Die Bundespolizei, hier am Flughafen in Frankfurt, kontrolliert seit Dienstag verstärkt Reiserückkehrer aus Portugal. Sie müssen nach ihrer Ankunft in Deutschland zwei Wochen in Quarantäne – auch wenn sei geimpft sind. Foto: Roessler

Ettenheim - Die Delta-Variante des Coronavirus greift weiter um sich, auch bei uns. Grund zur Panik? Nein, sagt der Ettenheimer Experte Joachim Strub – und kritisiert heftig die Maßnahmen der Politik.

"Delta", die aus Indien stammende und deutlich ansteckendere Mutante des Ursprungsvirus, hat in Portugal für einen sprunghaften Anstieg der Corona-Zahlen gesorgt. Seit Dienstag gilt das iberische Urlaubsland auf Beschluss des Robert-Koch-Instituts deshalb als sogenanntes Virusvariantengebiet. Für Reiserückkehrer bedeutet das zwei Wochen Quarantäne – ohne Möglichkeit des Freitestens und unabhängig davon, ob man geimpft oder genesen ist.

Für Joachim Strub ist das – gelinde gesagt – nicht nachvollziehbar. "Geht’s noch? Wo bleibt hier die Verhältnismäßigkeit?", echauffiert sich der Kippenheimer, der in Ettenheim eine Medizin- und Softwarefirma hat. Mit ihr entwickelte der 60-jährige Biologe und Informatiker ein Computerprogramm, das Mutationen des Coronavirus erkennen und nachweisen kann. Er weiß: Die Delta-Variante ist "hoch infektiös", weshalb sie "in wenigen Wochen die vorherrschende Variante in Europa" sein werde, auch in Deutschland. "Daran ändert eine Quarantäne für Portugal-Reisende nichts."

Viele seiner Prognosen traten bereits ein

Zuletzt hatten viele Politiker verbal auf Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann eingeschlagen, als dieser in unserer Zeitung für mögliche künftige Pandemien stärkere staatliche Befugnisse gegenüber den Bürgern gefordert hatte. "Recht haben die Kritiker", sagt Strub. Nun jedoch reagierten sie selbst über. Der 60-Jährige fragt sich, was wohl kommen mag, wenn die Delta-Variante weiter um sich greift: "Was machen die Politiker dann? Die Grenzen zu allen anderen Ländern dicht? Quarantäne für alle Einreisenden – egal, wo man herkommt? Totaler Lockdown in ganz Deutschland?"

Die Unverhältnismäßigkeit der Einreiseregel offenbart sich aus Sicht Strubs am Beispiel Madeira. Die portugiesische Urlaubsinsel vor der Nordküste Afrikas hatte zuletzt eine relativ geringe Inzidenz von unter 20. Dennoch gilt wie für den Rest des Landes: Wer von dort nach Deutschland zurückkommt, muss zwei Wochen in Isolation. Obwohl nachgewiesen sei, so Strub, "dass eine vollständige Impfung auch gegen die Delta-Variante schützt". Doppelt Immunisierte könnten sich also nicht mit der Mutante anstecken und seien demnach auch nicht infektiös.

Die Erfahrungen der vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass Strub weiß, von was er spricht. Mehrere Prognosen, die der Experte im Frühjahr in der LZ abgab, traten ein. Jüngstes Beispiel: Anfang Mai hatte der Kippenheimer erklärt, er gehe davon, dass Genesene und Geimpfte "auf Jahre immun" gegen Corona bleiben. Zwar nehme die Zahl der Antikörper, die das Immunsystem bildet, irgendwann ab. Doch werde deren Bauplan in den sogenannten Gedächtniszellen gespeichert, sodass sie jederzeit schnell reproduzierbar seien. Auch Virusvarianten könne der menschliche Körper so wirkungsvoll bekämpfen. Eine Schutzimpfung für Genesene sei deshalb ebenso unnötig wie zeitnahe Impfauffrischungen, erklärte Strub damals. Vor ein paar Tagen nun veröffentlichten US-Wissenschaftler eine viel beachtete Studie – die Kernaussage: Wer mit einem mRNA-Impfstoff immunisiert wurde, ist jahrelang vor gegen Corona geschützt.

"Es wird nicht so schlimm, wie es schon war."

Strub geht davon aus, dass die Delta-Variante für einen Anstieg der Corona-Zahlen auch in Deutschland führen wird. "Aber um dem Ganzen etwas an Dramatik zu nehmen – es wird nicht so schlimm, wie es schon war." Da die älteren Risikopatienten größtenteils geimpft seien, würden sich jetzt mehr jüngere Personen anstecken. "Dies bedeutet, dass die Inzidenzen zwar steigen, aber die Anzahl an schweren Verläufen, Todesfällen und belegten Intensivbetten deutlich unter dem Niveau der vorherigen Wellen bleibt", so Strub.

Großbritannien ist es schon länger, Portugal und Russland sind es seit dieser Woche – kommen bald noch mehr Virusvariantengebiete dazu? Nicht unwahrscheinlich. Auch in den beliebten Urlaubsländern Spanien und Türkei steigen die Corona-Zahlen wieder stark an. Derweil ist die Lage in Griechenland, Frankreich, Italien oder Kroatien aktuell noch entspannt.