Weltmeister und Machtmensch: Philipp Lahm Foto: Getty

Philipp Lahm tut nichts ohne Plan. Er verfolgt auch mit seiner Kritik am Bundestrainer und der jüngeren Spielergeneration ein Ziel. Der Ehrenspielführer der DFB-Elf bringt sich in Stellung – eine Analyse.

Stuttgart - Philipp Lahm hat sich also mal wieder positioniert, wie das dann so schön heißt. Nicht auf dem grünen Rasen, sondern auf einem anderen Spielfeld – aber auch hier wie immer mit dem richtigen Gespür fürs Timing und den freien Raum, der sich womöglich bald für ihn auftun könnte.

In einem Internetportal machte der Botschafter der deutschen Bewerbung um die EM 2024 das, was er gerne schon zu aktiven Profizeiten zu den aus seiner Sicht gegebenen Anlässen tat. Lahm sprach Tacheles – dieses Mal in Richtung des Bundestrainers Joachim Löw und der jüngeren Generation der bei der WM krachend gescheiterten Nationalspieler.

„Ich bin überzeugt davon, dass Jogi Löw seinen kollegialen Führungsstil der letzten Jahre ändern muss, wenn er mit der neuen Generation von Nationalspielern wieder Erfolg haben möchte“, sagte Lahm und ergänzte, dass Löw den Individualisten des Teams klarmachen müsse, dass sie „Verantwortung für die gesamte Mannschaft tragen“.

Lahm also bringt sich in Stellung. Wieder mal. Zur Zeit ist er nur ein besserer Gruß-August für die Bewerbung des DFB um die EM 2024. Das soll sich wohl ändern. Lahm will mehr – welches Amt genau, ist offen. Sein Hut aber ist im Ring. Taktisch klug gab er seine Breitseite ab – in einer Zeit, in der Joachim Löw, Manager Oliver Bierhoff und auch der Verbandspräsident Reinhard Grindel geschwächt sind wie nie.

Langfristig dürfte Lahm ein Kandidat für das DFB-Präsidentenamt sein, Grindel ist bis Ende 2019 gewählt. Angeblich, so ist es Lahms Umfeld zu hören, wolle er sich aber für kein konkretes Tätigkeitsfeld aufdrängen. Offenbar geht es Lahm gerade eher um eine Botschaft: Hey, ich bin da – und zwar auch für die größtmögliche Aufgabe.

Der Weltmeisterkapitän von 2014 dürfte dabei nicht abgeneigt sein, Berater der sportlichen Leitung zu werden – dort allerdings fungiert Oliver Bierhoff als eine Art Superminister, eine Aufgabenteilung der beiden dürfte allein schon an den jeweils großen Machtansprüchen scheitern.

Dabei steht dieser Lahm, der Machtmensch, der sich am Tegernsee niedergelassen hat, noch heute für einen neuen Führungsstil. Von flachen Hierarchien war meist die Rede, die Löws Team auch dank Lahms Wirken als Kapitän von 2010 an prägte.

Nun fordert genau dieser Lahm mehr Härte und klarere Ansprachen in Richtung der jungen Profis. Dieser Lahm also, der zu seiner Zeit als Kapitän der Nationalmannschaft und des FC Bayern den Führungsspieler-Stil quasi abschaffte. Schon zu Profizeiten schrieb Lahm ja ein Buch („Der feine Unterschied“) – und da lohnt es sich im Zuge seiner aktuellen Aussagen mal kurz nachzuschauen, was er damals so alles drucken ließ. Unter anderem steht im Buch geschrieben: „Aber die Zeit der Trainer, die mit ihren Spielern nur reden, um Befehle zu erteilen, ist vorbei. (...) Die Autorität des Trainers kann nur im Dialog mit den Spielern entstehen, die seine Ideen auf dem Spielfeld Wirklichkeit werden lassen.“

Ja was denn nun?

Der Widerspruch legt die Vermutung nahe, dass Lahm sich immer so positioniert, wie es ihm und seinem ausgeklügeltem Karriere-Masterplan gerade passt. Nicht wird dem Zufall überlassen – ohne Rücksicht auf Verluste. Das war auch 2010 so, als Lahm bei der WM in Südafrika den damals verletzten Michael Ballack als Kapitän vertrat – und das gerne autoritär auftretende Alphatier dann mit dem Satz absägte, dass er die Kapitänsbinde nicht zurückgeben wolle. Das war nicht die feine Art, aber es entsprach der Stimmung im Team. Wofür der Machtmensch Lahm schon damals feine Antennen besaß.

Das war auch so, als er im 2009 in einem am Verein vorbei geführten interview in der „SZ“ sagte, dass dem FC Bayern München eine Philosophie fehle. Lahm kassierte eine saftige Geldstrafe von seinem Club, schob aber mit seiner fundierten Kritik jene Entwicklung an, die im Gewinn des Triples 2013 gipfelte.

Lahm macht nichts ohne Kalkül, er hatte schon immer ein feines Gespür für aktuelle und zukünftige Entwicklungen auf und außerhalb des Platzes – was sich auch in der Verkündung seines Karriereendes im Februar 2017 zeigte. Da betonte er auch gleich noch, dass er den angebotenen Job in der sportlichen Leitung des FC Bayern nicht übernehmen werde – und all das tat er mal wieder ohne Rücksicht auf Verluste.

Das DFB-Pokalspiel seines FC Bayern gegen den VfL Wolfsburg lief damals noch, da vermeldete die „Sport-Bild“ abends die von Lahm lancierte Neuigkeit. Der Kapitän wollte die Deutungshoheit. Er wählte den Alleingang, ohne Rücksprache mit dem FC Bayern– was ihn als Ich-AG im Profifußball entlarvte. Die Club-Oberen des FC Bayern wollten Lahm damals nur einen Posten als Sportdirektor zukommen lassen, er selbst aber wollte mehr Macht – weshalb er das Angebot am Ende ablehnte.

Und nun? Was ist drin beim DFB für den Ehrenspielführer? Im deutschen Verband sind sich spätestens nach dem krachenden WM-Debakel von Russland intern fast alle Beteiligten einig, dass der Manager und Superminister Oliver Bierhoff dringend Entlastung benötigt. Lahm kennt die Abläufe beim DFB, er ist gut vernetzt – und er hat aus strategischer Sicht bisher meist die richtigen Entscheidungen getroffen. Gut möglich ist es deshalb, dass Philipp Lahm bald noch eine andere Funktion innehat als die des EM-Botschafters für 2024.