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Manchmal wird das Zuhause zum gefährlichsten Ort der Welt. Hilfe im Frauenhaus.

Manchmal wird das Zuhause zum gefährlichsten Ort der Welt. Wenn der Partner gewalttätig ist, bleibt Frauen oft nichts anderes, als mit ihren Kindern zu fliehen. Das ökumenische Frauenhaus Pforzheim ist für viele von ihnen der Ausgangspunkt für ein besseres Leben.

Pforzheim/Enzkreis. Irgendwo im Stadtzentrum steht das Haus, in dem die eine Heimat finden, die daheim nicht länger bleiben können: Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Ihre Schicksale sind völlig unterschiedlich. Auch die Gewalt, die sie erfahren haben, äußert sich nicht immer gleich. Doch eines verbindet die Bewohnerinnen. Zuhause, bei ihrem übergriffigen Partner, können sie nicht länger bleiben. Im ökumenischen Frauenhaus Pforzheim finden sie eine Heimat auf Zeit.

Die Einrichtung bietet auf vier Etagen Platz für elf Frauen und 15 Kinder. Meistens, sagt Leiterin Tanja Göldner, reicht der Platz aus. Aber eben nicht immer. Das Problem ist ein bundesweites.

Um die 350 Frauenhäuser gibt es in Deutschland, jede dritte Frau im Land war oder ist in ihrem Leben von Gewalt betroffen. In einem Sachstandsbericht der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags von 2019 heißt es, dass hierzulande jährlich 16 000 Frauen mit fast ebenso vielen Kindern Zuflucht in einem Frauenhaus suchen. Und: "Nach aktuellen Schätzungen fehlen mehr als 14 600 Schutzplätze für Frauen, insbesondere in Ballungsgebieten."

"Wir nehmen meist keine Pforzheimerinnen auf", erklärt Göldner. Stattdessen werden Betroffene aus der Goldstadt in andere Häuser in Baden-Württemberg vermittelt – zu groß ist die Gefahr, dass der verlassene Partner sie sonst aufspürt. Manche Frauen wollen gar die ganze Bundesrepublik zwischen sich und ihren gewalttätigen Mann bringen und bevorzugen eine Unterkunft in Norddeutschland.

Vier bis fünf Anrufe täglich

Die Tiefe des Einschnitts zeigt, wie groß die Not ist: Lieber verlassen sie und ihre Kinder ihr gewohntes Umfeld, Schule, Arbeitsplatz, Freunde und Familie, als noch länger die Gewalt daheim zu ertragen. Manche Frauen nehmen dafür direkt mit dem Frauenhaus Kontakt auf, andere kommen über Beratungsstellen, Ärzte oder Krankenhäuser – wenn die Gewalt völlig eskalierte – dorthin. In manchen Zeiten erhalten Göldner und ihre Kolleginnen vier bis fünf Anrufe täglich von Hilfesuchenden. "Oft nach den Sommerferien", berichtet sie. Weil die Frauen ihrem Mann im Urlaub noch eine Chance geben wollten, aber dann auch der Urlaub furchtbar gewesen sei. Weitere "Hoch-Zeiten" sind zwischen Weihnachten und Neujahr und gleich zu Beginn eines neuen Jahres.

Im Frauenhaus finden die Opfer eine Unterkunft für die erste Zeit, und sie lernen mit Hilfe von drei Beraterinnen, ihr Leben wieder alleine zu organisieren. Wenn es gut läuft, ziehen die Frauen anschließend in eine eigene Wohnung, auch bei der Suche und Einrichtung hilft das Team des Frauenhauses.

Viele der unterdrückten Frauen haben in ihrem Leben lernen müssen, ihre Sorgen und Bedürfnisse zu verdrängen. Immer wieder sei Magersucht ein Problem. "Die Frauen vergessen tatsächlich, zu essen", schildert Göldner. Sie und ihre Kolleginnen schauen deshalb auch einmal die Woche, ob die Bewohnerinnnen es schaffen, für sich und die Kinder zu kochen und den Alltag zu organisieren – den Schulbesuch der Kleinen inklusive. Was nach einer Selbstverständlichkeit klingt, ist oft eine riesige Herausforderung.

Viele Frauen kämen wie aus der Gefangenschaft. Sie durften nie alleine einkaufen, wenn überhaupt, und der Partner hatte ihnen alle sozialen Kontakte verboten. Betroffen seien dabei längst nicht nur ausländische, sondern auch deutsche Frauen. Und längst werden nicht nur Frauen aus ohnehin prekären Milieus Opfer.

Partnerinnen von Hartz-IV-Empfängern sind zwar darunter, aber genauso Ehefrauen von Firmenchefs, Richtern oder Staatsanwälten. "Solche Frauen haben es ganz schwer, ins Frauenhaus zu gehen", erklärt Göldner. Denn sie müssen sich am neuen Wohnort anmelden. Und ein Richter beispielsweise habe Möglichkeiten, herauszufinden, wo seine Frau gemeldet ist. Entsprechend groß ist die Angst, dass der übergriffige Partner bei aller Vorsicht doch irgendwann vor der Tür steht.

Im vergangenen Jahr kamen insgesamt 42 Frauen und 79 Kinder im Frauenhaus unter. 13 der Bewohnerinnen waren deutsch, die anderen hatten einen Pass etwa aus Afghanistan, Kenia, Kamerun, Nigeria, Serbien, China, Kasachstan oder Bosnien. Oft sprechen sie kein oder nur schlecht Deutsch. Das stellt die Beraterinnen vor Herausforderungen, weil gleich bei der Aufnahme viele Formulare ausgefüllt werden müssen, und Dolmetscher auf die Schnelle schwer zu finden sind.

Auch Nachwuchs im Fokus

Im Frauenhaus stehen nicht nur die Mütter im Fokus, auch der Nachwuchs wird betreut. "Die Kinder kriegen so viel mit." Die schlimmen Erlebnisse zu Hause prägen die Kinderseelen fürs Leben. Im Frauenhaus lernen die Kleinen, wieder Kind zu sein – auch, um die Gewaltspirale zu durchbrechen. Denn sonst besteht die Gefahr, dass gerade Jungs in der Pubertät die Täterrolle übernehmen. Als Vorsichtsmaßnahme dürfen deshalb auch nur Buben bis zwölf Jahre mit ins Frauenhaus kommen. Ältere werden zunächst in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Das klingt hart, ist aber eine Vorsichtsmaßnahme und Erfahrungen in der Vergangenheit geschuldet.

Göldner leitet das ökumenische Frauenhaus seit drei Jahren. Seit dem 1. Juli verantwortet sie zudem die Fachstelle häusliche Gewalt Pforzheim Enzkreis in der Goethestraße. Betroffene können dort Beratungstermine vereinbaren. Die Unterstützung ist kostenlos und auf Wunsch anonym.

An die Fachstelle können sich auch Männer wenden, während das Frauenhaus weiblichen Opfern vorbehalten ist. In ihrer Zeit dort habe sich erst ein Mann, der unter seiner gewalttätigen Partnerin litt, gemeldet, berichtet Göldner. Er wurde dann an eines der wenigen Männerhäuser in Deutschland vermittelt. Mit der Zunahme an gleichgeschlechtlichen Partnerschaften steigt indes auch die Zahl der Opfer unter Männern.

Die Aufenthalte im ökumenischen Frauenhaus Pforzheim dauern im Schnitt zwei bis vier Monate. Bestenfalls starten die Bewohnerinnen von dort aus in ein selbstständiges und gewaltfreies Leben. Doch die Herausforderungen sind groß: 2019 sind laut Göldner 30 Prozent aller Betreuten wieder in ihr altes Leben zurückgekehrt. Das sei sehr viel. Plötzlich alleinerziehend und auf sich allein gestellt zu sein, das packen nicht alle. "Das ist für manche Frauen richtig Arbeit." Viele schaffen das nicht, "leider auch Frauen, die übelste Gewalt erlebt haben", berichtet Göldner. Dass sie ihren Partner dennoch lieben und zu ihm zurückkehren, ist manchmal unbegreiflich für das Frauenhaus-Team.

Die Hoffnung verlieren die Beraterinnen dennoch nicht – weil es Frauen gibt, die ihren Weg gehen, eine Wohnung und Arbeit finden und es schaffen, ihre Kinder alleine zu versorgen. Das mitzubekommen, ist der Lohn für die Arbeit der Betreuerinnen: "Da weiß man schon: Dafür hat man den Grundstein gelegt."

Weitere Informationen: www.frauenhaus-pforzheim.de oder Telefon 07231/45 76 30

Info: Finanzierung

Träger des Frauenhauses ist die Ökumenische Frauenhaus und Fachstelle gegen häusliche Gewalt Pforzheim/Enzkreis gGmbH. Dahinter stehen die Diakonie und die katholische Kirche in Pforzheim.

Die Finanzierung der Frauenhäuser ist nicht einheitlich geregelt. In Pforzheim bezahlen die Stadt und der Enzkreis einen Tagessatz pro Bewohner von knapp 54 Euro. Frauen, die Einkünfte haben, müssen sich an den Kosten beteiligen.

Für seine Arbeit ist das Frauenhaus zusätzlich auf Spenden angewiesen. Tanja Göldner freut sich deshalb, dass zahlreiche Vereinigungen, Vereine oder die erste Bürgerstiftung Pforzheim-Enz ihre Einrichtung unterstützen. Helfen können auch Privatpersonen mit Möbelspenden: Immer wieder werden für die Ausstattung von Wohnungen Möbel benötigt.