Pfarrerin Lisbeth Sinner und ihre Familie verlassen Effringen. Quelle: Unbekannt

Pfarrerin Lisbeth Sinner und ihre Familie verlassen Effringen. Die 53-Jährige tritt eine leitende Stelle bei der Stadtkirche in Freudenstadt an.

Wildberg-Effringen/Schönbronn - Mehr als 18 Jahre lang hat Lisbeth Sinner die Kirchengemeinden Effringen und Schönbronn geprägt. Mit den Menschen vor Ort fühlt sich die Pfarrerin dann auch entsprechend verbunden. Ihre Familie ist dort zu Hause. Dennoch sah Sinner die Zeit für eine neue berufliche Herausforderung gekommen.

Als sich Lisbeth Sinner vor mehr als 18 Jahren, frisch zurück aus der Elternzeit, nach einer Stelle umsah, hatte sie Effringen und Schönbronn gar nicht auf dem Schirm. Ausschlaggebend war, dass die Nähe zur Arbeitsstelle ihres Mannes Alexander noch gegeben sein sollte. Er nahm sich also einen Zirkel und schaute, was im Bereich des Erreichbaren liegt. Effringen lag am Rand des Kreises, schaffte es aber noch auf die Liste.

"Hier kann man atmen, hier ist Weite"

"Wir hatten den Schwarzwald gar nicht im Visier, aber wir wollten in den ländlichen Raum", erinnert sich Lisbeth Sinner. Also schaute sich Alexander Sinner Effringen an. Sein Fazit: Die Gemeinde "liegt oben, hier kann man atmen, hier ist Weite". Trotz seiner Berliner Wurzeln habe er die Menschen verstanden, die Bürger grüßten ihn, waren freundlich – alles sehr gute Voraussetzungen. Also schaute sich auch Lisbeth Sinner, die ursprünglich aus der Nähe der Schwäbischen Alb stammt, genauer in den Wildberger Stadtteilen um. Die Entscheidung war gefallen.

"Es ist das Leben, hochkonzentriert"

Die Aufgabe der Gemeindeleitung war damals neu für die studierte Theologin und Judaistin. Zuvor hatte sie in der Krankenhausseelsorge in der Psychiatrie des Stuttgarter Bürgerhospitals gearbeitet, um eine Zusatzqualifikation in diesem Bereich zu erlangen. "Es ist das Leben, hochkonzentriert, was man sonst im Leben mit Menschen in Kontakt kommt, hat man hier geballt", beschreibt sie ihre Eindrücke. Diese seelsorgerische Tätigkeit habe sie und ihre Arbeit bis heute geprägt. Das Begleiten von Menschen, in Glück und Leid, die Begleitung von Depressiven, von Menschen in Krisensituationen – das sieht Sinner als einen ihrer Schwerpunkte an. Diesen Ansatz trägt sie in ihre Gottesdienste hinein, in die Arbeit in Gruppen und Kreisen und mit den Konfirmanden. "Das schreibt sich fort in dem, was ich sage, was ich tue, was mir wichtig ist: den einzelnen Menschen im Blick zu haben, was ihn bewegt, was er braucht."

Weiterer Schwerpunkt: "Beteiligungskirche"

Sinners zweiter Schwerpunkt ist die "Beteiligungskirche", das Feiern und Gestalten von Gemeinde im Team und auf Augenhöhe, ohne Gefälle zwischen Pfarrerin und Gemeindegliedern. Gottesdienste, in denen alle Sinne angesprochen werden, wo Menschen andocken können mit dem, was sie bewegt, wo sie die Möglichkeit haben, mit dem Evangelium in Berührung zu kommen, die Liebe Gottes erleben zu können, nicht nur davon zu hören. Das sei beispielsweise bei den Festen im Kirchenjahr der Fall, sei es auf dem Adventsweg oder dem Osterweg oder auch bei Projekten wie dem Labyrinth an der Effringer Marienkirche. "Dafür schlägt mein Herz", sagt sie.

"Das hat ganz viele Facetten"

Das Pfarramt ist für sie eine Mischung aus Berufung, Sozialarbeit, Integrations- und Inklusionsarbeit sowie Verkündung: "Das hat ganz viele Facetten, das ist das Wunderbare, aber auch die Herausforderung." Die Menschen in Effringen und Schönbronn seien ihr immer mit Respekt begegnet, auch wenn sie mal eine andere Position, theologisch wie kirchenpolitisch, vertreten habe. Dabei war ihr Einstieg gemischt: Sie und ihre Familie seien sehr offen und freundlich aufgenommen worden. Als erste Frau in dieser Position habe man auch nicht so den Vergleich gehabt. Andererseits war es ihre erste Gemeindeleitung und manches schwelte im Hintergrund.

Zwei grundverschiedene Gemeinden

Für gleich zwei Kirchengemeinden verantwortlich zu sein, sei inzwischen Standard. Es bringt aber Herausforderungen mit sich, denn Effringen und Schönbronn seien grundverschieden. "Es war manchmal eine Gratwanderung zwischen verschiedenen Interessen", so Sinner.

Kleine Konkurrenzen gebe es da immer, auch wenn die Pfarrstelle so schon seit etwa 200 Jahren existiert. Betrachte man die Entwicklung, so hätten Effringen und Schönbronn in den 70er- und 80er-Jahren noch etwa gleich viele Gemeindemitglieder gehabt, inzwischen ist Effringen etwa auf das Vierfache angewachsen. Für neu Zugezogene wirke es aber wie eine Gemeinde, immerhin laufe vieles gemeinsam, sei es der Posaunenchor oder die Hauskreisarbeit.

Vertrauen in den Kirchengemeinderat

Besonders an der Pfarrstelle ist zudem die Trägerschaft des Effringer Kindergartens, für den aktuell ein Neubau erwogen wird – der einzige Grund, aus dem Sinner ein Stück weit mit einem schlechten Gewissen geht. Eigentlich wollte sie dieses Projekt noch begleiten. Doch sie hat Vertrauen in den Kirchengemeinderat. Für ihren Nachfolger werde das aber eine große Aufgabe, weiß sie. Denn Stellen werden bei der Kirche nach Gemeindegliedern berechnet, nicht nach vorhandenen Strukturen. Die Verzahnung von Kindergarten, Schule, Kinder- und Jugendarbeit sowie das Arbeiten über Generationen hinweg seien ein Schwerpunkt dieser Stelle.

Zeit für etwas Neues

Ein Nachfolger sei bisher noch nicht in Sicht, Lisbeth Sinner hofft aber, dass die Vakatur für ihre Gemeinden gut läuft. Sie selbst tritt eine geschäftsführende Stelle bei der Stadtkirche Freudenstadt an. Mit ihren 53 Jahren war für sie der Punkt gekommen, noch mal etwas Neues zu wagen – jetzt oder nie: "Das wird schon anders, aber das wollte ich auch."

Der Abschied fiel Lisbeth und Alexander Sinner und ihren fünf Kindern schwer: "Im Abschied merke ich, wie eng die Bindungen sind." Doch eigentlich sei es schön, solche Bindungen aufgebaut und erlebt zu haben. Ein Freudenstädter schrieb zum Abschied der Pfarrfamilie auf Instagram: "Wen das Leben gut behandelt, dem macht es die Abschiede schwer."