Sind bei der Reform politische Geschäfte besiegelt worden?
Ausgesprochen enttäuscht reagierte das Landratsamt Schwarzwald-Baar, zumal man Liegenschaften für ein Präsidium beim ehemaligen Klinik-Standort in Villingen-Schwenningen angeboten habe. CDU-Sprecher Thorsten Frei und SPD-Sprecher Edgar Schurr vermuten, dass zwei Präsidien einfach zu viel gewesen wären. Zumal die Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen das künftige Präsidium für Bildung und Einsatzgewinnung wird. Andere vermuten hinter der Entscheidung für Tuttlingen politischen Einfluss: Galt die Heimat von Landtagspräsident Guido Wolf und dem mächtigen CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder im Bundestag als unantastbar? Wollte man die Opposition so ein wenig besänftigen und den Widerstand mindern?
Im nördlichen Zipfel der geplanten Riesendirektion jedenfalls war man gestern baff: Die Zuordnung des Landkreises Freudenstadt nach Tuttlingen in Richtung Landesgrenze zur Schweiz trifft den Nordschwarzwald wohl unvorbereitet. Georg Moll, Leiter der Polizeidirektion Freudenstadt, ist allerdings froh, dass der Landkreis bei den Zuständigkeiten nicht auch noch aufgesplittet wurde, und dass Horb nicht einem anderen Polizeipräsidium zugeordnet wurde als Freudenstadt. An beiden Orten gibt es nur noch Reviere.
Der Freudenstädter CDU-Landrat Klaus Michael Rückert hat »keinerlei Verständnis« für die Entscheidung. Auch der Freudenstädter Oberbürgermeister Julian Osswald kritisiert die Zuordnung heftig. Freudenstadt habe nach Tuttlingen noch weniger Beziehungen als etwa ins badische Offenburg. Der CDU-Landtagsabgeordnete Norbert Beck aus Baiersbronn meint, dass sich die Situation im Vergleich zur bisher diskutierten Lösung am Standort Offenburg noch einmal verschlechtert habe. Die Landesregierung lasse den ländlichen Raum »am ausgestreckten Arm verhungern«.
In Offenburg wiederum ist man durchaus zufrieden: Dort entsteht das kleinste Präsidium mit 1242 Personalstellen. Dessen Bereich erstreckt sich über den Ortenaukreis, den Kreis Rastatt und den Stadtkreis Baden-Baden. Der bisherige Leiter der Polizeidirektion Offenburg, Reinhard Renter, übernimmt die Leitung in Karlsruhe, wo mit 2380 Mitarbeitern wiederum das personalstärkste Präsidium entsteht. Das dortige Zuständigkeitsgebiet umfasst außerdem den Stadtkreis Pforzheim, den Enzkreis und den Landkreis Calw.
»Ich freue mich auf die neue Herausforderung«, sagte Renter unserer Zeitung. Für Offenburg sei dabei die Entscheidung eine Aufwertung als Oberzentrum. Auch der Landrat des Ortenaukreises, Frank Scherer (parteilos), erklärte: »Die Entscheidung macht Sinn«, denn die Offenburger Polizeidirektion sei von ihrer Lage und Infrastruktur her bestens geeignet.
Auch Freiburg wird Präsidiumssitz
Obwohl die Bereitschaftspolizei in Lahr die Einsatzabteilung verliert, kann Oberbürgermeister Wolfgang G. Müller (SPD) mit der Entscheidung leben. Es sei klar gewesen, dass man nicht wie bisher beides – sowohl die Einsatzabteilung, die jetzt nach Bruchsal wechselt, wie auch die Polizeischule – behalten könne.
Auch Freiburg wird Präsidiumssitz. Der dortige Verwaltungschef wird sich um die Kreisgebiete Breisgau-Hochschwarzwald, Lörrach, Waldshut und Emmendingen kümmern müssen. Der Lörracher SPD-Justizminister Rainer Stickelberger begrüßt die neue Organisationsstruktur: »Für die Bürger ist eine schnelle und kompetente Reaktion durch die Polizei entscheidend und nicht die Nähe zur polizeilichen Leitungsebene.« Dagegen gibt der Lörracher CDU-Kreisvorsitzende Armin Schuster zu bedenken, dass Rationalisierungen in Führungsstäben noch selten dazu geführt hätten, dass mehr Polizisten auf die Straße gekommen sind. Er bezeichnet die Reform als »Zentralismus pur«, die sich sehr nachteilig auf die ländlichen Regionen auswirke.
Während Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für die Reform wirbt und mit den regionalen Flächenzuschnitten und Standorten der neuen Präsidien die Polizei »leistungsstärker und effektiver« machen will, stellen zumeist Kommunalpolitiker von CDU und FDP genau das infrage. An der Beteuerung, leistungsstarke Führungs- und Lagezentren sowie die Einrichtung sogenannter Kriminaldauerdienste bei den zwölf Polizeipräsidien trügen zur Stärkung der Flächenpräsenz bei, werden dort Zweifel laut.
Spötter: Drohen bald Strafversetzungen auf den Ruhestein?
Kritiker monieren, dass stattdessen Kompetenzen aus dem ländlichen Raum weitgehend abgezogen würden. Gleichzeitig stelle sich die Frage, inwieweit ein Präsidiumschef, der beispielsweise in Tuttlingen sitzt, tatsächlich mit den Vorgängen am anderen Ende seines Zuständigkeitsbereichs – in diesem Fall der Kreis Freudenstadt – in Berührung ist und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen kann.
Immerhin knapp 100 Kilometer entfernt ist der am äußersten Zipfel gelegene Baiersbronner Ortsteil Schwarzenberg. Schon wird gelästert, künftig könnte die Aussicht auf Strafversetzungen an die Schwarzwaldhochstraße Beamte in der Tuttlinger Polizeizentrale vor unbotmäßigem Verhalten bewahren.
Dass die Verschlankung der Führung und Abschaffung der bisherigen kleinteiligen Struktur ihren Sinn hat, wird zwar von vielen Experten anerkannt. Strukturpolitik aber scheint die Riesenlösung völlig außer Acht zu lassen.
Die Gebietseinteilung sorgt jedenfalls bei vielen für Unmut. »Mammutbehörden« lautet das Stichwort, mit dem auch CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk sich in der Vermutung bestätigt sieht, die SPD wolle ein »Zentralisierungskonzept« durchsetzen.
Folgt als nächster Schritt die von der Opposition befürchtete Verwaltungsreform im großen Stil – also eine Abschaffung der vier Regierungspräsidien und die Schaffung ausgedehnter Regionalkreise? Fest steht jedenfalls: Grün-Rot wischt bei der Polizeireform sowohl die Grenzen von Regierungsbezirken als auch die der Regionalverbände lässig beiseite. Weil diese sowieso bald keine Rolle mehr spielen werden?
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