Der Mindestlohn soll im kommenden Jahr auf 12,82 Euro steigen - eigentlich. Jetzt fordert der Kanzler einen satteren Aufschlag. Die Reaktion aus der Wirtschaft folgt prompt.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich für eine Erhöhung des Mindestlohns auf schrittweise 15 Euro in Deutschland ausgesprochen. Damit löste der SPD-Politiker teils heftige Kritik beim Koalitionspartner FDP, der oppositionellen Union und Deutschlands Arbeitgebern aus. Gewerkschaften und Sozialverbänden begrüßten die Ankündigung.
„Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben“, sagte Scholz dem „Stern“. Gleichzeitig übte er Kritik an der Mindestlohnkommission. „Die Arbeitgeber haben nur auf einer Mini-Anpassung beharrt.“ Außerdem hätten sie mit der Tradition gebrochen, einvernehmlich zu entscheiden. „Das war ein Tabubruch“, sagte Scholz. „Die Kommission sollte zu einem einheitlichen Verfahren zurückkehren.“ Aktuell ist vorgesehen, den Mindestlohn im kommenden Jahr von derzeit 12,41 Euro auf 12,82 Euro anzuheben.
Tabubruch?
Der Arbeitgeberverband BDA warf Scholz Einmischung in die Festlegung des Mindestlohns vor. „Wenn Politik und Gewerkschaften weiter die Verhandlungen zum Mindestlohn in der Presse führen, dann kann man die Mindestlohnkommission auch gleich auflösen“, kritisierte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. „Wenn jemand einen Tabubruch begeht, dann der Bundeskanzler. Er hat zugesagt, nicht mehr in die Arbeit der Mindestlohnkommission eingreifen zu wollen“, sagte Dulger weiter. Für die Wirtschaft, die Arbeitsplatzsicherheit und die Tarifautonomie ist es nach den Worten des BDA-Chefs „brandgefährlich, aus wahlkampftaktischen Gründen den Druck auf die Mindestlohnkommission stetig zu erhöhen – und das bereits mehr als ein Jahr vor der nächsten Entscheidung“.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai betonte, die Politik habe sich aus der Festlegung des Mindestlohns herauszuhalten. „Willkürliche staatliche Eingriffe stören das Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und schaden unserem Land“, sagte Djir-Sarai dem „Stern“. FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler mahnte: „Es wäre falsch, die Arbeit der Mindestlohnkommission durch politische Einflussnahme zu untergraben.“
„Willkürliche Festlegung“
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Karl-Josef Laumann sagt dem „Stern“: „Die SPD steigt bereits jetzt in den Wahlkampf über den Mindestlohn ein.“ Er lehne „eine willkürliche Festlegung durch die Politik“ ab. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister plädiert allerdings für eine Reform der Regeln zur Findung des Mindestlohns: „Wir brauchen einen neuen Mechanismus für eine faire Lohnuntergrenze.“ Mit der letzten Erhöhung um 41 Cent sei nicht einmal die Inflation ausgeglichen worden. Laumann halte eine Kopplung des Mindestlohns an die Entwicklung des mittleren Lohns für eine zielführende Lösung. „Es wäre gut, wenn die Sozialpartner sich auf solch einen Mechanismus verständigen könnten.“
Stefan Körzell, DGB-Vorstandsmitglied und Mitglied der Mindestlohnkommission, sagte: „Der Kanzler hat recht.“ Der Gewerkschaftsbund wolle einen armutsfesten gesetzlichen Mindestlohn, wie ihn die europäische Mindestlohnrichtlinie vorsehe. „Die Richtlinie nennt 60 Prozent vom mittleren Einkommen von Vollzeitbeschäftigten als Maßstab, im Moment entspricht das knapp über 14 Euro.“ Natürlich seien im nächsten Jahr 15 Euro drin, weil die Entwicklung ja weitergehe und die Preise stiegen.
Hochpolitisches Thema
Turnusgemäß werde die Mindestlohnkommission erst Mitte 2025 über die nächsten Erhöhungsschritte entscheiden, so Körzell. „Ihr Beschluss fällt damit unmittelbar in die Hochphase des nächsten Bundestagswahlkampfes, wird also hochpolitisiert sein.“ Der DGB wolle an der Mindestlohnkommission festhalten. In einer Patt-Situation müssten aber unterschiedliche Interessenlagen per Schlichtung in Einklang gebracht werden. Die Vorsitzende des Sozialverband Deutschland, Michaela Engelmeier, sagte, Scholz werde sich nun an seinen Ankündigungen messen lassen müssen. „Das darf jetzt nicht nur ein frühzeitiges Wahlkampfgetöse sein.“
Die Forderung nach einer Lohnuntergrenze von 15 Euro war zuvor auch aus den Reihen von Grünen, Linken sowie der Gewerkschaft Verdi gekommen. Damit alle mit ihrem Einkommen auskommen könnten, sei ein gesetzlicher Mindestlohn noch in diesem Jahr von 14 Euro und im nächsten Jahr von 15 Euro geboten, sagte die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt kürzlich. Auch aus der SPD wurde Kritik laut, die geplante Anhebung sei zu niedrig.