Avantgardist des Indiepops: Phillip Boa Foto: dpa-Zentralbild

Phillip Boa, Held der Indiepopavantgarde, kommt mit einer Best-of-Show nach Ludwigsburg.

Er lebt in Malta, Deutschland und den Niederlanden, war Avantgardist des Indiepop, und noch tanzt man in den besseren Discos dieser Republik zu Hits wie "This Is Michael" oder "Container Love". In der kommenden Woche tritt Phillip Boa in Ludwigsburg auf.

"Ich beneide euch echt um das Wetter, das ihr gerade in Deutschland habt", sagt Phillip Boa. Er sitzt am anderen Ende der Telefonleitung auf dem Inselstaat Malta fest. Dort ist es zwar 30 Grad warm, doch die hohe Luftfeuchtigkeit macht ihm zu schaffen. Boa, der eigentlich Ernst Ulrich Figgen heißt, und vor 47 Jahren in Dortmund geboren wurde, ist schließlich nicht zum Urlaubmachen hier. Auf Malta hat er schon in den 1990er Jahren sein Aufnahmestudio eingerichtet. Und bevor er am 21.Oktober im Scala in Ludwigsburg eine kleine Deutschlandtournee fortsetzt, bastelt er hier an den runderneuerten Wiederveröffentlichungen seiner Alben "Helios" und "Boaphenia", die aus den Jahren 1991 und 1993 stammen und Songs wie "And Then She Kissed Her" oder "Love On Sale" enthielten. "Gerade arbeiten wir an drei Songs, die es bisher nur auf Demobändern gab, die als Bonustracks auf die remasterten Alben sollen", sagt Boa.

Großartige Popentwürfe - wieder einmal

Trotz des Monsumklimas klingt Boa ziemlich entspannt. Und das, obwohl er eigentlich als wortkarg, schwierig, launisch gilt. Früher wurde ihm nachgesagt, das Enfant terrible der deutschen Musikszene sein zu wollen, in rotzig-trotzigen Songs wie "Kill Your Idols" verdingte er sich als popkultureller Bilderstürmer, und in dem Heavy-Metal-Projekt Voodoocult tobte er sich zusammen mit Slayer-Schlagzeuger Dave Lombardo exzessiv im Noiserock aus. Immer wieder kehrte er aber zum mit verschrobenen Details, kalkulierten Irritationen verzierten Weitwinkelpop mit New-Wave-Anklängen zurück, den er mit seiner Stammband, dem Voodooclub, so perfekt zu inszenieren versteht.

Das Klischee vom Popschnösel oder von der Indiediva ist Boa nicht mehr bereit zu bedienen. Selbst die Tatsache, dass das Musikmagazin "Rolling Stone" in seiner aktuellen Ausgabe die 50 besten Popalben Deutschlands gekürt, aber sträflich versäumt hat, eine Platte von Phillip Boa aufzuführen, lässt ihn kalt. "Die haben mich halt vergessen, was soll's", sagt er milde, "und die meisten Platten, die die ausgewählt haben, dürften wohl in Ordnung gehen."

"Indie ist heute bloß noch eine Stilrichtung"

Tatsächlich hält auch er Scheiben der Einstürzenden Neubauten, der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft, von Can, Kraftwerk oder den Fehlfarben nicht nur für Deutsche Meisterwerke, sondern auch für Alben, die ihn selbst maßgeblich beeinflusst haben. "Jaki Liebezeit von Can hat ja auch auf unserer aktuellen Platte Schlagzeug gespielt", sagt er stolz. "Diamonds Fall" erschien 2009, und Boa sind auf dem Album wieder einmal großartige Popentwürfe gelungen, zwischen deren sanften Melodien immer wieder rhythmische Stolperfallen, harmonische Abgründe lauern.

Als Phillip Boa Mitte der 1980er Jahre seine ersten Alben veröffentlichte galt er als Vorzeige-Indierocker, als einer der sich den Marktmechanismen der Popindustrie, der Vereinnahmung durch die großen Plattenfirmen erfolgreich, aber auch mit großem Kräfteverschleiß widersetzte. Inzwischen ist der Indierock der neue Mainstream geworden. Kaum eine junge Gitarrenrockcombo, die nicht behauptet Indie zu sein.

"Indie ist heute bloß noch eine Stilrichtung"

Und ein bisschen geht bei dem Thema dann doch das Milde in Boas Stimme verloren: "Indie ist heute bloß noch eine Stilrichtung", sagt er, "Junge Bands nennen ihre Musik Indierock, weil das cooler klingt, als zu sagen, man spiele Mainstreampop." Vielen solchen Bands höre man in Wirklichkeit an, dass sie völlig unentschlossen zwischen der Musik, die sie gerne spielen würden, und der Musik, die die Plattenfirma von ihnen hören will, hin und her irren. "Man wird auf jeden Fall nicht gleich zum Indierocker, bloß weil man den Haarschnitt von diesem Bloc-Party-Typen kopiert."

Für einen Moment hat er sich noch einmal in den unbequemen, unbeirrbaren Popavantgardisten. Jenen, der lange Zeit seinen größten Hit "Container Love" nicht spielen wollte, weil er es leid war, die traurig-intime Geschichte, die sich da hinter honigsüßen Popharmonien verbirgt, mit allen zu teilen. "Und es hat mich einfach angekotzt, immer nur auf diesen Song reduziert zu werden", sagt er. Nachdem er inzwischen in einem 15-Minuten-Video von Jim Rakete noch einmal die Geschichte des Songs erzählen konnte, hat Phillip Boa aber seinen Frieden mit "Container Love" geschlossen, und will ihn, wenn er aus dem schwülen Malta wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist, auf jeden Fall auch live spielen.

Best-of-Show von Philipp Boa & The Voodooclub am Donnerstag, 21. Oktober, um 20 Uhr im Scala in Ludwigsburg; Tickets unter: www.reservix.de