Der Schutz von zu Hause gepflegten Menschen wird nach Ansicht von Experten zu oft vernachlässigt. Foto: dpa

Der Schutz von zu Hause gepflegten Menschen wird nach Ansicht von Experten zu oft vernachlässigt. "Das Thema Erwachsenenschutz gerade in der häuslichen oder familiären Pflege oder der Lebenssituation von Menschen mit Behinderung ist ein absolut unterbelichtetes", sagte der Rechtswissenschaftler Thomas Klie, der an der Evangelischen Hochschule in Freiburg lehrt.

Karlsruhe/Tuttlingen - Der Schutz von zu Hause gepflegten Menschen wird nach Ansicht von Experten zu oft vernachlässigt. "Das Thema Erwachsenenschutz gerade in der häuslichen oder familiären Pflege oder der Lebenssituation von Menschen mit Behinderung ist ein absolut unterbelichtetes", sagte der Rechtswissenschaftler Thomas Klie, der an der Evangelischen Hochschule in Freiburg lehrt. "Man erkauft sich die Familienpflege durch Weggucken, indem man sich mit der Lebenssituation der Menschen mit Pflegebedarf nicht in ausreichender Weise auseinandersetzt." Gewalt in der Pflege ist keine Seltenheit.

Klie wies gleichzeitig darauf hin, dass die pflegenden Angehörigen Großes leisteten, aber zu oft mit ihren Nöten alleingelassen würden. Dabei sei die Bereitschaft zur Familienpflege in kaum einem Land so groß, wie in Deutschland. "Sogar in Italien wird weniger gepflegt, von Frankreich ganz zu schweigen", sagte Klie. Die Politik setze aus Kostengründen in nicht immer verantwortlicher Weise auf die Angehörigen.

Tuttlinger Projekt "Erwachsenenschutz"

Das Projekt "Erwachsenenschutz im Landkreis Tuttlingen" will ein Konzept erarbeiten, das Angehörige und Pflegebedürftige in der belastenden Pflegesituation umfassend unterstützt. "Dass man was tun muss, ist allen klar, aber wer macht was und wie wird das abgestimmt?", sagt Wolfgang Hauser, der als Sozialplaner im Landratsamt Tuttlingen das Projekt mitbetreut. Vielfach würden bei Gefährdungssituationen die Erkenntnisse etwa der Polizei oder der ambulanten Pflegedienste nicht weitergeleitet, aneinander vorbeilaufen und so ein rechtzeitiges Eingreifen und wirkungsvolle Hilfe unmöglich.

Die Projektbeteiligten schrieben 90 Personen an, darunter Vertreter von Wohlfahrtsverbänden, Pflegekassen, Ordnungsämtern, Nachbarschaftshilfen sowie Krankenhäuser und Hausärzte. Ziel ist, die Zuständigkeiten besser zu bündeln und zu vernetzen und Abläufe zu vereinheitlichen.

Auch eine Art Taskforce soll gebildet werden, die bei kritischen Situationen eingreifen könnte. Schulungen zum Fallmanagement sind geplant sowie eine eigene Öffentlichkeitskampagne. Nach Angaben des Landratsamtes ist das auf drei Jahre angelegte Projekt bundesweit einmalig. Es startete im November vergangenen Jahres.

Erst vor kurzem war bekannt geworden, dass ein 36-jähriger Hilfspfleger sechs Menschen ermordet haben soll - darunter auch eine 88-jährige Frau in Spaichingen.

Info: Pflegebedürftige in Baden-Württemberg

Die jüngsten Zahlen zu Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg stammen aus dem Jahr 2015. Demnach waren in dem Jahr fast 330.000 Menschen im Südwesten auf Pflege angewiesen. Mehr als die Hälfte wurde zu Hause von Angehörigen versorgt, jeder Fünfte zu Hause von Pflegediensten. Im Pflegeheim untergebracht waren rund 92.000 Menschen (28 Prozent).

Die Eckdaten zur Pflegestatistik werden alle zwei Jahre erhoben. Neuen Zahlen gibt es nach Angaben aus dem Sozialministerium erst im kommenden Januar.