Bis zur 900-Jahr-Feier in Bösingen ist es noch eine ganze Weile hin: Historikerin Dagmar Kraus, Ortsvorsteher Adolf Gärtner und Ute Ströbele vom Kreisarchiv (von links) hatten in der jüngsten Ortschaftsratssitzung nichts Positives zu vermelden. Foto: Stadler Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Recherchen von Historikerin ernüchtern: Bösingen ist wohl viel jünger als gedacht

"Bösingen kann guten Gewissens im Jahr 2020 die 900-Jahr-Feier anpeilen", hieß es 1999 aus dem Kreisarchiv Freudenstadt. Im Februar 2017 war sich der Ortschaftsrat einig, das Jubiläum zu feiern. Jetzt macht sich Ernüchterung breit. Der Ort wurde erstmals 1342 urkundlich erwähnt.

Pfalzgrafenweiler-Bösingen. Die Antwort auf die brennende Frage nach dem Alter von Bösingen war am Montagabend Thema der von zahlreichen Bürgern besuchten Sitzung des Ortschaftsrats. "Ortsgeschichten werfen vielfach Rätsel auf, und die Frage nach dem Alter lässt sich oft nicht beantworten", sagte Ortsvorsteher Adolf Gärtner, der zur Sitzung die hauptberufliche Historikerin Dagmar Kraus eingeladen hatte. In einer gut einjährigen Recherche hatte sie sich neben ihrer Arbeit ehrenamtlich damit beschäftigt, herauszufinden, wann Bösingen im Landkreis Freudenstadt erstmals urkundlich erwähnt wurde. Den Kontakt hatte Ute Ströbele vom Kreisarchiv hergestellt. Auf ein Honorar hat Kraus verzichtet.

Heimatbuch lässt Zweifel am Alter aufkommen

Zunächst wagte Ortsvorsteher Gärtner einen Blick ins Jahr 2020, das mit einer dreifach ausverkauften Theateraufführung starten soll. Im Februar wird eine Ausstellung von lokalen Künstlern gezeigt, im März eine ein Hektar große Fläche mit Buchen zum Jubiläumswald aufgeforstet. Weiter geht es im Jahresverlauf mit Burgfestspielen auf der Ruine Mandelberg, einem Festzug im Juli, der Ansiedlung eines Supermarkts, gefolgt von einem Oldtimer-Rennen sowie dem Wiederaufbau der 1945 abgebrannten Kirchturmspitze und dem Abschluss im Dezember mit einer Jubiläumsschlachtplatte sowie einem Handwerkermarkt, gefolgt von einem Festakt im Gemeindesaal, bei dem man sich gegenseitig für die tollen Jubiläumsfeiern gegenseitig auf die Schulter klopft.

Alles nur ein Irrtum? Bleiben diese Visionen ungelebte Träume? Das Jahr 1120 steht als Jahreszahl der ersten urkundlichen Erwähnung von Bösingen im Landkreis Freudenstadt im Raum. Eine 900-Jahr-Feier 2020 wäre aus der Sicht des Ortsvorstehers eine Riesenchance, den Ort und seine Stärken zu präsentieren sowie die Pflege der Dorfgemeinschaft auszubauen.

Zweifel am Alter von Bösingen ergaben sich allerdings durch das 2012 erschienene Heimatbuch "Dörfer und Weiler im Wald" von Stefan Zizelmann, wonach sich die Erwähnung im Jahr 1120 auf den Ort Bösingen bei Rottweil beziehen könnte und die Erstnennung von Bösingen im Kreis Freudenstadt auf eine urkundliche Erwähnung von 1342 zurückgeht.

Der Vortrag der Historikerin Dagmar Kraus brachte nun Licht ins Dunkel. Im Raum standen die schriftliche Erwähnung im Jahr 1120 sowie eine Urkunde von 1342. Untersucht wurde die Zuordnung zu Bösingen, Kreis Freudenstadt, oder Bösingen bei Rottweil. Da beide Orte ähnlich beziehungsweise gleich geschrieben oder gesprochen würden – auch als Beisingen – sei es schwierig, sie auseinanderzuhalten. Zudem seien Quellbelege zum Teil falsch zugeordnet worden. Eine Pergamenthandschrift, der Codex Hirsaugiensis, wurde ebenfalls unter die Lupe genommen. Es handelt sich dabei um keine Originalquelle, sondern die Abschrift älterer Vorlagen, so Dagmar Kraus.

In ihren Darstellungen analysierte sie die historischen Verbindungen in Zusammenhang mit dem Kloster Hirsau, Schenkungen und Eintragungen zu Bösingen im Codex Hirsaugiensis. Im Ergebnis könne die Datierung auf das Jahr 1120 nicht aufrechterhalten werden, da die dort genannten Fakten dem Bösingen bei Rottweil zuzuordnen seien. Eine weitere mögliche Erstnennung im Jahr 1258 wurde ebenfalls ausgeschlossen und auch das Jahr 1338, da sich eine Schenkung zu dieser Zeit auf Baisingen im Gäu beziehe.

Gärtner will keine Luftschlösser feiern

Übrig blieb also die Urkunde von 1342 – ein Testament, das Graf Otto von Hohenberg-Nagold im Namen seines erkrankten und nicht testierfähigen Vaters, Graf Burkhard von Hohenberg, ausgestellt hatte. Es enthält Stiftungen für die Klöster Rohrdorf und Reutin. Auch die Untertanen in Bösingen werden genannt. Da Bösingen, Kreis Freudenstadt, der Linie Hohenberg-Nagold angehörte, sei Baisingen im Gäu ausgeschlossen, so Dagmar Kraus. Somit sei dieses Schriftstück die erste urkundliche Nennung von Bösingen – solange keine ältere Urkunde gefunden werde. Als Fazit kann der Ort erst im Jahr 2042 eine Jubiläumsfeier ausrichten: 700 Jahre Bösingen.

Dieses ernüchternde Ergebnis war ein Tiefschlag für das Gremium. Zahlreiche Reaktionen der Bürger belegten die große Enttäuschung. Gesprochen wurde sogar von einer "Abschiedsfeier" 2020 zur Erstbenennung 1120 oder von "trotzdem feiern und die Zahl 900 in Anführungszeichen setzen". Ortsvorsteher Gärtner entgegnete, dass er keine Luftschlösser feiern könne und das Ganze ein Fall für die nächste Generation sei. Ortschaftsratsmitglied Rudi Kaiser sah das Ergebnis positiv, da Bösingen nun doch nicht so alt ist, wie vermutet.

Das Ergebnis der Recherchen von Dagmar Kraus geht ins Ortsarchiv.