Der CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger hat vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags Baden-Württemberg ausgesagt. Foto: dpa

Im baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschuss haben Politiker ausgesagt, dass die Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn kein Zufallsopfer des NSU gewesen sei.

Stuttgart - Im Stuttgarter Untersuchungsausschuss zur Terrorzelle NSU haben Politiker aus Bundestag und Thüringer Landtag die bisherige Aufklärungsarbeit der Ermittler im Südwesten infrage gestellt. Die beiden früheren Obleute im NSU-Ausschuss des Bundestags, Clemens Binninger (CDU) und Eva Högl (SPD), sind der Meinung, dass die Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn gezielt vom NSU ermordet wurde

„Mich hat es nie überzeugt, dass sie ein Zufallsopfer ist“, sagte Högl. Sie verwies wie die Erfurter Landtagsabgeordnete Dorothea Marx (SPD) auf Verbindungen aus Kiesewetters Umfeld in die rechtsextreme Szene in Thüringen. Der Generalbundesanwalt sieht Kiesewetter als Zufallsopfer des NSU.

Binninger empfahl dem Ausschuss im Landtag, sich unter anderem mit Zeugen zu befassen, die blutverschmierte Männer am Tattag in der Nähe des Tatortes gesehen haben. Die Handydaten von Kiesewetter sollten umfassender ausgewertet werden, auch für die Wochen vor der Tat. Zudem sollten Einsätze von Kiesewetter im kriminellen Milieu untersucht werden. Binninger selbst lebt in Böblingen, wo auch die Einheit von Kiesewetter stationiert war.

Binninger und Högl gehen davon aus, dass der NSU nicht nur ein Trio sondern ein größeres Netzwerk war. Die Abgeordneten sollten die rechtsextreme Szene in Baden-Württemberg in den 90er Jahren beleuchten - inklusive ihrer Verbindungen in die kriminelle Szene. Hintergrund ist, dass sich die Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) bereits damals im Raum Stuttgart-Ludwigsburg aufgehalten hatten, wie Binninger sagte. Offenbar hatten sie Kontakt zu mindestens einem Neonazi mit einer Waffensammlung, wie das NSU-Mitglied Uwe Mundlos 1996 in einem Brief schrieb.

Kontakt zwischen Ku-Klux-Klan-Ableger und NSU

Auch zwischen dem im Jahr 2000 gegründeten deutschen Ableger des rassistischen Ku-Klux-Klans in Schwäbisch Hall und dem NSU bestanden demnach Kontakte. Binninger wies daraufhin, dass es einen weiteren NSU-Untersuchungssausschuss im Bundestag geben könnte, sollten neue Fakten beispielsweise bei der Arbeit des baden-württembergischen Untersuchungsausschusses auftauchen.

Marx, die Obfrau im Thüringer Ausschuss gewesen war, sprach von einem „sehr gebremsten Interesse“ der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der Straftaten in Thüringen. So gab es beispielsweise kurz nach dem Mord an Kiesewetter den Hinweis von ihrem Patenonkel, wonach es einen Zusammenhang mit den „Türkenmorden“ geben könnte. So wurde die Mordserie an bundesweit neun Menschen mit ausländischen Wurzeln bezeichnet - die Taten wurden später dem NSU zugeordnet. Marx verwies zudem auf einen Streit zwischen Kiesewetter und ihrer Cousine, die in die rechtsextreme Szene abgerutscht war. Diesen Aspekt hatte erst der Thüringer Ausschuss aufgedeckt.

Högl stellte fest, dass der Rechtsextremismus in der Vergangenheit noch bis hin zur Aufklärung der NSU-Mordserie „systematisch verharmlost“ worden sei. Zudem sei bei der Arbeit des Ausschusses im Bundestag der „bei den Ermittlungen durchziehende Rassismus in den Behörden“ deutlich geworden.

Trotz ausländischer Wurzeln von neun Opfern des NSU ein rassistisches Motiv außer Acht zu lassen, sei „ein schwerer Fehler“ gewesen. Dies betreffe allerdings nicht explizit den Fall in Heilbronn.

Der Landtagsausschuss soll Kontakte und Aktivitäten des NSU im Südwesten beleuchten sowie die Aufklärungsarbeit der Behörden. Dabei geht es insbesondere um den Mord an der Polizistin Kiesewetter. Aktuell hat der Ausschuss bereits 90 bis 100 Ordner mit Ermittlungsakten unter anderem des Landeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes vorliegen. Die nächste Sitzung ist am kommenden Montag.

Der Ausschuss war eingesetzt worden, nachdem sich eine Enquete-Kommission zum Thema zerstritten hatte. Die Kommission lässt aktuell ihre Arbeit ruhen. Nach derzeitiger Planung soll der Ausschuss bis Ende Oktober einen Abschlussbericht vorlegen. Die Enquete soll im Anschluss Handlungsempfehlungen entwickeln.