Wenn das BSW seine Versprechen auf Landesebene nicht einlöst, könnte das seine Chancen im Bund schmälern. Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler/IMAGO/Bernd Elmenthaler

In Sachsen sind die Verhandlungen gescheitert, in Thüringen ist alles offen, in Brandenburg läuft es – aber will das BSW überhaupt auf Landesebene regieren? Vor welchen Problemen die Partei nun stehen könnte, erklärt der Politikwissenschaftler Aiko Wagner.

Kaum eine Partei ist so schnell aufgestiegen wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Es ist noch kein Jahr alt, hat aber schon in drei Bundesländern Koalitionsgespräche geführt. Jetzt bereitet es sich auf die Bundestagswahl vor. Der Politikwissenschaftler Aiko Wagner, vom Otto-Suhr-Institut zu Berlin, beschäftigt sich schon lange mit populistischen Parteien. Er erklärt den Erfolg des BSW – und weshalb es ebenso schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden kann, wie es aufgestiegen ist.

 

Herr Wagner, gab es in Deutschland schon einmal eine Partei, die ähnlich schnell Erfolg hatte wie das BSW?

Nein, dass eine Partei in mehreren Bundesländern so schnell zweistellige Wahlergebnisse erzielt, hat es deutschlandweit bisher nicht gegeben.

Wie ist das gelungen?

Populistische Parteien wie das BSW profitieren derzeit von der Unzufriedenheit vieler Bürger. Das BSW vereint sozialpolitisch eher linke Positionen mit gesellschaftlich konservativen Ansichten. Vor allem in Ostdeutschland kommt es auf viel Zustimmung. Dort gibt es aus historischen Gründen eine emotionale Nähe zu Russland, Skepsis gegenüber der Nato und eine geringere Westbindung. Das BSW zieht eine ähnliche Gruppe wie die AfD an, die vielen Wählern aber doch zu extremistisch ist. Zudem sind die Wähler offener geworden. Bis in die 1970er-Jahre gab es starke Parteiloyalitäten, doch die haben sich zunehmend aufgelöst. Die Menschen sind heute bereit, anders zu wählen und sich kurzfristig umzuorientieren – ein Vorteil für neue Parteien.

Die Wählerschaft der Partei ist größtenteils älter. Müssten neue Parteien nicht versuchen, auch jüngere Wähler anzusprechen?

Das Wahlprogramm des BSW bietet keine Vision für die Zukunft – es geht eher um die Bewahrung des Status quo und eine Rückkehr zu früheren, vermeintlich besseren Zuständen. Das spricht ältere Menschen an. Die jüngere Generation ist dagegen meist etwas liberaler, also das Gegenteil der konservativen Linie des BSW.

Das BSW hat viele Versprechen gemacht, die schwer umsetzbar sein dürften. Wird ihm das zum Verhängnis?

Das hat tatsächlich eine gewisse Ironie. Selbst wenn Sahra Wagenknecht mit ihrer Partei eine Mehrheit im Bundestag hätte, könnte sie den Ukraine-Krieg nicht einfach beenden oder wieder Gas aus Russland beziehen. Doch eine neue Partei muss Alternativen anbieten – sonst hätte sie keinen Grund anzutreten. Ob diese Versprechen später zum Problem werden, wird sich zeigen.

Aiko Wagner ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Foto: privat

Viele vermuten, dass das BSW trotz seiner Wahlerfolge kein Interesse an Landeskoalitionen hat.

Das könnte sein. Um auf Landesebene mitzuregieren, müsste das BSW Kompromisse eingehen und könnte das eigene Programm nicht vollständig umsetzen. Das würde signalisieren: „Wir sind zwar dabei, aber es ändert sich trotzdem nicht viel.“

Wenn das BSW auf Landesebene nun aber mitregieren würde, könnte es wohl viele Versprechen nicht einlösen. Wie würde sich das auf die Chancen der Partei bei künftigen Wahlen auswirken?

Das könnte die Bundestagswahlchancen der Partei deutlich schwächen. Die Versprechen nicht einzuhalten, würde ein klares Signal senden: „Mit diesen Partnern lassen sich unsere Ziele nicht verwirklichen.“ Wenn die Umsetzung auf Landesebene schon schwierig ist, wie soll es dann im Bund funktionieren? Dadurch könnte die Partei weniger attraktiv werden und vielleicht sogar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Und bei der übernächsten Bundestagswahl 2029 – wo sehen Sie das BSW dann?

Das hängt von vielen Faktoren ab. Aber das Wählerpotenzial des BSW ist groß. Momentan können sich laut Umfragen 20 Prozent der Wähler vorstellen, für das BSW zu stimmen. Entscheidend wird jedoch die internationale Lage sein, die für das BSW eine zentrale Rolle spielt. Was passiert, wenn der Ukraine-Krieg endet? Die Partei könnte entweder schnell an Relevanz verlieren – oder aber sich ähnlich etablieren wie die AfD durch die Flüchtlingsdebatte. Im Prinzip ist alles möglich.

Kann es sein, dass die Partei so schnell abstürzt, wie sie aufgestiegen ist?

Das ist durchaus möglich. Die nächsten beiden Wahlperioden werden entscheidend sein. Bleiben Erfolge aus, könnte die Partei schnell in die Bedeutungslosigkeit abrutschen und – wenn überhaupt – nur noch lokal erfolgreich auftreten. Es hängt aber auch sehr von Sahra Wagenknecht persönlich ab.

Ohne Sahra Wagenknecht kein BSW?

Sahra Wagenknecht ist eine prominente, polarisierende Figur und das Gesicht der Partei. Das hat ihr sehr geholfen, sie prägt den Kurs maßgeblich. Zugleich ist der Job als Spitzenpolitiker hart und herausfordernd, wie das Beispiel von Kevin Kühnert bei der SPD zeigt. Auch Wagenknecht selbst hat schon mal an einem Burn-out gelitten. Die Partei ist stark auf Wagenknechts Linie ausgerichtet, Abweichungen davon sind nicht gern gesehen.

Sie sprechen den Konflikt mit der BSW-Spitzenkandidatin in Thüringen, Katja Wolf, an. Entstehen da bereits erste Lager innerhalb der Partei?

Nein, die Partei ist sehr klein und besteht aus handverlesenen Mitgliedern, sodass kaum Raum für relevante interne Strömungen bleibt. Dennoch zeigt dieser Konflikt: Wer zu weit von der Parteilinie abweicht, wird zurechtgewiesen – und das wohl stärker als in anderen Parteien.

Was bedeutet das für die Zukunft von Katja Wolf im BSW?

Sie muss sich an die Linie Wagenknechts halten. Da gab es von Wagenknecht, dem Europaabgeordneten Fabio De Masi und vom Schatzmeister Ralph Suikat sehr harte Vorwürfe gegen die ihrerseits durchaus populäre und erfahrene Katja Wolf. Dauerhaft wäre eine Position gegen die Bundesebene wohl schwer durchzuhalten. Daher versuchen alle Seiten, den Konflikt nicht zu groß werden zu lassen.

Zur Person

Studium
Aiko Wagner, 1982 in Berlin geboren, ist Politikwissenschaftler. Er studierte Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch seine Habilitation abschloss.

Karriere
Wagner war unter anderem für das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) tätig und übernahm Vertretungsprofessuren an verschiedenen Universitäten. Derzeit arbeitet er am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und forscht zu Parteiensystemen, Wahlen und politischem Verhalten.