifiziert. Und dass er, wenn wir mal ein schlechtes Jahr haben, nichts mit dem Abstieg zu tun bekommt. Die Voraussetzungen dafür sind mittlerweile geschaffen und so gut wie nie, seit ich Präsident bin. Wir haben noch nie so gute Leute gehabt – auf dem Feld, auf den entscheidenden Positionen und in den Gremien.

Die Marke von 90 000 Mitgliedern wurde unlängst gepackt. Peilen Sie nun die 100 000er-Marke an?

Ich gebe da keine Ziele vor. Wir freuen uns über jedes einzelne Mitglied. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass wir es geschafft haben, in der Stadt und der Region ein Stück weit eine Euphorie auszulösen. Der Rückhalt und die Unterstützung sind seit Langem der Wahnsinn. So viele Menschen wie noch nie in 130 Jahren wollen Teil unseres Clubs und unserer VfB-Familie sein – das macht uns und mich stolz.

Immer mehr Mitglieder, aber gleichbleibend viele Stadionplätze

Mehr Mitglieder bedeuten zwar mehr Einnahmen und eine finanzielle Stärkung des e. V. Aber eben auch mehr Menschen, die sich um eine gleichbleibende Anzahl an Tickets bewerben.

Das ist richtig. Wir verzeichnen schon länger diese kontinuierliche Entwicklung und den Zuwachs, auch schon in der zweiten Liga und unabhängig von der aktuellen sportlichen Situation. Im Gegenteil, trotz des Laufs im letzten halben Jahr haben sich deswegen nicht sprunghaft mehr VfB-Fans für eine Mitgliedschaft entschieden. Unbestritten bleibt, dass es rechnerisch pro Heimspiel mindestens über 30 000 Mitglieder geben würde, die keine Karte bekommen können. Ein Ziel ist es aber auch, dass so viele Mitglieder wie möglich sich aktiv in unseren Verein einbringen.

Ein großes Thema bei den Fans in den Kurven ist das Beteiligungsmodell der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Der VfB hat unlängst zugestimmt, dass der Ligaverband Verhandlungen mit potenziellen Geldgebern führen darf, die künftig an Mehreinnahmen durch Medienrechte beteiligt werden könnten. Stehen Sie als Präsident des e. V. gänzlich hinter diesem Entschluss?

Diese Thematik wurde intern in den zuständigen Gremien ausführlich diskutiert und besprochen. Auch mit dem Fanausschuss haben wir kritisch darüber gesprochen. Wir haben uns letzten Sommer klar positioniert und auch klar gesagt, warum wir das ursprüngliche Modell, das auf drei Säulen basierte und tatsächlich noch ein Investorenmodell war, nicht gutheißen konnten. Zudem haben wir bei der DFL unsere Vorstellungen als VfB Stuttgart adressiert und hinterlegt. Der künftige Partner ist ausschließlich an eventuellen Mehrerlösen der Medienrechte beteiligt. Gibt es keine, bekommt er nichts. Gibt es sie, profitieren alle deutschen Clubs und der Partner davon. Ein faires Modell. Weswegen wir nun zugestimmt haben. Im Sinne der Bundesliga und aller Vereine.

Der Konflikt mit den Kurven scheint trotzdem schwer lösbar. Zuletzt waren in Mönchengladbach wieder entsprechende Spruchbänder zu lesen. Wie wollen Sie da positiv einwirken?

Dass bei uns in Stuttgart der Konflikt übermäßig stark ausgeprägt ist, sehe ich nicht. Wir haben meines Erachtens gut erklärt, wie sich die Entwicklung weg vom einst angedachten Investorenmodell hin zu einem Beteiligungsmodell am Mehrergebnis gestaltet.

Unabhängig von dieser Thematik gab es in Stuttgart unlängst mehrere Ereignisse, die das Verhältnis zwischen den Fans und der Polizei merklich belasteten. Droht eine weitere Eskalation?

Ich sehe da keine Eskalation. Es gab zwar einzelne Situationen, in denen sich etwas verschärfen hätte können, aber das ist nicht passiert – auch, weil alle Beteiligten und besonders unsere Fanszene letztlich klug und besonnen mit der Situation umgegangen sind. Dafür möchte ich mich gerne noch mal ausdrücklich bedanken. Ich bin mir sicher, wenn alle Seiten wieder etwas stärker in den Dialog gehen und persönliche Interessen zurücknehmen, dann sind wir wieder auf einem ganz guten Weg. Wir alle, der Club, die aktive Fanszene, die Polizei, wollen ein ruhiges, aber sportlich emotionales und schönes Stadionerlebnis. Sowohl inner- als auch außerhalb der Arena. Ganz wichtig bei diesem Thema ist, dass man gemeinsam an einem Tisch sitzt und die Punkte miteinander bespricht. Kommunikation, Austausch und Verständnis sind hier ganz wichtig.

Wie läuft es im Verhältnis mit der Polizei?

Die Polizei hat aber die Stadionallianz verlassen.

Wir sprechen aber auch weiterhin intensiv mit der Polizei. Wir können, wollen und werden Brückenbauer sein zwischen den Interessengruppen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, hier vermittelnd tätig zu sein – mit dem Ziel, dass wir genau das Stadionerlebnis hinbekommen, das wir uns alle wünschen.

Ein Dauerthema ist der Streit über Pyrotechnik. Auch jüngst in Mönchengladbach wurde wieder ordentlich gezündelt, der VfB wird wieder eine Strafe kassieren. Es gibt Stimmen im Verein, die sagen, das zahlen wir gerne.

Ein schwieriges und emotionales Thema. Dass wir gerne Strafen bezahlen, kann ich aber verneinen (lacht).

Die Situation scheint verfahren, ein Ausweg nicht absehbar.

Das kann man so sehen. Auch hier sind wir als Verein in der Position des Vermittlers. Zwischen Fans, Szene und Verband. Ich glaube, der Verband ist nicht gut beraten, mittels Kollektivstrafen zu sanktionieren. Das bewirkt eher das Gegenteil und kann nicht die Lösung sein, das sehen wir ja. Ich bin der Meinung, dass Lösungen gemeinsam an einem Tisch erarbeitet werden müssen. Beispielsweise, dass Pyrotechnik unter bestimmten Voraussetzungen eventuell zugelassen werden kann. Die Fans in den Stadien, in den Kurven sind sich größtenteils ihrer Verantwortung bewusst, daher sollten wir den Fans hier auch Vertrauen entgegenbringen. Der aktuelle Stand, so wie es zurzeit geregelt ist, führt jedenfalls zu nichts.

Sie sind bereits letztes Jahr mit dem Vorschlag, einen kontrollierten Abbrand als Möglichkeit in Betracht zu ziehen, in Vorleistung gegangen. Hat das eine größere Debatte nach sich gezogen?

Wie bereits gesagt: Ich halte das weiterhin für einen gangbaren Weg, auch über eine komplette Legalisierung im sicheren und rechtssicheren Rahmen muss man zumindest mal diskutieren dürfen. Wir haben das Thema bei unseren Fans angesprochen und über Alexander Wehrle, der ja im DFB-Aufsichtsrat sitzt, mit zum Verband wie auch zur DFL genommen. Dort wird das Thema zukünftig wieder intensiver diskutiert. Es gibt bislang noch keine Lösung, hinter der sich alle versammeln können, aber es ist wieder auf der Agenda, das ist ein erster wichtiger Schritt und gutes Zeichen.